Zwölf Mitglieder zweier Banden aus Biel und La Chaux-de-Fonds NE müssen vor das Neuenburger Kriminalgericht. Das teilt die Staatsanwaltschaft auf Anfrage von Blick mit.
Unter anderem müssen sich die jungen Erwachsenen wegen Freiheitsberaubung und Entführung, Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung, Waffenbesitz und Schiessereien in der Nähe von Wohnhäusern verantworten. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen waren zum Zeitpunkt der Tat teils noch minderjährig.
Den Angeklagten drohen mehrere Jahre Haft, den sechs Ausländern unter ihnen sogar die Ausweisung.
Die beiden Gangs, die sich bekämpfen, nennen sich «47» und «2CZ». Die Namen sind auf ihre Postleitzahlen zurückzuführen. 47 ist die Summe der ersten zwei Ziffern der Postleitzahlen von La Chaux-de-Fonds und Le Locle NE (2300 und 2400) und «2CZ» steht für «deux cinq zéro», den Anfang der Postleitzahl von Biel (2500).
Die seit 2019 andauernde Rivalität hatte am 26. September 2021 ihren Höhepunkt erreicht. Ein Kongolese (†20) aus La Chaux-de-Fonds war bei einer Schlägerei in Lausanne ums Leben gekommen.
Schon im November 2020 kam es zu einem Todesfall. Ein Jugendlicher aus La Chaux-de-Fonds wurde in Sugiez FR von einem Zug erfasst, als sich die «47» und die «2CZ» laut verschiedenen Westschweizer Medienberichten verabredet hatten, um «ihre Rechnungen zu begleichen».
Entführung auf einem Bahnsteig des Bahnhofs Neuenburg
Dieses Drama wird in den beiden Anklageschriften – von denen Blick Auszüge erhalten hat – nicht behandelt. Es geht um zwei andere Fälle, zu denen die Staatsanwältin Ludivine Ferreira Broquet ermittelt. Nun sind weitere Einzelheiten bekannt, die Blick exklusiv vorliegen.
Die erste, äusserst brutale Episode fand in der Nacht vom 20. auf den 21. März 2021 statt. Ihren Anfang nahm sie am Bahnhof von Neuenburg und endete in einem Keller in La Chaux-de-Fonds. Laut dem Ablauf, der in der ersten Anklageschrift dargelegt wird, sollen mindestens sieben Mitglieder von «47» – die rund 150 Mitglieder umfassen soll – einen Bieler angegriffen haben, der kurz vor Mitternacht auf seinen Zug wartete. Er wurde auf die Gleise geworfen und dann – mit Gewalt – in den Kofferraum eines Fahrzeugs verfrachtet.
Von dort wurde er zum Parkplatz des Skilifts Chapeau-Râblé oberhalb von La Chaux-de-Fonds gebracht, wo ein Teil der Bande ihn erneut schlug und in den Kopf trat. Ausserdem zogen sie ihm seine Jacke, seinen Pullover und seine Schuhe aus, während er im Schnee lag, so die Staatsanwältin in ihrem Bericht.
Todesdrohungen mit Messern und einem Hammer
Nachdem die Täter beraten hatten, ob sie den Mann in der Kälte zurücklassen oder ein Lösegeld verlangen sollten, hielten sie ihn schliesslich im Keller eines Gebäudes in Biel gefangen, heisst es in der Anklageschrift im Detail.
Dort sei das Opfer gezwungen worden, ein Snapchat-Video aufzunehmen, das für den gegnerischen Clan «2CZ» bestimmt war. Er wurde erneut verprügelt und mit Messern und einem Hammer mit dem Tod bedroht.
Das Opfer wurde schliesslich um 2.28 Uhr freigelassen. Seine Angreifer hätten ihm gesagt, dass er Glück habe, weil er mit der rivalisierenden Bande nichts mehr zu tun habe. Fünf Personen hätten ihn dann zum Bahnhof von La Chaux-de-Fonds begleitet und ihn «nach der Rückgabe seiner Sachen» gehen lassen. Das Opfer verzichtete «aus Angst vor Repressalien» auf eine Anzeige.
Schüsse in einem fahrenden Bus
Der Gegenschlag liess nicht lange auf sich warten. Am 11. April sollen sich acht Mitglieder der Bieler Bande, darunter drei Minderjährige, gerächt haben. Die Situation eskalierte in La Chaux-de-Fonds.
Der Abend begann mit einem Böller, der in Richtung eines Autos geschossen wurde, in dem sich drei Jungs von «47» befanden. Die Insassen seien durch einen Zaun eingeklemmt worden und hätten zu Fuss fliehen müssen, so die Staatsanwaltschaft.
Daraufhin soll eine Schlägerei ausgebrochen sein. Eine Schreckschusspistole wurde auf einen Bus abgefeuert, der an der Schlägerei vorbeifuhr. Keiner der Insassen wurde verletzt. 10 bis 15 Personen sollen an der Schlägerei beteiligt gewesen sein. Die eingesetzten Waffen: Schlagstöcke, Krücken, Holzstöcke, Eisenstangen, Feuerwerkskörper, Baseballschläger und Macheten.
Pistole im Nacken
Ein Mann aus La Chaux-de-Fonds wurde verprügelt und erlitt Kopfverletzungen. Anschliessend wurde er zu drei wartenden Autos gebracht. Mit den Worten «Hör auf, dich zu wehren, und halt die Klappe oder ich erschiesse dich» wurde er aufgefordert, in einen der Kofferräume zu steigen. Dann wurde er in eine Scheune in das 40 Kilometer entfernte Twann im Berner Jura transportiert. Dort wurde der Mann mit Eisenstangen und Baseballschlägern, Faustschlägen und Fusstritten verletzt.
Zudem kam es zu Todesdrohungen mit einem 20 bis 30 Zentimeter langen Säbel und einer Pistole im Nacken. Die Bieler Gangster hätten ihn dann in der ländlichen Gegend alleingelassen – ohne Telefon. Das Opfer erstattete Anzeige, zog diese aber später wieder zurück.
Weitere Verfahren in drei Kantonen anhängig
Einige der zwölf Angeklagten seien vorbestraft oder hätten sogar eine Vorgeschichte als Jugendkriminelle, sagt Ludivine Ferreira Broquet auf Blick-Anfrage. «Einige der Täter wurden mehrere Monate lang in Untersuchungshaft genommen», erklärt sie weiter. «Heute befinden sich erneut drei Beschuldigte in Untersuchungshaft, einer unter Aufsicht der Neuenburger Behörden und die beiden anderen bei den Waadtländer Behörden.» Der Termin für ihren Prozess ist nicht bekannt.
In den Kantonen Neuenburg, Bern und Waadt sind verschiedene andere Verfahren gegen die beiden Banden anhängig. 2023 scheint die Gewalt-Welle etwas abgeflaut zu sein. Die Knallhart-Strategie der Neuenburger Behörden scheint Früchte zu tragen.