Darum liessen sich Klima-Aktivisten ans Bundeshaus leimen
«Ich wäre bereit, mein Leben zu geben»

Aus Protest für mehr Klimaschutz haben sich Aktivisten mit Leim an das Bundeshaus in Bern geklebt. Das Vorgehen soll auch als Ultimatum verstanden werden.
Publiziert: 23.06.2021 um 14:56 Uhr
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Julian Zubler (23), Student an der Universität Basel.
Foto: Julie Lovens
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Amit Juillard

Es ist Dienstagmorgen in Bern, gegen 9 Uhr: Fünf Aktivisten von der Bewegung Extinction Rebellion (XR) legen jeweils eine Hand auf eine der Säulen am Eingang des Bundeshauses. Und dort sollen sie auch bleiben. Ihre Finger und Innenflächen haben die Teilnehmer mit Superkleber beschmiert.

Die klebrige Aktion soll ein Aufschrei der Klimaaktivisten sein – und zugleich auch ein Ultimatum an den Bundesrat darstellen.

Auch Schmerzen an der Hand schrecken nicht ab

Einer der Aktivisten ist Julian Zubler (23). An der Universität Basel studiert er Politikwissenschaften und Soziologie – er überlegt jedoch, sein Studium abzubrechen, denn: «Mir wurde klar, dass auf dieser Erde etwas viel Grösseres passiert», sagt der gebürtige Schaffhauser. Ohne sofortige Veränderung werde alles unter dem Druck der Klima- und Umweltkrise zusammenbrechen.

Der junge Mann hat keine Angst davor, von der Polizei verhaftet zu werden. Der Kampf für die Zukunft ist es ihm wert: «Wenn ich an die Kinder meiner Cousins denke oder an die, die meine Schwester gerne hätte... Ich habe nichts mehr zu verlieren.»

Auch die Schmerzen, die er beim Ablösen seiner Hand von der Säule wird ertragen müssen, schrecken ihn nicht ab: «Wegen der globalen Erwärmung leiden die Menschen unter Dürren und Hungersnöten. Im Vergleich dazu ist eine kleine Wunde an der Handfläche ein viel kleineres Übel.»

«Mein Job hat an Bedeutung verloren»

«Wenn ich wüsste, dass mein Tod einen grossen Teil der Menschheit retten könnte, wäre ich bereit, mein Leben zu geben», sagt Logopädin Cecile Bessire (26).

Die Bielerin hat für den Aktivismus ihren Job in einer Privatpraxis gekündigt und wird ihre Aktivitäten an einer Sonderschule zurückfahren. Zu Blick sagt sie: «Mein Job hat an Bedeutung verloren. Ich habe das Gefühl, dass ich Kindern helfe, mit einer Welt zu kommunizieren, die immer mehr ausartet.»

Die Aktionen in der Öffentlichkeit sind für die Mitglieder der Klimabewegung oft auch ein Kampf mit der Justiz. Aktivisten werden häufig verhaftet und verurteilt. Wie in Neuenburg, weil sie im März 2020 eine Strasse für über eine Stunde blockiert hatten. Oder kürzlich in Freiburg, wo der Zugang zu einem Einkaufszentrum versperrt wurde. Ausserdem wies das Bundesgericht am 11. Juni die Beschwerde der zwölf Personen ab, die die Lausanner Räumlichkeiten einer Bank besetzt hatten.

Arzt, Vater, radikaler Klimaaktivist

Dass er mit seinem Vorgehen der Justiz auf der Nase herumtanzt, findet Vincent Amstutz nicht. Der Allgemeinmediziner aus Landeron NE will stattdessen die Regierung dazu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen und Dinge zu durchdenken. «Ich habe nicht den Eindruck, dass ich mich hier über die Justiz lustig mache», sagt Amstutz.

Der verheiratete Vater macht sich Sorgen um die Zukunft seiner drei Kinder, die jetzt im Teenageralter sind. Als Arzt habe er ein schlechtes Gewissen, wenn er die Menschen nicht auf die Folgen aufmerksam mache, welche die Klima- und Umweltkrisen auf ihre Gesundheit haben und haben werden.

Eine der älteren Jahrgänge ist Brigitte Nicod Krieger (67). Ein Buch ihrer 30-jährigen Tochter habe die Rentnerin aufgeweckt. Angst, bei der Aktion verletzt zu werden, hat sie keine. Denn: «Ich fühle mich teilweise für die dramatischen Veränderungen der letzten 50 Jahre verantwortlich – und schuldig.» Ausserdem habe der Kanton Waadt 2019 den Klimanotstand ausgerufen, passiert sei in dieser Zeit aber nichts.

XR fordert eine Reaktion der Regierung

In einem Appell-Brief vom 22. Juni fordert XR den Bundesrat unter anderem dazu auf, einen Klima- und ökologischen Notstand auszurufen sowie die Treibhausgasemissionen bis 2025 auf Null zu reduzieren. Erfolgt von Bern keine Reaktion, so würden die Aktivisten am 3. Oktober in Zürich so lange auf die Barrikaden gehen, bis die Forderungen erfüllt seien.

Was die festgeklebten Aktivisten betrifft: Sie wurden laut der Sprecherin der Bewegung noch im Verlauf des Dienstagvormittags von der Polizei gewaltlos abgeführt. (jua)


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