Pablo Rauch (17): «Ich bin recht gspürig»
Es gilt als typischer Frauenjob, aber das stört den 17-jährigen Pablo Rauch nicht im Geringsten. Im Gegenteil: Für die Arbeit in der Kita bekommt er von seinen Freunden viel Lob.
Er spricht von der Limmat wie von seiner Freundin. Seit Tag 1 sei da eine grosse Verbundenheit gewesen. Vor der Arbeit, nach der Arbeit springt er in den Fluss, auch alleine. Pablo Rauch ist in Zürich am Wasser aufgewachsen. Nur etwas zieht ihn ähnlich an wie der Fluss: der Fussballplatz. Auch da verbringt der junge Mann viel Zeit. Und zwar seit seinem siebten Geburtstag: Er spielt bei den Junioren des SV Höngg. Linker Flügel.
Vor einem Jahr hat er angefangen zu skaten. «Mega cool» sei das. Und seit zwei Monaten trainiert er im Gym. Die Erwartung an Männer sei schon, muskulös zu sein. Manchmal denkt Rauch daran, wie es wäre, einen Handwerksberuf auszuüben. «So richtig mit den Händen an einer Maschine», sagt der 17-Jährige gestikulierend und muss über seine Aussage lachen. Er meint damit: einen «typisch männlichen» Beruf. Rauch hat sich hingegen einen «typischen Frauenberuf» ausgesucht. Er lernt FaBe – Fachmann Betreuung und arbeitet in einer Kita der Stiftung GFZ, erstes Lehrjahr. Seine Schwester hat die Ausbildung am selben Ort gemacht – er holte sie oft ab, war am Zukunftstag. Auch als Förster und Optiker hat er geschnuppert, doch Rauch arbeitet viel lieber mit Kindern.
Meistens arbeiten in den Kitas Frauen, neben Pablo Rauch gibt es nur einen weiteren Mann im Team. Warum? «Viele Männer kommen gar nicht erst auf die Idee», sagt Rauch. «Sie geben dem Beruf gar keine Chance, und so merken sie gar nicht, dass es cool sein könnte.» Von seinen engen Freunden arbeitet niemand in einer Kita. Eine blöde Bemerkung haben sie jedoch nie gemacht. Rauchs Umfeld sei eben cool.
Bei seinen Freundinnen aus dem Gymi und bei seiner älteren Schwester seien Themen um Gleichberechtigung sehr präsent. Sie waren auch beim Frauenstreik dabei. Rauch selbst war noch nie an einem Streik. Verunsichert über seine Rolle als junger Mann oder darüber, was er sagen darf und was nicht, ist Rauch nicht. Darüber muss er sich auch keine Gedanken machen. «Ich bin recht gspürig», sagt er über sich selbst. «Ich weiss eigentlich immer, ob etwas angebracht ist oder nicht.» Auf die Frage, von wo er das habe, sagt er, das sei sein Charakter. Auch die Erziehung spiele sicher eine wichtige Rolle. Rauchs Eltern trennten sich, als er im Kindergarten war. Zu beiden hat er ein sehr gutes Verhältnis, er wohnt abwechselnd bei Mutter und Vater.
Froh darüber, ein Mann zu sein, ist er, wenn er auf dem Heimweg ist nach dem Ausgang. Wobei man auch als Mann in Zürich manchmal Angst habe, «dass man blöd angepöbelt wird oder zusammengeschlagen». Frauen hätten es dafür bei anderen Dingen einfacher. Sie würden öfter angesprochen, sagt Rauch. Wobei das Problem sei, dass das schnell ins Negative kippen könne. Er selbst habe keine Mühe, Frauen anzusprechen – und das glaubt man dem sympathischen und feinfühligen Lernenden sofort. Pablo Rauch ist gerne ein Mann. Und er mag die Gespräche mit seinen Freunden: «In der Gruppe zusammen zu sein, ist ein gutes Gefühl.»
Alexandra Fitz
Xhelal Tupella (20): «Ich will ein offener Ehemann sein»
Wie denkt ein junger Kosovo-Aargauer wie Xhelal Tupella über Männlichkeit?
Ein Wohnblock in Strengelbach AG. Aufgepinselt, eingerahmt – wo man hinschaut, breitet der schwarze Adler auf rotem Grund seine Flügel aus. Kosovo, sonst weit weg, ist in dieser Wohnung ganz nah. Und mit ihm über den Raum verteilt seine Helden: Widerstandskämpfer, politische Führer und ein Mann mit UCK-Logo auf dem Cap und Gewehr in der Hand – Xhelal Tupellas Vater. Dieser kämpfte vor zwanzig Jahren für die UCK, die sogenannte Befreiungsarmee Kosovos im Krieg gegen die serbische Armee, flüchtete in die Schweiz. Nun sitzt der 20-jährige Sohn am elterlichen Wohnzimmertisch und sagt: «Mein Vater ist ein Vorbild für mich.»
Wann ist ein Mann ein Mann? Für Tupella steht fest: «Wenn er Verantwortung für sich, für die Familie und andere übernimmt.» So wie sein Vater. Was das heisst, wird er bald erfahren.
Tupella ist das letzte der sechs Tupella-Kinder, das noch nicht flügge geworden ist. Seine Tage im Nest sind aber gezählt. Am 30. Juli 2023 wird er seine Verlobte heiraten. Tupella wird Ehemann sein.
Lange hatte er vor allem eines im Kopf: Fussball. Der 1,98 Meter grosse Goalie wollte Karriere machen, wurde von Scouts entdeckt, spielte in Nachwuchsteams des FC Chiasso und des FC Luzern, dann kam der Dämpfer: Probleme mit den Schienbeinen. Knochenhautentzündung. «Ich habe zu viel trainiert, zu wenig pausiert. Wollte zu viel», sagt er. Jetzt wartet er. Gerade hat er die Lehre zum Elektroplaner fertig gemacht. Im Januar fängt die RS an. Danach will er im Fussball «noch mal Vollgas geben». Bei einer Mannschaft auf dem Balkan. Wo, ist noch offen.
Doch erst kommt die Hochzeit. Mit der Frau, deren Foto auf dem Küchentresen steht, lange schaut er sie an. Seine Verlobte ist in der gleichen Kultur zu Hause. Bei der Arbeit haben sie sich kennengelernt.
Xhelal Tupella will es anders machen, sagt er. Anders als Generationen von kosovarischen Männern vor ihm. «Ich will ein offener Ehemann sein.» Aber auch ein guter kosovarischer Mann. Ein kosovarischer Mann sei das absolute Familienoberhaupt. Treffe alle wichtigen Entscheidungen. Tupella sagt: «In unserer Kultur hat man als Mann das letzte Wort.» Auch wenns um die Hochzeit der Kinder geht. Vor ein paar Wochen setzten er und sein Vater das Hochzeitsdatum fest, suchten ein Hotel für die Feier aus. «Ich habe kein einziges Telefonat gemacht.» Der Vater schaute für alles, erkundigte sich nach den schönsten Festsälen, den besten Musikern, fragte Xhelal, ob ihm dies oder das gefalle. «Ich musste nur noch Ja oder Nein sagen.»
Ein Vater schultert die ganze Verantwortung. Macht die Tochter oder der Sohn Seich, fühlt sich der Vater schuldig. Viele seien deshalb streng, sagten schneller Nein, wenn die Kinder in den Ausgang wollten. Das ist die Kehrseite: «Als Mann steht man unter grossem Druck.» Tupella möchte weniger Druck. Auch für seine Kinder. Vier sollen es werden. Das erste ist für die ersten beiden Jahre nach der Hochzeit geplant – «sofern es Gott für uns so geschrieben hat». Seine Kinder sollen mehr selber bestimmen dürfen. Auch mal widersprechen. Nein sagen. «Sonst traut es sich später wenig zu.»
Xhelal Tupella traut sich zu, was viele andere in dem Alter scheuen: absolute Verbindlichkeit. So wie sein Vater. Dieser arbeitet im Haushalt mit, unterstützt derzeit die Mutter nach einer Knie-Operation. Jeden Abend spiele er Physiotherapeut, sagt Tupella. «Ich möchte einmal auch für meine Frau da sein.»
Rebecca Wyss
Loïc Wohlfarth (25): «Es ist unangenehm, sich selber zu hinterfragen»
Für Loïc Wohlfarth ist klar: Männer müssten mehr für die Gleichstellung der Geschlechter tun.
«Als Mann habe ich in der Gesellschaft viele Privilegien», sagt Loïc Wohlfarth (25). Er sitzt unter einem roten Sonnenschirm der Kleinen Freiheit, einem Zürcher Café in einem ausgebauten Container. Schwarz lackierte Fingernägel, vom linken Ohrläppchen baumelt ein Silberohrring. Er nimmt einen Schluck Tee. «Man hört mir schneller zu, schreibt mir eher Autorität zu oder stellt eigentlich selbstverständliches Verhalten auf ein Podest. Zum Beispiel, wenn ich Emotionen zeige.»
Geboren in Frankreich, lebte Wohlfarth ab fünf Jahren im Zürcher Oberland. Seine Mutter war alleinerziehend. Skifahren, eine Ferienwohnung oder Reisen nach Übersee lagen finanziell nicht drin. «Sie ist zum Glück sehr sensibel und liebevoll», so Wohlfarth. Ihr gegenüber musste er sich nie stark oder verbissen zeigen.
Umso gegensätzlicher das Rollenbild, das ihm in der Schule vermittelt wurde. Ob im Sport oder bei Auseinandersetzungen: Immer wieder wurde den Jungs eingetrichtert, als Mann müsse man einstecken und aushalten können. Wohlfarth sagt: «Das macht es schwierig, seine eigenen Grenzen und die Grenzen anderer wahrzunehmen.» Eine «grosse Schnurre» und machoides Verhalten standen damals an der Tagesordnung.
Wohlfarth machte das KV, war jedoch schon früh politisch interessiert. Frauen, die ihm nahestanden, sensibilisierten ihn für das Thema Feminismus. Vor allem durch zwei seiner Ex-Freundinnen erkannte er, dass viele Frauen mit ähnlichen Dingen zu kämpfen haben, über die er als Mann noch nie nachdenken musste. «Zum Beispiel, wie Macht vor allem Männern gegeben wird und wie selbstverständlich Männer danach greifen. Oder auch, wie viele Frauen sexuelle Übergriffe erleben müssen.»
Er zog nach Zürich, las Bücher, die das Thema strukturell beschreiben. «Studien zeigen, dass Männer am liebsten Männern zuhören», sagt Wohlfarth. Das findet er zwar schade, doch will er genau dieses Privileg nutzen. Seit einem Jahr ist er deshalb Mitglied von «Die Feministen». Einem Verein, der Männer für die Gleichstellung aller Geschlechter sensibilisieren und die männliche Rolle hinterfragen will. So hilft Wohlfarth unter anderem mit, Gesprächsrunden aufzugleisen, in denen über Themen wie fragile Männlichkeit oder sexuelle Belästigung gesprochen wird.
Privat wurde es für ihn immer wichtiger, eine gegensätzliche Männlichkeit zu entwickeln: etwa, indem er in Gruppendynamiken mit dem typisch männlichen Habitus bricht. «Sprechen alle Kumpel nur über den Champions-League-Final, versuche ich manchmal dieses Rollenbild zu hinterfragen und eine Veränderung zu suchen. Zum Beispiel, indem ich das Gespräch auf ein persönlicheres Level lenke.» Manchmal klappt das, manchmal nicht.
Wohlfarth will inklusiv und demokratisch sein. Er gendert seine Sprache oder nimmt sich in einer Sitzung auch einmal etwas zurück, um andere sprechen zu lassen. Das Argument, Frauen sollen sich den Raum doch einfach auch nehmen, macht ihn wütend. «Als männlich sozialisierter Mensch einem weiblich sozialisierten Menschen zu sagen: ‹Mach es doch einfach so wie ich›, ist wenig reflektiert, gar süffisant.» So können sich Lebensweg sowie gesellschaftliche Wahrnehmung zwischen Männern und Frauen voneinander unterscheiden wie zwei abgekapselte Welten. Ausserdem seien Frauen viel häufiger sexistischen Bemerkungen oder Hasskommentaren ausgesetzt, wenn sie sich öffentlich äussern.
«Ich denke, die meisten Menschen halten sich selber für gut», sagt Wohlfarth, der im September den Studiengang Soziokulturelle Animation an der Hochschule Luzern beginnt. Deshalb könne es unangenehm und wirklich herausfordernd sein, die eigenen Privilegien und somit sich selber zu hinterfragen. «Das war es bei mir auch – aber da müssen wir durch.»
Lea Ernst
Daniel Hasler (27): «Ich bin gerne der Fels in der Brandung»
Daniel Hasler ist Junglandwirt und Fan der Serie «Vikings». Er mag, dass darin männliche Wikinger Schulter an Schulter mit weiblichen Kriegerinnen gekämpft haben.
Bei seinen Freunden aus der Stadt lösen sich die Rollenbilder mehr und mehr auf, sagt Landwirt Daniel Hasler. Bei den jungen Landwirten sehe das anders aus. Aber nur auf den ersten Blick.
Es ist der erste Tag nach seinen Flitterwochen, als wir Daniel Hasler (27) auf dem Hof seiner Familie in Walterswil im bernischen Oberaargau fotografieren. Verbracht haben sie der Landwirt und seine Frau im Wallis. Sie ist Heilpädagogin. Kennengelernt haben sich die beiden vor acht Jahren auf dem Hof, auf dem er seine Lehre und sie damals einen freiwilligen Landdienst gemacht habe. Irgendwann gehe es dann noch richtig weg, sagt er. Wahrscheinlich nach Korsika.
Im Moment ist sein Vater auf dem Hof in Walterswil noch der Chef, ab 2023 übernimmt der Sohn zusammen mit seiner Frau den Milchbetrieb mit 18 Kühen. «Es ist mir wichtig, zu betonen, dass wir die Liegenschaft zu zweit übernehmen», sagt Hasler. Er habe Ehen von Bauern in Brüche gehen sehen, weil Männer ihre Frauen nicht in die Eigentumsverhältnisse mit einbezogen hätten.
Seit vergangenem November ist Hasler Co-Präsident der Schweizer Junglandwirtekommission. Wenn man sich am Stereotyp des Bauern orientiert, ist trotzdem vieles untypisch an ihm: seine Schreibtätigkeit fürs Magazin «Schweizer Bauer», sein langes Haar, die Tattoos, die Rockband, mit der er fast alles covert ausser Songs aus der Volksmusik-Ecke. Plus: Im Gegensatz zu einem Grossteil der Landbevölkerung wählt Hasler auch mal die Grünliberale Partei. Weil sie sich für Gleichstellung einsetze, wie er sagt, und für liberale Familienmodelle. «In Sachen Landwirtschaftspolitik haben wir das Heu aber nicht auf derselben Bühne.»
Typisch Bauer – eher weniger. Typisch Mann? «Wenn man Motorenlärm, Hardrock und Schwarz als Lieblingsfarbe mit meinem Geschlecht identifiziert, dann ja», sagt Hasler. Er wuchs mit drei Brüdern und einer Schwester auf. Seine Eltern führen in seinen Augen eine gleichberechtigte Beziehung, seine Mutter arbeitete schon immer Vollzeit als Lehrerin. Nur wenn es in die Ferien ging, blieb der Vater meistens zurück auf dem Hof. «Ich möchte mitgehen, wenn ich mal Kinder habe.»
Wenn er an seine Freunde an der Stadt denke, habe er das Gefühl, dass sich die klassischen Rollenbilder dort mehr und mehr auflösen würden. Bei den jungen Landwirten sehe das anders aus. Aber nur auf den ersten Blick. Wenn sich die Frau ums Hauswirtschaftliche kümmere auf einem Hof, dann sei das meistens ein bewusster Entscheid. «Junge Bauern und Bäuerinnen gestalten ihr Leben immer weniger in der Art, wie man es schon immer gemacht hat oder wie man es von ihnen erwartet.»
Seine Work-Life-Balance sei ihm wichtig, sagt Hasler. «Ein Leben lang nur arbeiten – das wollen junge Landwirte nicht mehr.» Wenn er Kinder habe, möchte er sein Arbeitspensum reduzieren, und schon jetzt nimmt er sich Auszeiten. Um sich Serien wie «Vikings» anzusehen zum Beispiel. Bei den Wikingern habe es Schildmaiden gegeben – Frauen, die sich für ein Leben als Kriegerin entschieden haben. «Sie waren nicht weniger mutig und nicht weniger stark als die Männer und kämpften Schulter an Schulter mit ihnen. Diese Beziehung zwischen den Geschlechtern gefällt mir.» Er sei aber auch immer gerne da, wenn jemand eine Schulter zum Ausheulen brauche. «Ich bin gerne der Fels in der Brandung.»
Jonas Dreyfus
Levin Rusch (21): «Meine Texte sind nicht immer frei von Sexismus»
Hip-Hop ist die Jugendkultur Nummer 1 – und hat ein Sexismusproblem. Wie geht ein junger Rapper damit um? Wir haben bei Levin Rusch nachgefragt.
Bunte Wände, herumliegende Instrumente und ein Pingpongtisch – so sieht das Studio von Rapper Le Vin Rouge (21), bürgerlich Levin Rusch, in Sirnach TG aus. Hier entstehen Lieder über Weisswein, Geld und Frauen. «Ich muss zugeben, meine Songs sind nicht immer frei von Sexismus», sagt er. Le Vin Rouge schlüpfe für seine Musik in die Rolle einer Kunstfigur. Dort spielt er auch mit Klischees. Das habe er sich von seinen künstlerischen Vorbildern abgeguckt. Im realen Leben sei er aber kein Macho – im Gegenteil: «Ich verstehe Männer nicht, die ihre Männlichkeit krampfhaft beweisen müssen.» Das angeborene Geschlecht sei schliesslich keine Eigenleistung, findet er.
In Ruschs Augen machen Standhaftigkeit und Ausdrucksstärke einen Mann aus. Diese Charakterzüge schätze er aber genauso an Frauen. Von stereotypischen Rollenbildern hält er nicht viel: «Ich finde, es gibt keinen sinnbildlichen Mann mehr. Der eine arbeitet auf dem Bau, der andere ist Visagist. Und das ist auch gut so.» Mit dieser Denkweise ist Levin Rusch gross geworden. Sein Vater arbeitete als Pfleger und Berufsbilder. «Obwohl er in einer anderen Generation aufgewachsen ist, legte er immer viel Wert auf Toleranz», so der Rapper.
Die Gesellschaft ist aber längst nicht in allen Bereichen so fortgeschritten. Manche Stereotypen seien noch tief verankert, sagt Rusch: «Gerade was Dating angeht, wird vom Mann deutlich mehr erwartet. Meiner Meinung nach gehört das in die Vergangenheit.»
Nebst den Erwartungen geniessen Männer aber viele Privilegien. «Ich bin sehr froh, dass ich keine Periode habe», scherzt der Thurgauer. Ausserdem haben es männliche Musiker in der Rapperszene tendenziell einfacher als Frauen. «Es ist eine sehr männerdominierte Szene, genauso wie Rock ’n’ Roll», erklärt Le Vin Rouge. Viele Rapper wurden mit frauenfeindlichen Texten bekannt. Klar, dass Rapperinnen das nicht mitmachen.
Trotzdem sieht Levin Rusch ein, dass Frauenfeindlichkeit ein grosses Problem in der Rap- und Hip-Hop-Szene ist. «Ich glaube aber, dass Sexismus ein Problem der Gesellschaft ist. Die Rap-Szene versteckt es einfach nicht», so Rusch. Ausserdem seien seine Zeilen nicht wörtlich zu verstehen. Es sei lediglich eine Kunstform. «Ich sehe mich selbst als Feminist. Der Widerspruch zwischen meinen Texten und meiner politischen Ideologie bereitete mir schon die eine oder andere schlaflose Nacht.» Schlussendlich sei ihm und seinem Umfeld aber klar, dass ein grosser Teil seiner Texte nicht seine tatsächliche Meinung widerspiegeln. Ausserdem hat Le Vin Rouge seine Prinzipien: «Ich persönlich würde niemals eine Frau für ein Musikvideo engagieren und sie ihren Po in die Kamera schwenken lassen. Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.»
Vanessa Nyfeler
Niclaas Zwart (19): «Ich bin froh, nicht mehr unter Sexismus zu leiden»
Seit seiner Geschlechtsangleichung spürt Niclaas Zwart einerseits, wie viel leichter Männer es in der Gesellschaft haben. Andererseits wird nun ganz anderes von ihm erwartet.
Er wirkt sicher, selbstbewusst und bodenständig – und so gehöre sich das auch als Mann, findet Niclaas Zwart (19): «Ich möchte eine starke Persönlichkeit sein, die standhaft, vertrauensvoll und autoritär, aber nicht einschüchternd ist.» Ein Mann solle ausserdem belastbar sein, dass er seine Familie zusammenhalten kann.
Dass er nun genau dieser Mann sein kann, freut ihn besonders. Denn Zwart bekam bei seiner Geburt einen weiblichen Geschlechtseintrag und wurde als Mädchen aufgezogen. Seine Geschlechtsangleichung dokumentierte er in den letzten zwei Jahren auf der Videoplattform Tiktok. Dort erzählt er von seinen Operationen und zeigt zum Beispiel, wie sich seine Stimme durch Testosteron veränderte. Seine Geschichte verfolgen über 6500 Menschen.
Neben seiner Tätigkeit als Micro-Influencer übt Niclaas Zwart einen handwerklichen Beruf aus. Zum Fototermin trägt er Arbeiterhosen. Typisch Mann, oder?: «Ja! Ich glaube, es gibt viele Männer, die noch immer gerne dem klassischen Rollenbild eines Mannes entsprechen. Dazu gehöre ich eben auch.»
Einen guten Job zu haben, ist Zwart wichtig, denn besonders seine Grosseltern legen darauf viel Wert. «Du musst für deine Frau sorgen können», sagen sie immer. Der Thurgauer sieht das anders: «Ich finde, eine Frau soll sich selbst versorgen können, aber nicht müssen.» Beide Partien sollen den Haushalt erledigen.
Als Mann erlebt Niclaas Zwart einige Unterschiede zu seinem früheren Leben: «Ich bin froh, nicht mehr unter Sexismus zu leiden.» Generell spüre er jetzt so richtig, wie viel leichter es Männer in der Gesellschaft hätten. «Ich finde es ausserdem schön, dass Männer immer irgendwie Kind bleiben dürfen», so Zwart. Man könne sich so mehr Spässe erlauben und sei nicht immer der Erwartung ausgesetzt, brav sein zu müssen.
Doch werde dafür nun anderes erwartet. «Als Mann soll man keine Gefühle zeigen. Diesen Ansatz finde ich unsinnig», sagt Zwart. Er findet es gar problematisch. «Ausserdem gehen die meisten davon aus, dass Männer in Sachen Dating den ersten Schritt machen.» Von dem halte er ebenfalls nichts, meint er. Umso glücklicher erzählt er, dass seine Freundin damals ihn angesprochen habe und nicht umgekehrt.
Vanessa Nyfeler
Fabian Rohner (23): «Wenn ich Gefühle rauslassen konnte, tat mir das mega gut»
Schwindelanfälle bremsten vor ein paar Jahren den aufstrebenden FCZ-Profi Fabian Rohner, und eine alternative Karriere in der Leichtathletik stand zur Diskussion. Doch die Schwindel sind vorbei, und er traut sich heute, auch als Mann Schwäche zu zeigen.
Er ist 23 und trägt die Nummer 23 – beim Fussballer Fabian Rohner passt aktuell alles zusammen: Mit dem FC Zürich ist er Schweizer Meister geworden und schoss gemäss einer Abstimmung unter SRF-Zuschauern das schönste Tor der letzten Saison: Vor heimischem Publikum im Letzigrund nimmt der Rechtsfuss am 23. April 2022 einen Traumpass von Ousmane Doumbia (30) an der Strafraumgrenze voll volley und trifft aus spitzem Winkel zum 2:0 gegen Sion.
Für einmal steht der schmächtige, aber athletische Mann mit dem schnellen Antritt im Mittelpunkt: Mitspieler fallen über ihn her, tätscheln ihn am Kopf – an dem Kopf, der ihm so lange Probleme bereitete. «FCZ im Pech», titelte der Blick 2018, «Rohner fällt lange aus.» Unerklärbare Schwindelgefühle machten ihm zu schaffen. «Ich hatte eine schwere Zeit mit meinem Kopf», sagt Rohner heute. «Wenn ich Gefühle rauslassen konnte, tat mir das mega gut.» Es heisse oft, man dürfe als Mann keine Schwäche zeigen, «aber das finde ich überhaupt nicht».
Der Abbruch der Fussballkarriere war bis zur Genesung 2019 eine Option, Leichtathletik wäre für den schnellsten Züri-Hegel der Jahre 2006 bis 2008 und 2010 eine Alternative gewesen. Doch schon als Kind rannte er lieber hinter einem Ball her. Seit 2009 ist er bei seinem Lieblingsverein FCZ. «In der U16 hatte ich Inka Grings als Stürmertrainerin», sagt Rohner. «Sie hat uns super geleitet und weitergebracht.» Grings (43) ist aktuell Double-Siegerin mit den FCZ-Frauen.
Gleicher Verein, gleiche Titelgewinne – und trotzdem verdienen Frauen im Fussball weit weniger. «Das hat auch mit den Einnahmen im Frauenfussball zu tun», sagt Rohner, fügt dann aber an: «Ich finde es schade für die Frauen, die genau gleich viel machen oder opfern wie wir, aber oft nebenbei noch einer Arbeit nachgehen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.» Er erinnert sich an frühere Testspiele gegen die Frauen: «Wir haben jeweils gewonnen.» Der grösste Unterschied liege in der Schnelligkeit, technisch seien Frauen ebenfalls sehr gut.
Ist Fussball noch zu machoid, homophob und rassistisch? Das lässt Rohner nicht gelten. «Es ist ein Miteinander und kein Gegeneinander», sagt er, «Ich hatte nie ein Problem damit – für mich sind verschiedene Hautfarben, sexuelle oder religiöse Orientierungen das Normalste der Welt.» Bezüglich schwuler Fussballer räumt er ein, dass das immer noch ein gewisses Tabuthema sei, «aber ich glaube nicht, dass es ein Problem wäre, wenn sich jemand outen würde». Im Gegenteil: Wenn sich mehr outen würden, wäre das für jeden Einzelnen einfacher.
Während Rohner gestikuliert, ist auf seinem linken Unterarm ein Löwen-Tattoo zu sehen. «Ich weiss, dass das vielleicht einem Klischee unter Fussballern entspricht», sagt er. Aber er sei mit seiner Zwillingsschwester im Sternzeichen Löwe auf die Welt gekommen – sie habe die andere Hälfte des Tattoos. Der tätowierte Neymar (30), die damalige Nummer 11 beim FC Barcelona, war nicht sein Vorbild. Und die Nummer 11, die bei der Unterzeichnung seines ersten FCZ-Profivertrags neben der 23 zur Verfügung stand, liess Rohner links liegen. «Als 18-Jähriger, dachte ich, sei es besser, nicht gleich diese bedeutende Nummer zu nehmen.»
Daniel Arnet
Lukas Flückiger (22): «Ich will mehr leisten als der Durchschnitt»
Er hat eine der härtesten Militärausbildungen der Schweiz hinter sich: Lukas Flückiger (22) ist Hauptfeldweibel bei den Grenadieren in Isone TI. Warum er bei den Elitesoldaten Karriere macht.
Für etwas Grösseres da sein und die persönlichen Bedürfnisse hinten anstellen: Mit Muskeln, Schweiss und eisernem Durchhaltewillen hat es Lukas Flückiger zum Hauptfeldweibel bei den Grenadieren in Isone geschafft. «Nirgendwo kann man in jungen Jahren so weit kommen wie hier. Es ist eine harte Schule, aber das ist es wert.»
Flückiger ist gelernter Polymechaniker und stammt aus dem kleinen Dorf Lenggenwil im Kanton St. Gallen. Als Junge hat er mit seinem Vater im Wald mitgearbeitet und an Töffs rumgeschraubt: «Er hat eine super Einstellung, da sind wir uns sehr ähnlich. Aber ich bin keine Kopie von ihm, ich habe einen eigenen Willen.» Den braucht es auch, wenn man durch die 23-Wochen-RS kommen will. Der Weg zur Grenadier-Bombe – so nennen die Soldaten ihr Abzeichen – ist hart. Besonders in den ersten acht Wochen wird täglich selektiert. «Man kommt körperlich und geistig an seine Grenzen und weit darüber hinaus», so Flückiger.
Hundertfünfzig Rekruten rücken zweimal jährlich als Grenadiere in Isone ein, mehr als ein Drittel scheidet bereits vor der RS in der zweitägigen Eignungsprüfung aus, bis zum Ende schaffen es 100 Grenadiere. Zu den härtesten Übungen gehört laut Flückiger die Abschlussprüfung «Elenor». Dabei geht es mehrere Stunden im Dunkeln durch äusserst schwieriges Gelände, «um das Zielgebiet zu infiltrieren», erklärt Flückiger. «Dort probt man mit voller Kraft einen Angriff, anschliessend exfiltriert man genauso ungesehen und ungehört wie zuvor.»
Diese Strapazen nehmen junge Männer wie Flückiger freiwillig auf sich, warum bloss? «Weil ich etwas Grösserem dienen will und dabei Teil eines Ganzen bin», erklärt er. «Ich bin Patriot und will mehr leisten als der Durchschnitt.» Die Grenadiere sind die Elitetruppe der Schweiz. Sie sind die Einzigen, die im Ernstfall hinter die feindlichen Linien ausrücken, infiltrieren und ausschalten – möglichst lautlos.
Aus den Rekruten werden Spezialisten wie Scharfschützen oder Sprenger, noch anspruchsvoller ist die Ausbildung zum Fallschirmaufklärer. Darum nennt man die Grenadiere auch Rambos. So sieht sich Flückiger aber nicht, wenn schon, dann zählt Forrest Gump zu seinen filmischen Vorbildern. «Das ist genau dieser Typ, der sich selber zurücknimmt und für andere da ist. Darum geht es mir.»
Isone hat sich auch den Frauen geöffnet, in den letzten zwei Jahren sind ein paar wenige Rekrutinnen eingerückt – eine Grenadier-Bombe hat bis jetzt keine mit nach Hause genommen. «Obwohl wir gerne eine erste Grenadierin aufnehmen würden», so Flückiger. Isone bleibt vorläufig eine Männerwelt: «Man rückt zusammen, man schliesst enge Freundschaften, gerade weil es so hart ist, braucht man Kumpels, auf die man sich absolut verlassen kann.» Das Geschlecht spielt dabei keine Rolle. Flückiger hat seine RS während der Pandemie gemacht, phasenweise sei man drei Wochen nicht aus der Kaserne gekommen: «Natürlich freut man sich dann besonders, wieder raus und unter andere Menschen zu kommen.»
Mit seinen Muskeln habe Männlichkeit nichts tun: «Das Körperliche ist mir wichtig, weil ich fit sein will und mir was Gutes tun will.» Für ihn hat das Mannsein mehr mit Werten zu tun: «Für die Menschen, die man liebt, da zu sein. Wenn es um die Familie und Freunde geht, kann man sich absolut auf mich verlassen.» Dazu passt das klassische Rollenbild vom Mann als Ernährer, eine Aufgabe, die er aber auch der Frau überlassen würde. «Wenn ich mal eine Familie habe, finde ich es wichtig, dass ein Elternteil die Verantwortung daheim übernimmt, der andere sorgt für das Einkommen. Wer von beiden das tut, entscheidet man zusammen.» Vorläufig geht es für Flückiger weiter als Zeitmilitär in Isone, ob er das endgültig zu seinem Beruf macht, lässt er noch offen: «Vorstellen kann ich mir das sehr gut.»
Katja Richard
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