Walter Schäfer (54) spaziert mit seiner Frau Carolina (50) und Tochter Elisa (15) durch den Wald. Die Sonnenstrahlen schenken der Familie aus Ziefen BL ein wenig Trost. Denn ein Familienmitglied fehlt: ihre Tochter und Schwester Nicole (†14).
Die Sekundarschülerin stürzte am 6. Oktober 2016 bei Wanderferien im österreichischen Silbertal in den Tod. Dies, weil ein Holzgeländer einbrach, an dem sich Nicole abgestützt hatte. Ihre Eltern und Elisa mussten alles mitansehen.
Der Kampf an den Gerichten
Danach kämpften die Eltern erfolglos um Gerechtigkeit. Denn lange hiess es: Nicole sei, obwohl das Geländer morsch war, selber schuld gewesen.
Bis jetzt! «Wir haben auf dem zivilrechtlichen Weg recht erhalten», sagt Walter Schäfer zu Blick. «Jetzt steht endlich fest, dass Nicole nicht an ihrem Tod schuldig ist.»
Erstes Urteil waren «Stiche ins Herz»
Zuvor hatten die Schäfers am 23. Januar 2018 vor dem Bezirksgericht Bludenz (A) verloren. Zwei Gemeindearbeiter, die für die Kontrolle des Zauns zuständig waren, wurden freigesprochen. Die Richterin hatte Experten geglaubt, die sagten, die Beschuldigten hätten ihre Arbeit gewissenhaft gemacht. Für die Schäfers waren dies «Stiche ins Herz».
Nicht nur dies. Sie mussten zudem um die Zahlung der Heli-Kosten für die Rückführung des Leichnams kämpfen. Hatten Ärger mit der Krankenkasse. Und mussten gar auf einen Gedenkstein an der Unfallstelle warten.
Freispruch auch im Berufungsprozess
Dem nicht genug. Am 20. Februar 2019 folgte die nächste Niederlage: Auch nach der Berufungsverhandlung vor dem Landesgericht Feldkirch gab es einen Freispruch. «Damit war die strafrechtliche Aufarbeitung beendet», sagt Schäfer.
Doch sie kämpften weiter. «Wir wollten es nicht akzeptieren, dass niemand am Tod unsere Tochter schuld ist.» Am 24. Mai 2019 reichten die Eltern – er arbeitet als Pflegehelfer, sie als Kita-Aushilfe – mithilfe eines Anwalts ihrer Rechtsschutzversicherung eine zivilrechtliche Klage gegen Silbertal ein.
Laut Gutachten Pilzbefall am Geländer
Am 25. November 2019 folgte die erste Verhandlung vor dem Landesgericht Feldkirch (A). «Dort kippte die Stimmung», sagt Schäfer. Es sei erstmals ein mikrobiologisches Gutachten in Auftrag gegeben worden, das am Geländer gar einen Pilzbefall feststellte.
Resultat: «Am 18. März dieses Jahres sprach das Gericht in einem Zwischenurteil davon, dass die Gemeindearbeiter grobfahrlässig gehandelt hatten», so Schäfer. Am 3. August habe das Oberlandesgericht Innsbruck die Rechtskräftigkeit des Urteils gesprochen. «Dies war für uns eine grosse Erleichterung. Endlich wurde bestätigt, dass Nicole keine Schuld trifft.»
«Nicole lebt in uns weiter»
Danach seien noch die Schadenersatz- und Genugtuungssummen geregelt worden. «Wir haben eine Summe im tiefen sechsstelligen Bereich erhalten», sagt Schäfer. Damit würden sie all die Ausgaben decken und die angehäuften Schulden der letzten fünf Jahre zahlen können. Aber: «Es ging uns nie ums Geld, sondern nur um die Gerechtigkeit!»
Die Kraft für den langen Kampf hätten sie von Nicole erhalten, ihrem Engel. Der Kreis habe sich nun geschlossen. Aber Walter Schäfer hat auch heute noch das Gefühl, der Unfall sei erst gestern passiert. Er, seine Frau und Elisa spüren: «Nicole ist immer noch präsent und lebt in uns weiter. Für immer.»