Wer sich mit Ringier befassen will, muss Zofingen kennenlernen. Einst war die Aargauer Kleinstadt das Herz des heutigen Grossverlags. Eine Medienstadt.
Wer heute mit dem Zug nach Zofingen reist und seinen Blick bei der Bahnhofseinfahrt gegen Westen richtet, erblickt die Überbleibsel: der Ringier-Hauptsitz, einst das Zuhause zahlreicher Medientitel. Sie sind längst nach Zürich gewandert.
Als der Umbruch vor rund fünf Jahrzehnten stattfand, stand aber auch eine andere Ringier-Immobilie im Fokus. Sie liegt auf der anderen Seite der Bahngleise. Hoch über den Dächern der Kleinstadt, in einer dreistöckigen Villa gleich unter dem Zofinger Hausberg Heitere wurde 1974 die Ringier Journalistenschule eingeweiht. Es war ein Pionierprojekt, angetrieben durch Unternehmenspatron Hans Ringier (1906–2003) und den damaligen Direktionspräsidenten Heinrich Oswald (1917–2008).
Einst Wohnort, dann Ausbildungsstätte
Erster Schulleiter war der langjährige Chefredaktor der «Schweizer Illustrierten», Werner Meier. Ein erfahrener Journalist, der sein handwerkliches Können an die Jungen weitergeben sollte.
Die Villa war einst Wohnort der Familie Ringier. Drumherum lag ein Anwesen mit Hecken, Gärten und Brunnen. Heute wurde aus den Gärten und Gewächshäusern einfacher Rasen, und die oberen Stöcke der Ringier-Villa sind ungenutzt. Doch der untere Stock blieb «die Kirche des Ringier-Journalismus», wie es der heutige Stiftungsratspräsident der Schule, Frank A. Meyer (80), sagt.
Die Institution kann sich heute als älteste bestehende Ausbildungsstätte des Schweizer Journalismus feiern. Gleich in den ersten Jahrgang schickte Ringier seinen Sohn Michael (75) – heute Verwaltungsratspräsident von Ringier. Bis heute kamen 20 weitere Jahrgänge und Hunderte in Zofingen ausgebildete Journalistinnen und Journalisten dazu. Auch der heutige Ringier-CEO Marc Walder (59) absolvierte die «Jouschu», wie sie liebevoll genannt wird.
Balance zwischen Praxis und Theorie
Bekannte Journalistinnen und Journalisten hat die «Jouschu» hervorgebracht – neben den Ringier-Medien auch bei SRF, bei der «NZZ», beim «Tages-Anzeiger» und der «Aargauer Zeitung».
Das Prinzip der Schule blieb über die Jahre beinahe unverändert. Über zwei Jahre arbeiten die «Jouschus» als Volontärinnen und Volontäre in den Redaktionen von Ringier – von der «Schweizer Illustrierten» über den «Beobachter» bis zum Blick – und besuchen dazwischen im Monatsrhythmus für eine Woche die Villa in Zofingen. Dort vermitteln Referentinnen und Referenten aus verschiedensten Medienhäusern aus Deutschland und der Schweiz ihr Wissen.
Die Atmosphäre auf der Römerhalde ist einzigartig. Ich durfte sie selbst über zwei Jahre geniessen. Während meiner Zeit in der «Jouschu» kam immer wieder den Vorwurf, dass die werdenden Journalistinnen und Journalisten in einem solchen «Herrenhaus» ein falsches Bild vom Beruf erhalten würden. Was dabei vergessen wird: Insbesondere als junger Journalist ist man froh über einen Rückzugsort, an dem man an seinem Handwerk feilen kann.
Und auch wenn sich das Haus kaum veränderte, so veränderte sich dieses Handwerk grundlegend: Schrieb die erste Klasse ihre Artikel noch mit mechanischen Schreibmaschinen, übten wir mit künstlicher Intelligenz. Waren Radio und TV damals noch kaum ein Thema, filmten wir mit unseren Smartphones. Die Ausbildung ist heute – wie der Beruf – multimedial.
Gemeinschaft für die Ewigkeit
Dazu kommen die einzigartigen menschlichen Erlebnisse, die sich nur an so einem Ort bilden. Wir 13 Schülerinnen und Schüler wurden zu einer Gemeinschaft. Und die Villa unser Zuhause. Wir tranken zusammen, lachten viel und assen Pizza vor der Abendsonne, die langsam hinter den Hügeln des Juras verschwand. Es sind Gefühle, die uns nicht mehr genommen werden können. Und die so an einer «normalen» Ausbildungsstätte oder einer Universität nicht möglich gewesen wären.
Auch deswegen blieb die Villa Römerhalde in den letzten fünf Jahrzehnten der Fels in der Brandung. Sie ist aber ein Fels, der mit den Wellen wankt. Zu Beginn der Schule war das Verlagswesen noch im Erfolgsrausch. Die gedruckten Zeitungen dominierten den Markt und die Auflagen schossen in die Höhe.
Diese goldenen Zeiten widerspiegelten sich damals sowohl inner- als auch ausserhalb des Unterrichts: Referenten wurden noch mit der Limousine vom Flughafen nach Zofingen gefahren. Am Freitagnachmittag tranken die Schülerinnen und Schüler mit hochrangigen Politikerinnen und Politikern Wein. Und laut Erzählungen landete mindestens einmal ein Helikopter auf der Wiese des grosszügigen Anwesens. Bestätigen lässt sich dieses Gerücht nicht.
Der Wandel der Branche ging nicht spurlos vorbei
Das alles scheint heute weit entfernt. Zur Jahrtausendwende wurden die Grossverlage durch die Verlagerung des Werbemarkts ins Internet überrumpelt. Die Redaktionen schrumpften. Auch die Schule musste dadurch sparen.
Als 2010 Hannes Britschgi (69), ehemaliger Chefredaktor des SonntagsBlicks, den Posten des Schulleiters antrat, befand sich Ringier in einem Sparprogramm: «Ringier-CEO Marc Walder sagte mir, dass das Budget der Schule um die Hälfte gekürzt werden müsse», sagt Britschgi.
In den vergangenen Jahren bauten alle Grossverlage – auch Ringier – weiter Stellen ab. Und der Zeitungsdruck in der Schweiz liegt in seinen letzten Zügen. Ende September schliesst die letzte verbliebene Ringier-Druckerei am Zofinger Bahnhof. Junge Journalistinnen und Journalisten fragen sich bei solchen Entwicklungen, wie lange das Haus auf dem Hügel noch dem Gegenwind trotzen wird.
Die «Jouschu» ist «ein Geschenk von Ringier an den Journalismus», sagt der aktuelle Schulleiter Peter Hossli (55). Die Branche sollte dieses Geschenk weiterhin offen annehmen – und ihm Sorge tragen.