Ein Schlag, ein Schock, ein Scherbenhaufen: Der Vorfall in der Nacht auf Donnerstag in Zürich dauerte nur wenige Sekunden, wurde aber von Sicherheitskameras festgehalten. Brian Keller (28), 2013 durch einen SRF-Dokfilm als «Carlos» bekannt gewordener Jugendstraftäter im Sondersetting, stürmt auf Giorgio L. (32) zu und reckt ihm die Faust entgegen. Sein Widersacher erleidet vermutlich mehrere Jochbeinbrüche. Er hat den Angreifer verzeigt.
L. ist in einschlägigen Kreisen unter dem Namen «Skorp808» als Tiktok-User bekannt, die Streithähne sind einander immer wieder begegnet – in Gefängnishöfen, aber auch draussen. Die Prügelei ist somit nur der vorläufige Schlusspunkt in der Beziehung zweier Berserker, die einst, so heisst es, eine Freundschaft gewesen sein soll.
Prominente Anwälte
All dies nützt Brian Keller derzeit aber nichts, die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchte schwere Körperverletzung vor. Am Abend des heutigen Sonntags entscheidet das Gericht voraussichtlich über einen Antrag der Strafverfolger, den mutmasslichen Delinquenten in U-Haft zu setzen. Dessen Freiheit hätte damit nur etwas mehr als 170 Tage gedauert. Der Zürcher hatte bereits den Grossteil seines Lebens hinter Gittern verbracht, bis er am 10. November letzten Jahres den Knast verliess. Der Freispruch wurde zum grossen Triumph seiner Verteidiger, einer Truppe aus erfahrenen, gleichwohl schillernden Anwälten der linken Szene, die womöglich auch einen Reiz darin sahen, es auf ihre alten Tage noch einmal mit der staatlichen Obrigkeit aufzunehmen.
Hauptfigur im Kunstprojekt
Brian Keller wurde mancherorts zum Opfer der gesellschaftlichen Umstände geadelt. Seine Lage zwischen diversen verschachtelten Strafverfahren schien nur noch durch Glück und Zauberei lösbar zu sein. Das altprovenzalische Wort für Zauber lautet «mascoto», daraus entwickelte sich «masco» für Zauberer oder Hexe – und später der deutsche Begriff Maskottchen. Brian Keller wurde in manchen Kreisen laut bösen Zungen unfreiwillig zu einem solchen; sein Kampf für die Freiheit diente Teilen des Juste Milieu als Vorzeigeprojekt, der junge Mann wurde zum Kronzeugen im Engagement für Menschenrechte und im Streben nach einer humaneren Justiz.
Mehr über den Fall Brian
Während er von der Law-and-Order-Fraktion schlicht als «Messerstecher» tituliert wurde, erklomm er die Rolle als Hauptfigur eines alternativen Kunstprojekts («Big Dream») samt Mahnmal und Performances. Das Onlinemagazin «Republik» hievte ihn noch vor wenigen Wochen für ein Podiumsgespräch auf die Bühne und widmete ihm einen dreiteiligen Podcast mit dem Sound eines Entwicklungsromans.
Boxkarriere statt solider Lehre
Nach dem Freispruch kündigten seine Unterstützer die grosse Wiedergutmachung an, Justizvorsteherin Jacqueline Fehr (60) sah sich zu einer Erklärung genötigt und der ehemalige Chef des Zürcher Justizvollzugs hat sich bei Brian Keller entschuldigt. Das Umfeld des Delinquenten pushte ihn in die Boxkarriere, statt ihn zu einer soliden Lehre zu bewegen. Eine ehemalige Betreuerin Kellers redet gegenüber Blick naserümpfend von «Brians Fanklub».
Nun hat Brian einen verhängnisvollen Fehler gemacht; nur wenige Sekunden veränderten alles. Seine Gegner bei der Staatsanwaltschaft wetzen die Messer. Jetzt droht der ehemalige Jugendstraftäter so tief zu fallen wie noch nie in seinem jungen Leben.
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