Insassin erhängte sich in Basler Gefängnis – Wärter sagt vor Gericht
«Ich dachte, sie spielt das nur»

Ab Dienstag stehen drei Gefängnisaufseher und eine Aufseherin in Basel vor Gericht, weil eine Frau in Ausschaffungshaft unter ihrer Aufsicht Suizid beging. Die Richter werden die Frage zu klären haben, ob die Srilankesin mit der richtigen Hilfe überlebt hätte.
Publiziert: 24.08.2021 um 08:38 Uhr
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Aktualisiert: 25.08.2021 um 08:11 Uhr
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Die vier Gefängniswärter standen am Dienstag vor Gericht.
Céline Trachsel

Die Bilder der Überwachungskamera, die im Gerichtssaal abgespielt werden, belasten den Magen. Eine Insassin liegt bewusstlos mit durchgedrücktem Rücken und dem Gesicht in der Zellenecke am Boden. Sie hatte sich zuvor fünf Minuten lang mit ihrem eigenen Traineroberteil stranguliert.

Wärter kommen und gehen in die Zelle der bewegungslosen Frau – doch keiner kümmert sich um sie. Keiner legt sie in Seitenlage. Nicht einmal der Puls wird überprüft, von einer Reanimation sind alle Anwesenden weit entfernt. Stattdessen wird der Frau die Hose ausgezogen, wobei sie noch tiefer mit dem Gesicht in die Ecke rutscht und auf dem Bauch liegen bleibt. Sie stirbt zwei Tage später im Spital.

Reanimation erst nach 18 Minuten

Seit Dienstag müssen sich drei Gefängniswärter und eine Wärterin vor dem Strafgericht Basel verantworten. Sie sind angeklagt der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen. Die drei Richter werden die schwierige Frage zu klären haben, ob das Opfer mit der richtigen und rechtzeitigen Hilfe überlebt hätte.

Der Fall ereignete sich im Juni 2018 im Untersuchungsgefängnis Waaghof in Basel. Das Opfer, eine Frau aus Sri Lanka, befand sich in Ausschaffungshaft, doch kam wegen ihres auffälligen Verhaltens «zu ihrer eigenen Sicherheit und Überwachung des Gesundheitszustandes» in eine videoüberwachte Zelle. Dort ging sie rastlos umher, zerriss eine Decke, worauf ihr eine reissfeste gebracht wurde, schrie, schlug gegen die Wand, versuchte sich selber zu würgen, entledigte sich ihres Traineroberteils und strangulierte sich schliesslich damit.

Vier Minuten lang merkte es der Wärter vor den Monitoren nicht. Nach sieben Minuten kamen sie in die Zelle und schnitten den Strang auf. Doch keiner näherte sich der Frau, obwohl sie sich in «unnatürlicher Körperposition» befand. Die ersten Reanimationsversuche erfolgten nach 18 Minuten.

Wärter dachten, es sei Schauspielerei

«Ich dachte, sie spielt das nur», sagt einer der Wärter dem Richter. Alle vier geben an, sie hätten die Frau noch atmen hören. Ein Wärter gibt an: «Dass die Frau schon fünf Minuten gehängt hatte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Als wir die Zellentür aufgemacht hatten und sie so sahen, waren wir überfordert. Wir wollten den Knoten lösen, doch das klappte nicht. Also ging mein Kollege eine Schere holen.»

Als sie den Strick entfernt hätten, hätten die Aufseher ein Räuspern gehört und als sie die Frau ansprachen, habe diese ein Stöhnen von sich gegeben. «Für mich war klar: Sie gibt noch Antwort und atmet noch. Wir besprachen, ob sie uns etwas vorspiele, darum holten wir Wasser und sie hat als Reaktion darauf geblinzelt.»

«Es hätte die gute Chance bestanden, sie noch zu retten.»

Am Dienstag wurde auch der rechtsmedizinische Gutachter befragt. Für ihn ist klar: Die Strangulation von fünf Minuten alleine habe ausgereicht, um irreversible Schäden am Gehirn zu verursachen. Doch der Rechtsmediziner macht auch klar: «Es hätte dennoch die gute Chance bestanden, sie noch zu retten.» Nach Abschneiden des Traineroberteils habe das Gehirn zwar wieder durchblutet werden können. «Aber stattdessen trat bei der Frau ein neuer Zustand ein, nämlich der der abnormen Körperposition», so der Gerichtsmediziner.

Zwar sei der Suizidversuch ursächlich für den Tod der Frau. Aber nach Abschneiden des Strangs gingen nochmals 13 Minuten ins Land, bis das Opfer auf den Rücken gedreht wurde. «Das ist für die Behinderung der Atmung ein sehr, sehr langer Zeitraum und lange genug, um daran zu sterben.»

Frau hätte trotz Seitenlage noch sterben können

Laut Anklageschrift sei der Tod der Insassin «den Beschuldigten zurechenbar». Der Ankläger ist sich gestützt auf das rechtsmedizinische Gutachten sicher: Hätten die Beschuldigten nach Entdecken der Strangulation pflichtgemäss adäquate Rettungsmassnahmen ergriffen – wie etwa die Anwendung der ABC-Regel – dann wäre eine erfolgreiche Rettung der Insassin durchaus noch möglich gewesen.

Die Anwälte der Angeklagten dürften dies im Prozess versuchen zu widerlegen. So fragte einer der Strafverteidiger den Rechtsmediziner: «Aber die Frau hätte selbst bei sofortiger Rettung noch an den Folgen der Strangulation sterben können?» Die Antwort des Rechtsmediziners: «Korrekt.»

Das Urteil soll am Freitag fallen.

Das ist die ABC-Regel

Die international bekannte ABC-Regel ist ein Massnahmenschema, nach dem in der Notfallmedizin bei einer Reanimation vorgegangen werden soll. Die Buchstaben besagen, was zu tun ist:

A («Airway»): Atemwege freimachen und offen halten.
B («Breathing»): Beatmen.
C («Circulation»): Durchführung einer Herzdruckmassage.

Die ABC-Regel ersetzte die frühere Eselsbrücke GABI (Gibt er Antwort? Atmet er? Blutet er? Ist der Puls in Ordnung?).

Die international bekannte ABC-Regel ist ein Massnahmenschema, nach dem in der Notfallmedizin bei einer Reanimation vorgegangen werden soll. Die Buchstaben besagen, was zu tun ist:

A («Airway»): Atemwege freimachen und offen halten.
B («Breathing»): Beatmen.
C («Circulation»): Durchführung einer Herzdruckmassage.

Die ABC-Regel ersetzte die frühere Eselsbrücke GABI (Gibt er Antwort? Atmet er? Blutet er? Ist der Puls in Ordnung?).

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