Als die Müllers den Brief öffnen, der Ende Juli in ihrem Briefkasten landet, glauben sie an einen Fehler. Im Umschlag ist eine Pensionsrechnung des Regionalen Arbeitszentrums Herzogenbuchsee (RAZ). Ihr 25-jähriger Sohn Severin lebt dort wegen einer Behinderung.
Aber: Im Juli war die Familie – die eigentlich anders heisst – gemeinsam 14 Tage in den Ferien. Trotzdem verrechnet das Wohnheim den vollen Pensionspreis von Fr. 199.50, plus Fr. 122.75 für Severin Müllers Beschäftigung im Atelier – pro Tag. Ganz schön viel Geld also.
Warum sollte Severin Müller für Essen, Betreuung und Beschäftigung zahlen, wo er diese Leistungen doch nie in Anspruch genommen hat? Bei Abwesenheitstagen ist laut Vertrag lediglich eine sogenannte Reservationstaxe geschuldet.
Die Eltern fragen nach. Zu ihrer Überraschung heisst es beim RAZ, dass ihr Sohn keinen Anspruch auf die verminderte Taxe habe – so laute eine Weisung der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern.
Der Grund: Severin Müllers zivilrechtlicher Wohnsitz liegt ausserhalb des Kantons, in Basel-Landschaft. Wenn er im Kanton Bern lebte, würde er bei Abwesenheit nur etwas mehr als die Hälfte des Tarifs zahlen, den er bei Anwesenheit schuldet.
Ungleiche Behandlung
«Heimbewohnende werden je nach Wohnsitz unterschiedlich behandelt – das ist doch diskriminierend», empört sich Severin Müllers Vater. Der Sohn war früher im Kanton Solothurn in einem Heim. Dort wurde ihm bei Abwesenheit immer die verminderte Taxe verrechnet – ohne Probleme.
Für Severin Müller ist die Handhabung im Kanton Bern fatal. Ferien mit den Eltern kann er sich ohne die verminderte Taxe bei Abwesenheit nicht leisten. Und vor allem nicht das Plusport-Lager, ein Ferienlager für Personen mit Behinderungen. Dort fährt er einmal jährlich hin.
Das Heim möchte er nicht wechseln. Einen Platz zu finden, ist nicht einfach, und im RAZ Herzogenbuchsee fühlt er sich wohl.
Die Suche nach der zuständigen Stelle für Severin Müllers Problem entpuppt sich als Odyssee. Der Kanton Bern verweist auf den Kanton Basel-Landschaft, der die verminderte Taxe in der Kostengutsprache regeln müsse.
Der Kanton Basel-Landschaft handhabt das Ganze anders: Er gewährt allen Personen in Basler Heimen die verminderte Taxe – unabhängig vom Wohnsitz. Und erwartet vom Kanton Bern, dass der das auch tue.
Wer muss also zahlen? Beide Kantone zeigen auf den jeweils anderen. «Das verstösst doch gegen die interkantonale Vereinbarung, die solche Fragen regelt», so Severin Müllers Vater. Die sieht vor, dass soziale Einrichtungen auch Personen mit Wohnsitz in einem anderen Kanton offenstehen.
Damit das möglich ist, müssten die finanziellen Aspekte kantonal einheitlich geregelt sein – was in Sachen Ferientarife offensichtlich nicht der Fall ist.
Die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren ist die Hüterin der interkantonalen Vereinbarung, die solche Probleme eigentlich aus der Welt schaffen sollte. Finden die Müllers dort die Antwort auf ihre Frage? «Wir haben eine Empfehlung abgegeben», sagt Generalsekretärin Gaby Szöllösy.
Empfehlung wird nicht eingehalten
Laut dieser steht dem Wohnkanton Basel-Landschaft offen, ob er in der Kostengutsprache eine verminderte Taxe bei Abwesenheit festlegt. Eine Verminderung um mindestens 20 Franken pro Abwesenheitstag wird empfohlen – das ignoriert der Kanton aber.
Umgekehrt sollen gemäss der Empfehlung die Einrichtungen wirklich nur die Leistungen verrechnen, die sie auch erbringen. Das RAZ jedoch verrechnet den vollen Preis. Das Problem: Die Empfehlung ist nicht rechtsverbindlich. Umgesetzt wird sie im Fall von Severin Müller weder vom Heim noch von seinem Heimatkanton.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Das RAZ schreibt auf Anfrage: «Wir können nicht einfach weniger verrechnen, wenn Bewohnende abwesend sind.» Die Betreuungs- und Verpflegungsplanung würde weit im Voraus gemacht. «Die Kosten sind gleich hoch, ob die Person nun an- oder abwesend ist.» Das RAZ dürfe zudem keine eigenmächtigen Entscheidungen fällen, es sei an das Gesetz gebunden.
Der Einfachheit halber überlegen sich Severin Müllers Eltern, seinen Wohnsitz nach Bern zu verlegen. Doch: Gemäss Gesetz begründet ein Heimaufenthalt keinen zivilrechtlichen Wohnsitz. Die Eltern müssten also ebenfalls in den Kanton Bern ziehen.
Der Kantönligeist wird Severin Müller zum Verhängnis. Die Eltern bestreiten nun die Rechnung. Ob das was bringen wird, bleibt offen – verpflichtet sind die Behörden und das Heim zu nichts.