Sieben Polizisten hätten letztes Jahr sein Zuhause im Seniorenheim durchsucht und diverse Chemikalien sichergestellt, erzählt Hans Gilgen. Mit 93 Jahren musste er sich nun zum ersten Mal in seinem Leben vor der Justiz verantworten. Sichtlich nervös betritt er am Donnerstag das Regionalgericht Bern-Mittelland, schick gekleidet im Anzug mit Krawatte – jedoch ohne Anwalt, der pensionierte Gärtner vertritt sich selbst.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, einer Mitbewohnerin im Heim ohne Fachkenntnisse ein Medikament verabreicht zu haben, das bei dieser zu Vergiftungserscheinungen führte und sie gar ins Grab hätte bringen können. Gegen den Strafbefehl hat der Rentner jedoch Einsprache erhoben.
Verbotene Chlordioxid-Lösung aus Frankreich organisiert
Der Vorfall ereignete sich am 14. Januar 2020. «Die Frau hat jeweils neben mir gesessen beim Essen und hatte so starken Husten, dass sie fast die Lunge herausgehustet hat», erinnert sich der Beschuldigte. Die Ärzte hätten nicht weitergewusst, darum habe er der Dame seine Hilfe angeboten.
«Sie hat schon Magnesium eingenommen, das ich ihr gegeben habe, aber dadurch wurde der Husten auch nicht besser. Ich habe daher vermutet, dass sie einen Virus hat», erklärt er. «Ich habe ihr vorgeschlagen, den mit einer Chlordioxid-Lösung zu bekämpfen.» Von Bekannten aus Frankreich habe er das Mittel dann zugesendet gekriegt, in der Schweiz sei es nämlich nicht mehr zugelassen.
Strauss Rosen als Entschuldigung
«Schliesslich habe ich acht Tropfen vom Chlordioxid mit acht Tropfen Salzsäure gemischt und ihr die Flüssigkeit verabreicht. Dann ist irgendetwas schiefgelaufen», gibt Gilgen im Interview mit Blick zu. Heftiges Erbrechen und starke Bauchschmerzen waren laut der Staatsanwaltschaft die Folgen des missglückten Experiments.
Nachdem sich die Patientin von den Strapazen erholt hatte, habe er ihr einen grossen Strauss Rosen geschenkt – auf eine Anzeige habe sie verzichtet. «Und der Husten war danach übrigens auch weg.» Bis heute kann er sich nicht erklären, was er bei der Behandlung falsch gemacht hat. Er habe dieses Mittel schon oft verabreicht oder auch selbst eingenommen – ohne Nebenwirkungen.
Der Rentner interessiert sich nämlich laut eigenen Angaben seit vielen Jahren für Naturheilmittel. Er habe auch diverse Kurse und Kongresse besucht. Viele Leute würden ihn darum bei Gesundheitsfragen um Rat bitten, berichtet er.
Schuldspruch für den Hobby-Naturheilpraktiker
Er mutmasst daher, dass es beim Vorfall im Januar an den Medikamenten gelegen haben muss. «Vermutlich war die Salzsäure konzentrierter, als auf dem Etikett angegeben.» Doch die Gerichtspräsidentin winkt ab. Das habe man im Labor untersucht, es sei alles korrekt gewesen.
Daher blitzte der Hobby-Naturheilpraktiker mit seiner Einsprache ab: Das Gericht reduzierte seine Busse lediglich von 500 auf 300 Franken, da er keine bösen Absichten hegte und bloss ein geringes Einkommen hat. Doch die Verfahrenskosten von über 3100 Franken muss er selbst berappen. Hans Gilgen sagt nach der Urteilseröffnung enttäuscht: «Das habe ich mir etwas anders vorgestellt.» Doch er werde das Urteil nun akzeptieren.