Auf einen Blick
- Studie zeigt: Sexarbeitende sind überproportional von Gewalt betroffen
- 70 Prozent der befragten Prostituierten haben sexualisierte Gewalt erlitten
- Polizei nimmt sie nicht ernst
Sexarbeit ist ein diskretes Geschäft. Wie es den Frauen geht, ist wenig erforscht. Aktuelle Zahlen zur Verbreitung von Gewalt im Sexgewerbe fehlen. Diese Lücke verkleinert nun Procore, das Netzwerk für die Rechte von Sexarbeitenden. Heute hat es eine explorative Studie (nicht repräsentativ) über Gewalt im Sexgewerbe vorgestellt und gezeigt: Sexarbeitende sind überproportional betroffen.
In Zusammenarbeit mit unabhängigen Forscherinnen hat Procore 24 Prostituierte im Alter von 28 bis 63 Jahren befragt. Die meisten haben Migrationshintergrund und arbeiten auf der Strasse, in Salons, Hotels oder zu Hause. Das Ergebnis: 70 Prozent haben sexualisierte Gewalt erlitten, «Stealthing» ist am meisten verbreitet – wenn der Mann das Kondom ohne Zustimmung der Frau entfernt. 38 Prozent wurden geschlagen und die Hälfte berichtet von Diskriminierung, Beleidigungen und Diebstahl. Die meisten Täter sind Freier. Aber auch Passanten, Kolleginnen und Ehepartner sind darunter.
Die Polizei ist eine Hürde
«Alarmierend, aber nicht überraschend» seien die Resultate, sagt Procore-Geschäftsleiterin Rebecca Angelini. Doch sie zeigten, wo die Politik ansetzen müsse.
Fest steht: Je prekärer die Lebensumstände der Frauen sind, desto anfälliger sind sie für Gewalt. Oft versuchen sie, sich selbst zu schützen, wie die Studie zeigt. Eine sagt: «Ich bin vorsichtiger bei der Auswahl von Klienten.» Gerade, wenn sie alkoholisiert oder high sind. Eine Hürde ist die Polizei. Die Frauen haben Angst, dass die Beamten sie nicht ernst nehmen, diskriminieren oder gar ausschaffen. Eine Sexarbeiterin sagt: «Die Polizei hat nichts unternommen und mich so behandelt, als wäre ich für die Misshandlung und den Diebstahl des Kunden selbst verantwortlich.»
Kontroverse um Sexkaufverbot
Die Hauptforderung von Procore in der Studie lautet: «Keine Kriminalisierung der Sexarbeit und kein Verbot des Kaufs sexueller Dienstleistungen». Die Legalität baue die Hemmschwelle ab, sich Hilfe zu holen.
Die Erhebung hat einen politischen Hintergrund. In der Schweiz ist Prostitution legal, dieses Modell steht international unter Druck. Im Sommer bezeichnete Reem Alsalem, die UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen, unter anderem die Schweiz deshalb als «Zuhälterstaat». Sie schrieb im Jahresbericht: «Prostitution führt zu (...) vielfältigen Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen.»
Procore ist gegen eine Kriminalisierung und schlägt stattdessen Massnahmen vor: Sexarbeitende sollen Gewaltdelikte anzeigen können, ohne ausländerrechtlich belangt zu werden. Zudem brauche es mehr Ressourcen für die Prävention gegen Gewalt im Rotlichtmilieu.