Adoptiveltern logen Noël Kaiser (38) an
Wurde er als Baby geraubt?

Noël Kaiser (38) wurde in den 80ern von einem Schweizer Paar adoptiert – durch die Vermittlung einer berüchtigten sri-lankischen Kinderhändlerin.
Publiziert: 27.02.2020 um 23:08 Uhr
|
Aktualisiert: 14.12.2020 um 12:36 Uhr
1/8
Noël Kaiser (38) wurde 1981 von einer sri-lankischen Kinderhändlerin in die Schweiz gebracht.
Foto: STEFAN BOHRER
Rebecca Wyss

Als Kind schaute Noël Kaiser (38) immer fasziniert seine Schwester an. Wie sie sich bewegte, was sie sagte, wie laut sie doch war – ein Abbild der Mutter. «Ich fragte mich, was ich wohl von meinen Eltern hatte.» Wenn er sie sich vorstellte, sah er zwei dunkelhäutige Menschen. Mehr wusste er nicht. Und so fing er an, seinen Adoptiveltern Fragen zu stellen.

Das Paar aus der Umgebung von Solothurn hatte zwei leibliche Kinder und adoptierte drei weitere hinzu. 1981 kam Noël in die Familie. Und es fehlte ihm an nichts, wie er sagt. Seine Kindheit sei «wunderschön» gewesen.

Was er damals aber nicht ahnte und heute weiss: Die sri-lankische Kinderhändlerin Dawn Da Silva schmuggelte ihn als Baby in die Schweiz. Die Adoptiveltern kannten sie gut, erinnert sich Kaiser in seinem Wohnzimmer in Basel. «Da Silva besuchte meine Eltern zu Hause.»

Die Adoptiveltern belogen ihn

Wenn er seine Adoptiveltern fragte, woher er komme, kam immer die gleiche Antwort: «Sie sagten mir, ich sei aus Indien.» Man habe ihn von dort nach Sri Lanka gebracht, so sei er in die Schweiz gekommen. An dieser Geschichte hielt sich der Junge fest. Er schaute jeden Dokumentarfilm, den er über Indien fand; plante, später mal nach Indien zu reisen; befasste sich mit den Wildtieren, die es dort gab. «Ich nahm mich als Inder wahr.»

Trotzdem fand er keine Ruhe. «Ich fühlte mich immer verloren und nirgends richtig zugehörig.» Als Teenager verglich er sich mit anderen Buben, haderte damit, dass er zierlicher gebaut war als sie – und schwarz. Damals suchte er Halt in Cannabis und Kokain.

Vor zwei Jahren kam dann der Wendepunkt: Seine jüngste Adoptivschwester fand ihre leibliche Mutter – in Sri Lanka. Jetzt fing auch er an, seine Eltern zu suchen. Und erlebte eine Überraschung: «Mein Geburtsort lag nicht in Indien, sondern in Sri Lanka.» Die Adoptiveltern hatten gelogen – warum, weiss er bis heute nicht. Seine Mutter starb 2010, sein Vater spricht kaum darüber.

Falsche Geburtsangaben

In der gleichen Zeit stiess er im Internet auf die Schweizer Organisation Back to the Roots. Sie unterstützt Adoptierte aus Sri Lanka darin, ihre leiblichen Mütter zu finden und umgekehrt. So fand Noël Kaiser heraus, dass seine Mutter, wie sie in seiner Geburtsurkunde steht, nicht existiert. Ihm kommt auch sein Geburtsdatum komisch vor: 5. 5. 1981. Zu rund. Wahrscheinlich erfunden. «Das hat mir erst mal den Boden unter den Füssen weggezogen», sagt er.

Er hatte vom Kinderhandel gehört, den Müttern, denen man das Kind weggenommen hatte. «Ich hatte so gehofft, nicht so ein Kind zu sein.» Weil so die Chance gross ist, dass er seine leibliche Mutter nie finden wird.

Mittlerweile hat er sich wieder gefangen. Auch wegen einer Reise nach Sri Lanka, wo er sich vom ersten Tag an wie «zu Hause gefühlt» hat. Die Wut ist aber geblieben. Vor allem auf Dawn Da Silva. «Wie kann man mit Menschen, mit Kindern nur so umgehen?»

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?