«Nicht weinen, Mama kommt in 2, 3 Stunden»
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Ivanka war 9 Monate in U-Haft:«Nicht weinen, Mama kommt in 2, 3 Stunden»

Anklage wegen versuchten Mords
Altersheim-Pflegerinnen mangels Beweisen freigesprochen

Diese Woche standen zwei Ex-Pflegerinnen in Laufen BL vor Gericht. Sie wollten eine Bewohnerin vergiften, um an ihr Geld zu kommen. Eine Pflegerin versteckte Gift im Canapé, im Erdbeertörtchen und im Tee. Im Hauptanklagepunkt werden beide freigesprochen.
Publiziert: 06.09.2021 um 18:15 Uhr
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Aktualisiert: 09.09.2021 um 20:33 Uhr
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Die Hauptangeklagte im Fall «Mordversuch im Altersheim» Ivanka H.* (32) auf dem Weg ins Gericht.
Foto: Blick
Céline Trachsel und Luisa Ita

Der Fall schlug Anfang 2019 hohe Wellen: Zwei Pflegerinnen vom Altersheim Rosengarten in Laufen BL wurden fristlos entlassen, weil sie womöglich mehrmals versucht hatten, eine Bewohnerin zu vergiften. Dies, um an ihr Geld zu kommen. Denn die mutmassliche Haupttäterin hatte die Vollmacht über ein Konto der alten Dame, auf dem 80'000 Franken waren. 20'000 Franken davon hatte sie vor den drei zur Anklage stehenden Mordversuchen bereits geklaut.

Seit Montag mussten sich die beiden Pflegerinnen am Strafgericht in Muttenz vor fünf Richtern verantworten. Die Angeklagte Ivanka H.* (32), eine Serbin aus dem Laufental, soll mehrmals versucht haben, eine heute 79-jährige Altersheimbewohnerin zu vergiften. Dies mit der hochgiftigen Pflanze Blauer Eisenhut und mit Rizinussamen. Die zweite Pflegerin Bettina G.* (45) soll laut Anklage von dem Plan gewusst haben oder möglicherweise gemeint haben, die Serbin wolle ihren Ehemann vergiften. Jedenfalls holte G. für die Hauptverdächtige trotzdem die Rizinussamen in einem nahen Baumarkt ab.

Rizinussamen unter Lachs und Crevetten versteckt

Ivanka H. soll das Gift in Form eines grobkörnigen Pulvers in zwei Canapés, also zwei belegten Brötchen, versteckt haben. Das Lachs- und das Crevettencanapé nahm sie auseinander, streute das Pulver auf die Mayonnaise und richtete die Brötchen wieder an. Doch die betagte Dame entdeckte, dass die Brötchen «nicht mehr recht» ausgesehen haben, wie sie im Gericht sagte. Also ass sie nur den Belag und warf den Rest weg.

Einen zweiten Mordversuch soll die Serbin mit einem Erdbeertörtchen aus der Migros begangen haben. Zwischen Vanillecreme und Erdbeeren streute sie erneut das giftige Pülverchen. Die alte Dame ass die Hälfte – bevor sie erneut das komische Pulver bemerkte. «Ich habe sie noch darauf angesprochen, aber die Pflegerin meinte, die Migros habe wohl etwas am Rezept geändert. Sie wolle nachfragen gehen. Aber eine Antwort lieferte sie mir nie.» Nach dem Konsum des halben Törtchens litt die Seniorin an Fieber und einer Lungenentzündung. Doch sie schöpfte noch keinen Verdacht.

«Sie bezahlte die Blumen von meinem Geld!»

Die dritte Attacke auf das Leben der alten Dame geschah am 1. Dezember 2018. Am Morgen erhielt sie von der Pflegerin einen Tee serviert. «Zum Zmorge nahm ich immer einen Tee mit einem Ricola drin. Diesen trank ich auch an diesem Morgen, obwohl ich braune Stücke drin bemerkte.» Später dämmert die Frau weg: Laut Anklageschrift begann sie undeutlich zu sprechen und zu zittern. Sie kam in die Notaufnahme. Die Folge: Sechs Tage im Spital, einige Tage davon gar auf der Intensivstation.

Die Ärzte glaubten an einen epileptischen Anfall. Die 79-Jährige sagte erzürnt vor Gericht: «Frau H. kam mich sogar im Spital besuchen und brachte mir Blumen, die ich eigentlich gar nicht mag. Bezahlt von meinem Geld!»

«Sie hat sich selber verraten»

Der Verdacht, sie sei vergiftet worden, kam der Seniorin, als sie wieder zurück im Heim in Laufen war. «Am Morgen trat die andere Pflegerin zu mir und erzählte, sie habe für H. Rizinussamen besorgen müssen. Ich solle aber weder zur Heimleitung noch zur Polizei gehen. Da hat es bei mir Klick gemacht – ich war vergiftet worden. Sie hatte noch gemeint, ganz wenig reiche, und ‹es putzt eim›. Ja, das habe ich gemerkt!» Die Privatklägerin ist überzeugt: «Die wollten an mein Geld! Und als sie sich zerstritten hatten, versuchte die zweite noch unbescholten aus der Sache zu kommen. Aber sie hat sich damit verraten.»

Vor Gericht bedauerten sich die Täterinnen vor allem selber. «Mir geht es nicht gut, ich bin in Therapie, mein Mann kann nicht mehr arbeiten, und ein Sohn ist auch arbeitsunfähig wegen dem Ganzen», sagt Bettina G., die keinen einzigen Tag in Untersuchungshaft war.

Angeklagte: «Das habe ich nicht getan!»

Ivanka H., die ein Dreivierteljahr einsass, beklagte sich über Probleme im Privatleben, die damaligen Schulden, die zerrüttete Ehe und den mangelhaften Kontakt zu ihrer eigenen Mutter. Und sie gibt an: «Ich hatte mich damals umbringen wollen, nur deshalb habe ich die Rizinussamen besorgt. Ich wollte der Frau sicher nichts antun», behauptet sie unter Tränen. Theatralisch fügt sie an: «Ich habe alle enttäuscht. Aber jetzt habe ich gemerkt, dass meine Kinder eine Mutter brauchen.» Sie wolle die Konsequenzen für die veruntreuten 20'000 Franken tragen, aber nicht für die Mordversuche. «Das habe ich einfach nicht getan!»

Viele Hinweise sprachen jedoch gegen die beiden Frauen. Etwa ihre Suchanfragen im Internet: Dort informierten sich beide eingehend über verschiedene Vergiftungsmethoden, vor allem über den blauen Eisenhut. Zudem googelte Mitstreiterin Bettina G.: «Jemand will jemanden umbringen und ich weiss es» oder «Ist Mitwisserschaft von einem Mord strafbar?»

Nur Diebstahl zugegeben

Wenn es nach der Staatsanwaltschaft geht, gibt es auf diese Frage nur eine Antwort: Ja, auch die zweite Pflegerin hat sich strafbar gemacht. Wegen Gehilfenschaft zu versuchtem Mord soll sie wegen vier Jahre eingesperrt werden, während der Hauptbeschuldigten wegen versuchten Mordes, Vorbereitungshandlungen zu Mord und Veruntreuung gar zehn Jahre Knast drohen.

Da Ivanka H. aber lediglich zugibt, Geld vom Konto der vermögenden Dame geklaut zu haben, will ihr Verteidiger ausschliesslich eine Verurteilung wegen Veruntreuung. Laut der Basler Zeitung habe er argumentiert, dass das Gift im Urin der Frau ja auch gar nicht hätte nachgewiesen werden können und es daher keine handfesten Beweise gegen seine Mandantin gebe.

Pflegerinnen freigesprochen

Das Gericht sieht die Sache wie die Verteidigung. Die Hauptbeschuldigte Ivanka H. wird zwar wegen Veruntreuung von 20'000 Franken schuldig gesprochen und zu einer bedingten Gefängnisstrafe sowie der Rückzahlung des Geldes verurteilt. Vom Hauptanklagepunkt des mehrfach versuchten Mordes, der mehrfach versuchten Tötung und der strafbaren Mordvorbereitungen wird sie hingegen freigesprochen.

Bettina G. wird vollumfänglich freigesprochen und erhält zudem eine Genugtuung von 12'000 Franken.

Das Gericht begründet das Urteil mit verschiedenen Unstimmigkeiten. So sei Ivanka H. etwa zum Zeitpunkt der Canapé-Vergiftung gar noch nicht im Besitz der Rizinussamen gewesen. Es sei zwar möglich, dass andere Gifte verwendet worden seien. Dafür gebe es allerdings keine Indizien, so das Gericht.

Auch wenn viele Punkte auf eine versuchte Vergiftung hindeuteten, bestünden noch immer ernsthafte Zweifel an der Version der Staatsanwaltschaft. So sei etwa nicht zweifelsfrei klar, dass die Internetrecherchen gemacht wurden, um die alte Frau zu töten. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Hauptbeschuldigte tatsächlich suzidale Absichten gehabt habe. Daher sei es ein Freispruch nach dem Leitspruch «im Zweifel für den Angeklagten», so das Gericht.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

* Namen geändert

Das tödlichste Gift der Welt

Rizinussamen sind die bohnenartigen Früchte des Wunderbaums. Er stammt aus Afrika, wächst heute aber auch in Indien und dem Nahen Osten. Die Bohnen enthalten das extrem starke Gift Rizin. Bereits kleinste Mengen reichen aus, um einen Menschen zu töten. Bei Kindern ist ein halbes Samenkorn genug, bei Erwachsenen braucht es acht Bohnen. Atmet man das Gift ein, etwa als Dampf oder Pulver, genügen deutlich kleinere Mengen. Der Tod durch Rizin ist qualvoll und tritt erst nach 24 Stunden ein. Es gibt kein Gegengift.

Die Herstellung von Rizin ist im Gegensatz zu anderen starken Giften wie Sarin sehr einfach. Es braucht eine Kaffeemühle und ein paar handelsübliche Chemikalien. Das hat auch die Terrororganisation IS entdeckt. 2018 sind gleich mehrere Attentäter aufgeflogen, die einen Anschlag per Rizin-Bombe geplant hatten.

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