Eine Drogenspritze im Keller, ein Junkie im Treppenhaus. Ein Obdachloser, der unter der Treppe schläft, aufgerissene Pakete, aufgebrochene Türen. Dreck. Die Wege und der Park, die ungenügend beleuchtet sind. Das alles klingt nach schäbiger Nachbarschaft, Billigstwohnsiedlung oder Ghetto. Tatsächlich ist es aber die Realität in einem modernen Basler Familienquartier – Erlenmatt West.
Von aussen sind die Wohnblöcke zwar schön anzusehen, erscheinen modern und gepflegt. Erst 2015 wurde das Quartier fertiggestellt. Das Internetportal erlenmatt-west.ch preist es als Stadtquartier für Singles, Paare und Familien an. «Grosszügige und attraktive Frei- und Grünräume» oder «ein Primarschulhaus und ein Kindergarten» sowie «Einkaufsmöglichkeiten und gastronomische Angebote in unmittelbarer Umgebung» würden «das Erlenmatt-Areal zu einem lebenswerten Stück Basel» machen, schreibt der Autor der Zeilen auf dem Portal.
Drogenabgabestelle ganz in der Nähe
Doch Gegenwart und jüngere Vergangenheit zeigen ein nicht sehr lebenswertes Bild. Denn die Bewohner schildern Zustände, die eines modernen Familienquartiers unwürdig sind. Einer dieser Bewohner ist Mihai T.* (36). Er wohnt am Erlkönigweg. «Eines Morgens ging ich in den Keller und fand am Boden eine Spritze und eine Nadel», sagt er zu Blick. «Ein Junkie war wohl hier. Ich denke, es war eine Frau. Denn es lagen auch gebrauchte Frauenschuhe auf dem Boden.» T. schiesst ein Foto.
Der Drogensüchtige Thomas Suter (52) hat eine Erklärung für solche Funde. Der Basler konsumiert im Gassenzimmer am Riehenring «Sugar», also gestrecktes Heroin. Er snifft oder raucht es. Die Kontakt- und Anlaufstelle liegt wenige Gehminuten vom Erlenmatt West entfernt. Suter erklärt: «In letzter Zeit findet man im Umkreis der Gassenzimmer viele Spritzen und Nadeln. Es sind Grenzgänger, die nicht ins Gassenzimmer reindürfen.» Ein paar «Deppen» würden den Grenzgängern den Stoff rausbringen. «Dann konsumieren diese im Umkreis. Wenn sie die Möglichkeit sehen, in einen Hauseingang hineinzugelangen, dann tun sie es.»
Abhängige verschaffen sich Zugang zu den Kellerräumen
Als die Blick-Reporter bei einem Ortsbesuch vom Riehenring über die brache Fläche zum Tangentenweg gehen, stolpern sie ebenfalls beinahe über ein Spritzen-Teil, das auf dem Boden liegt. Eine Nadel ist nicht dabei. Stosse man aber auf eine, sei diese immer «offen», wie Suter über die Funde im Umkreis der Gassenzimmer berichtet.
Ebenfalls wütend ist eine Bewohnerin des Tangentenwegs. In der Quartier-App, der Erlenapp, verschafft sie ihrem Ärger Luft: «Als ich nach Hause kam, sah ich einen Junkie im Treppenhaus, der in den Keller ging!»
Wegen solcher Vorfälle geht Alen Bozicevic jeweils mit einem mulmigen Gefühl in den Keller. «Ich weiss nicht, was mich erwartet», sagt der 36-Jährige, der wie Mihai T. am Erlkönigweg wohnt. Denn er habe von den Erlebnissen der anderen Bewohner in der Erlenapp gelesen.
Stärker als dieses mulmige Gefühl ist seine Angst um die Kinder im Quartier. «Wegen der herumliegenden Spritzen mache ich mir Sorgen. Ich habe einen Sohn, er ist zweieinhalb», sagt Bozicevic. Er betont den Widerspruch: «Es ist als Quartier für junge Familien mit Kindern gedacht. Mit Spielplätzen und Grünflächen.»
Auch Laurence S.** (33) fühlt sich im Quartier nicht mehr sicher: «In die Waschküche gehe ich nur noch mit dem Pfefferspray.» Auch sie hat das gleiche mulmige Gefühl wie Bozicevic: «Denn man weiss nie, was dich hinter der Tür erwartet.»
Nicht nur in der Waschküche sei mit ungebetenen Gästen zu rechnen: «Es streunen Leute in den Blocks herum, die nicht hier wohnen. Sie durchstöbern Briefkästen, klauen Pakete und Briefe, brechen Türen auf – und urinieren hin.» S. berichtet gar von aufgebrochenen Autos. Und: «Drögeler schleichen durch die Gänge. Sie gelangen wohl via Tiefgarage in die Gebäude.»
«Ein Mann schlief im Treppenhaus»
Daher ist ihr Verdikt eindeutig: «Ich empfinde es momentan als Problemquartier.» Dabei sei sie vor zwei Jahren mit gutem Gefühl hergezogen. «Sie werben mit Kitas und Mittagstischen. Die Häuser sind Neubauten. Ich hätte nie erwartet, mit solchen Problemen konfrontiert zu sein.» Ihr Fazit: «Ich empfehle niemandem mit Kindern, hierherzuziehen.»
Eine weitere Bewohnerin untermauert mit ihrem Erlebnis diese Aussage. Sie stolperte in der Nacht über einen schlafenden Mann im Treppenhaus. «Als ich aus dem Lift kam, lag ein schlafender Mann unter der Treppe bei den Kellereingängen.» Er sei aufgewacht und verwirrt gewesen. «Ich habe gefragt, was er hier mache, worauf er in schlechtem Englisch sagte: ‹No home.›» Später habe die Polizei den Mann mitgenommen.
Dieser und die anderen Berichte von Bewohnern machen Lokalpolitikerin Laetitia Block (30) wütend. Die Vizepräsidentin der SVP Basel-Stadt wohnt nur ein paar Gehminuten vom Erlkönigweg entfernt. Die Juristin fasst zusammen: «Das Erlenmatt-Quartier ist dreckig, und es gibt viele dunkle Ecken.» Kurz: «Es ist ein Quartier, in dem man sich nicht sicher fühlen kann.» Auch sie betont: «Hier wohnen Familien mit Kindern – und die Wohnungen sind nicht günstig.»
Die Ursachen für diese Probleme mit Sicherheit und Sauberkeit liegen für Block auf der Hand: «Bettler und Drögeler. Das Sprützehüüsli liegt in der Nähe. Und dass Bettler Pakete aufreissen und sie dann ohne Inhalt hinschmeissen, ist seit längerem bekannt.»
«Weg mit dem Drogehüüsli»
Doch statt zu handeln, würde die Stadtregierung die Erlenmatt-Bewohner im Stich lassen, sagt Block. «Die Polizeipräsenz hier ist zu gering.» Es sollten bei Kontrollen mehr Rayonverbote verhängt werden. Dazu: «Mehr Beleuchtung, mehr Sauberkeit.» Und: «Weg mit dem Drogehüüsli.» Sie erklärt: «Das Gassenzimmer wurde am Rande der Stadt installiert. Doch das Erlenmatt-Quartier ist mittlerweile zu nahe an das Gassenzimmer herangewachsen.»
Daniel Hofer vom Bau- und Verkehrsdepartement des Kantons Basel-Stadt (BVD) sagt jedoch zu Blick, dass ein neuer Standort für das Gassenzimmer aktuell nicht zur Debatte stehe. Die Anzahl an Spritzenfunden im Erlenmatt-Quartier sei «sehr gering», sagt auch Anne Tschudin vom Gesundheitsdepartement. «So wurden in den letzten vier Wochen zwei Materialfunde am Erlenmattplatz erfasst», sagt sie. Unter anderem entsorge die «Spritzenvespa» fachgerecht herumliegendes Spritzenmaterial, das sich im öffentlichen Raum befinde. Die Vespa fahre jeden Tag «definierte Örtlichkeiten» an, so Tschudin weiter.
Auch betreffend Sauberkeit sind die Behörden anderer Ansicht als etwa SVP-Politikerin Block. «Gemäss der Stadtreinigung ist das Erlenmatt-Quartier nicht weniger sauber als das restliche Kleinbasel und in dieser Hinsicht kein ‹Problemquartier›», sagt BVD-Sprecher Hofer.
Zusammenfassend also sind sich die Behörden einig: Im Erlenmatt-Quartier gibts keine Probleme. Eine Ansicht – so viel macht ein Besuch im Quartier klar –, welche die Bewohner nicht teilen können.
* Name geändert
** Name bekannt
Hinweis der Redaktion: In einer ersten Version stand fälschlicherweise, bei der Kontakt- und Anlaufstelle handle es sich um eine Drogen-Abgabestelle. Das ist falsch – bei der Kontakt- und Anlaufstelle wird den Süchtigen unter anderem sauberes Spritzenmaterial sowie ein Ort für den hygienischen und geschützten Konsum zur Verfügung gestellt, Drogen werden jedoch keine ausgehändigt. Wir entschuldigen uns für diesen Fehler.