Sie vermehren sich explosionsartig, sorgen für Stromausfälle und sind fast nicht zu stoppen: die Ameisen-Gattung «Tapinoma magnum». In Baden-Württemberg hat die erste Stadt Alarm geschlagen. Das schwarze Krabbeltier bringe zahlreiche Einwohnerinnen und Einwohner zur Verzweiflung, heisst es auf der Homepage der Stadt Kehl. «Das ist richtig krass, das habe ich so noch nie gesehen», wird ein Schädlingsbekämpfer zitiert. Seit vergangenem Herbst seien Flächen mit Ameisennestern fünfmal intensiv mit Heissschaum besprüht worden. Doch es krabbelt millionenfach weiter: auf Spielplätzen, in Verteilerkästen, bei Anwohnern zu Hause.
Nicht nur deutsche Städte werden von der Plage heimgesucht. «Es gibt viele Schweizer Gemeinden, die infiziert sind», sagt Laurent Keller auf Blick-Anfrage. Der Ameisen-Experte war fast 30 Jahre lang Professor für Evolutionsökologie an der Universität Lausanne und forschte zu Insekten, insbesondere Ameisen. Allein in der Nähe von Lausanne gebe es aktuell etwa 20 bekannte Orte mit dieser Ameisenart. «Und sie wird sich weiter ausbreiten.» Keller spricht von einer «besorgniserregenden» Entwicklung, denn: Es gebe aktuell keine Möglichkeit, die Invasion erfolgreich zu bekämpfen.
Wird sie zerdrückt, riecht es nach ranziger Butter
Die Tapinoma magnum stammt eigentlich aus dem Mittelmeerraum. «Sie wurden über Gartencenter nach Deutschland und in die Schweiz gebracht», erklärt Keller. Der Experte bestätigt auch die Meldung aus Deutschland, dass die Ameisenart für Strom- und Internetausfälle sorgen könne: «Sie leben gerne in einer engen Umgebung, also mögen sie etwa elektrische Verteilerkästen.»
Der Unterschied zu hiesigen Ameisen: Die Tapinoma magnum verträgt Frost recht gut, sie ist also auch im Winter aktiv. Jedes Nest kann bis zu 350 Königinnen beherbergen. Wenn man eine Ameise zerdrückt, riecht sie nach ranziger Butter. Für den Menschen stellt die Ameise keine unmittelbare Gefahr dar. Sie sticht nicht und überträgt keine Krankheiten – aber sie kann beissen. Anders sieht ihr Einfluss in der Natur aus: Sie bedroht einheimische Ameisen und kann die Artenvielfalt beeinflussen. Die Tapinoma magnum bildet sogenannte Superkolonien. Dabei unterscheiden Arbeiterinnen nicht zwischen dem eigenen und dem Nachbarnest – anders als unsere hiesigen Ameisen, die geografisch definierte Nester haben. «Wenn ich ein Nest der invasiven Tapinoma bekämpfe, bekommt das Nachschub vom Nachbarnest», erklärt Biologin Dr. Bettina Landau, die bei der Schädlingsbekämpfungsfirma Desinfecta AG in der Abteilung Entwicklung und Qualität arbeitet.
«Bei 50 Nestern hat man verloren»
Zwar habe die Desinfecta bisher nicht wegen der invasiven Ameise ausrücken müssen, aber «das Vorkommen ist uns seit 2021 bekannt und unsere Mitarbeiter sind sensibilisiert und geschult». Heisst: Ist eine Ameise sehr klein und kommt zahlreich vor, sammeln Mitarbeitende Proben ein und schicken diese ein, um sie bestimmen zu lassen. Wichtig sei, die Ausbreitung von Beginn weg zu stoppen. «Wenn es bereits 50 Nester sind, hat man verloren», sagt Bettina Landau. Das Einzige, was man dann noch machen könne, sei, die Tiere lokal zu begrenzen. «In solchen Fällen gehen wir nicht mehr von Tilgung, sondern Schadensbegrenzung aus.»
2017 sorgte die waadtländische Gemeinde Cully für nationale Schlagzeilen. Erst schlug eine Kinderkrippe, dann ein Friedhof wegen der invasiven Krabbeltieren Alarm – bis sich Kolonien auf 2,5 Hektaren ausgebreitet hatten. Die Eindringlinge seien «sehr wahrscheinlich» durch eine Topfpflanze eingeschleppt worden, sagte eine Gemeinderätin damals. Spezialisten eilten der Gemeinde zu Hilfe, doch der Erfolg mit Insektiziden war dürftig. «Es ist nicht klar, wie man dieser invasiven Ameisenart beikommen kann, und eine Bekämpfung ist immer mit einem hohen personellen und finanziellen Aufwand verbunden – und dies bei ungewissen Erfolgschancen», sagte auch der Biologe Daniel Cherix an einem Vortrag 2019.
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