Zoff in der grössten Gewerkschaft der Schweiz: Bei der Unia Bern ist ein Streit zwischen der Basis und den Chefs ausgebrochen. Es geht um Druck, Stress und einen autoritären Führungsstil.
Vergangene Woche gipfelte die Auseinandersetzung in einem Protestmarsch. Angestellte der Unia-Einheit Bern-Oberaargau-Emmental übergaben ihrer Geschäftsleitung ein Protestschreiben.
Der Brief liegt SonntagsBlick vor. Darin schreiben die Verfasserinnen und Verfasser: «Seit längerem stellen wir ein Verhalten von Seiten der Leitung gegenüber uns Mitarbeiter*innen fest, wel- ches den offenen und anständigen Um- gang, der in der Einheit früher gepflegt wurde, vermissen lässt.» Die Rede ist von Zwangsversetzungen und angeblich willkürlichen Entlassungen.
Das Verhalten der Chefs nennen die Mitarbeiter im Brief «autoritär». Die Angestellten fordern mehr Transparenz und Ehrlichkeit, die Einhaltung von Personalreglementen und «echte Mitwirkung des Personals anstatt Arbeitgeberdiktatur».
Immenser Druck
SonntagsBlick hat mit betroffenen Angestellten geredet. Anja*, die seit vielen Jahren als Gewerkschaftssekretärin arbeitet, erhebt heftige Vorwürfe gegen ihre Vorgesetzten: «Die Unia hat mich krank gemacht. Nach Jahren voller Überstunden und unerreichbarer Zielvorgaben stand ich kurz vor dem Kollaps. Nun bin ich krankgeschrieben.» Der Druck von oben sei immens. «Unsere Einsatzbereitschaft für das Gute wird gnadenlos ausgenützt – wir opfern uns auf, werden aber ausgepresst wie Zitronen und dann weggeworfen.» Die menschlichen Schicksale würden die Unia-Chefs nicht kümmern.
Anja hofft noch immer, dass sich die Situation bessert und der Frust unter den Angestellten nicht noch weiter eskaliert. «Die Leitung muss uns ernst nehmen. Die Bedingungen müssen sich bessern.»
Von den Chefs ignoriert
Auch Benjamin* war bei der Unia Bern angestellt – bis zum gesundheitlichen Zusammenbruch. Heute sagt er: «Schuld daran war die Unia. Meine Vorgesetzten verlangten immer mehr und mehr von mir. Teils habe ich bis zu 150 Prozent geschuftet.» Hilferufe hätten die Chefs ignoriert.
Der Konflikt in der Unia Bern schwelt schon lange. Endgültig entzündet hat er sich im vergangenen Mai, als die Angestellten an einer Sitzung von den Chefs darüber informiert wurden, dass die Sektionen Bern und Oberaargau-Emmental fusioniert werden sollen.
Mittlerweile wurde die Fusion vollzogen – unbemerkt von der Öffentlichkeit. Die Zusammenlegung begründete der Vorstand laut Sitzungsprotokollen damit, in der Sektion Oberaargau-Emmental laufe seit längerer Zeit «nicht alles rund». Und das Personal sei am Anschlag. Eine weitere Rolle spielten die seit Jahren stetig sinkenden Mitgliederzahlen.
Die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter an der Basis sehen in der Zusammenlegung eine neoliberale Taktik hin zu zentralisierten Strukturen. Die Regionen würden von der nationalen Leitung seit Jahren vernachlässigt und ausgehungert, obwohl die Unia-Zentrale auf einem Millionenvermögen sitze.
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Unia-Zentrale dementiert
Bei der Zentrale weist man die Anschuldigungen zurück. Die Darstellung der Angestellten könne man «nicht bestätigen». Mediensprecher Philipp Zimmermann sagt: «Mit Sorge erfüllt die nationale Geschäftsleitung, dass Bern-Oberaargau-Emmental die Unia-Region ist, die in den letzten zehn Jahren konstant und am meisten Mitglieder verloren hat, und die von der Region selber festgelegten Ziele bei weitem nicht erreicht werden.» Darum sei es richtig, wenn die regionale Leitung reagiere und die notwendigen Schritte einleite.
Wie in jeder Organisation müssen die Mitarbeiter laut Zimmermann gemeinsam definierte und realistische Ziele erfüllen. Zum Protestbrief der Angestellten will Zimmermann nichts sagen: «Wir äussern uns grundsätzlich nicht öffentlich zu internen Schreiben an die Geschäftsleitung.»
Die Berner Sektionen sind seit jeher das gallische Dorf innerhalb der Unia. 2019 wurde der langjährige Präsident der Unia Berner Oberland nach einem wüsten Machtkampf mit der nationalen Geschäftsleitung abgesetzt. Zusammen mit Verbündeten forderte er damals den Rücktritt der Unia-Chefin Vania Alleva und sagte: «Die Unia wird diktatorisch geführt.» 2011 eskalierte ein Streit zwischen Bern und der Zentrale sogar so weit, dass ein Teil der Belegschaft in einen wochenlangen Streik trat.
* Namen geändert