Vergangenen Februar kam ein dunkles Kapitel ans Licht: Schweizer Paare adoptierten bis in die 90er-Jahre 881 Kinder aus Sri Lanka. Die Adoptionen organisierte eine mafiöse Kinderhandels-Industrie: Papiere wurden gefälscht, Kinder zur Adoption freigegeben, ohne dass die leiblichen Eltern einverstanden waren, und es kam zu systematischen Zeugungen auf sogenannten «Babyfarmen». Die Schweizer Behörden stoppten die Adoptionen nicht, obwohl sie alles wussten.
All das deckte ein Forschungsbericht der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften auf (ZHAW). Jetzt äussert sich zum ersten Mal der Bundesrat dazu.
Bundesrätin Karin Keller-Sutter spricht ihre Anteilnahme aus
Justizministerin Karin Keller-Sutter (56) sprach vor den Medien im Namen des Bundesrats ihr Bedauern aus. «Der Bundesrat anerkennt, dass diese Verfehlungen bei den Betroffenen viel Leid verursacht haben, das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.»
Die Behörden auf kantonaler und Bundesebene hätten sich hinter ihren Zuständigkeiten versteckt. «Letztlich übernahm niemand die Verantwortung.»
Auch Fredy Fässler (61), der Präsident der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren, räumte im Namen der Kantone Verfehlungen ein. «Wir müssen uns darum kümmern, dass ähnliche Fehler heute nicht mehr passieren.»
Adoptionssystem soll auf Schwächen überprüft werden
Der Bundesrat will nun die Betroffenen bei ihrer Herkunftssuche unterstützen. Wie genau lässt Keller-Sutter noch offen. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern von Bund, Kantonen und Betroffenen-Organisationen soll Vorschläge ausarbeiten. Eine weitere Expertengruppe soll auch das heutige Adoptionssystem auf Schwachstellen hin prüfen. Zudem gibt der Bundesrat eine Forschungsarbeit in Auftrag, die vergangene Adoptionen aus weiteren Herkunftsländern untersuchen soll. Allein aus Indien wurden damals dreimal mehr Kinder adoptiert als aus Sri Lanka.
Die Schweiz ist das erste Land, das in der Sache handelt. Weltweit adoptierten Paare 11’000 Babys aus Sri Lanka. Sarah Ineichen (39), Präsidentin der Betroffenen-Organisation Back to the Roots, sagt: «Dass die Schweiz unser Unrecht anerkennt, wird ganz sicher eine Wirkung auf die anderen Länder haben.» Zur Antwort des Bundesrats sagt sie: «Es eine grosse Erleichterung für uns und ein Meilenstein für alle Adoptierten aus dem Ausland.»
Auch Sarah Andres (35), eine weitere Betroffene, sagt: «Jetzt wo unser Schicksal anerkannt ist, können die Wunden heilen.» Bis heute müssen sich viele ehemals Adoptierte in ihrem Umfeld für ihre Herkunftssuche rechtfertigen. «Sie gelten als undankbar.» Sie hofft, dass sich das durch dem Bundesratsentscheid nun ändert.
Suche nach den Eltern ist schwierig
Auf Opferhilfe können die Betroffenen kaum hoffen, weil die Taten im Ausland begangen wurden und die Fälle meist verjährt sind. Für die Betroffenen stehen die Behörden jetzt in der Verantwortung, dass die ehemals Adoptierten wenigstens ihre Mütter finden. Die Suche ist schwierig. Oft haben sie keine Geburtsurkunden. Wenn doch, sind sie mit erfundenen Namen von Müttern versehen oder mit solchen von Schauspielerinnen, die Geld für ihre Unterschrift bekamen. Von 200 Adoptierten, die bei Back to the Roots dabei sind, haben 12 ihre Eltern gefunden. Ohne Abklärungen und DNA-Tests vor Ort wäre dies nicht möglich gewesen. Sarah Ineichen fordert: «Der Schweizer Staat muss für die DNA-Tests aufkommen.»
Zudem fordert sie eine staatsunabhängige Fachstelle, die die Betroffenen unterstützt. «Viele haben Hemmungen, die Hürden sind hoch», sagt sie. Heute kümmern sich die gleichen Staatsstellen um ihre Anliegen, die die illegalen Adoptionen damals möglich machten.
Die Herkunftssuche ist belastend, das weiss Sarah Andres. Sie wurde 1985 adoptiert, obwohl auf ihren Adoptionsunterlagen die Unterschrift der Mutter – die Zustimmungserklärung – fehlt. Dank eines DNA-Tests von Back to the Roots fand sie diese dennoch. 2018 traf sich die beiden zum ersten Mal, und Andres stellte fest: «Die kulturelle und sprachliche Barriere macht es schwierig, einen engen Kontakt aufzubauen.» Es sei erst der Anfang eines langen Prozesses.
Die Zahl internationaler Adoptionen geht zurück, rund 70 waren es letztes Jahr. Trotzdem gibt es auch heute noch Missstände. Vergangenen April verurteilte das Luzerner Kriminalgericht einen Schweizer Adoptionsvermittler wegen Bestechung von Beamten in Sri Lanka. Ineichen fordert ein standardisiertes Prüfungsverfahren in allen Kantonen.