Zwischen Freundschaft und Vorsicht
Die Schweizer Taiwan-Politik entzweit die SVP

In der grössten Partei der Schweiz ist man sich uneinig darüber, wie sehr sich das Land an Taiwan annähern soll. Im Kern gehts um die Frage: Welcher Kurs nützt der Schweizer Wirtschaft mehr?
Publiziert: 07.08.2022 um 17:40 Uhr
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Aktualisiert: 07.08.2022 um 18:17 Uhr
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SVP-Präsident Marco Chiesa zeigt sich offen für eine Reise nach Taiwan.
Foto: keystone-sda.ch
Lea Hartmann

Die Reaktionen auf den Besuch der US-Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi (82) in Taiwan fielen in der Schweiz gespalten aus. War er ein wichtiges Zeichen – oder eine gefährliche Provokation, mit der die USA Taiwan letztlich einen Bärendienst erwies?

Für SVP-Politikerinnen und -Politiker, die sich in den vergangenen Tagen äusserten, ist die Sache klar: Die Stippvisite war ein Fehler. Und zwar ein gefährlicher, findet SVP-Nationalrat Franz Grüter (59), Präsident der Aussenpolitischen Kommission (APK) des Nationalrats. Auch andere Parlamentarier äusserten sich in diese Richtung.

Doch gehts um die Beziehung der Schweiz zu Taiwan, hörts bei der SVP mit der Einigkeit auf. Die Partei ist in der Taiwan-Frage gespalten. Das zeigte sich beispielhaft vor knapp einem Jahr im Nationalrat: Gegen den Willen des Bundesrats nahm die grosse Kammer einen Vorstoss der nationalrätlichen APK an, bei dem es um die Vertiefung der Beziehungen zu Taiwan ging. Die SVP empfahl den Vorstoss zur Ablehnung. Doch von den 55 SVP-Nationalrätinnen und -Nationalräten stimmten 15 Ja, drei enthielten sich – die Mehrheit davon Mitglieder der Parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Taiwan.

Chiesa offen für Taiwan-Reise

Präsident dieser Freundschaftsgruppe ist SVP-Präsident Marco Chiesa (47). Wie «Le Temps» vor kurzem berichtete, plant die Gruppe bald eine Reise nach Taiwan. Wann genau, ist offenbar noch nicht festgelegt. Noch unklar ist auch, wer dabei sein wird. Gegenüber der «SonntagsZeitung» zeigt sich Chiesa offen gegenüber einem Besuch: «Ich hoffe sehr, dass ich in naher Zukunft Taiwan besuchen kann, und eines Tages auch China, was bedeuten würde, dass sich die Beziehungen normalisiert haben und die Gefahr eines bewaffneten Konflikts gebannt ist.»

Die SVP-Parlamentarier, die sich am stärksten für enge Bande zwischen der Schweiz und Taiwan einsetzen, sind die Nationalräte Christian Imark (40) und Andreas Glarner (59). Glarner, der selbst geschäftlich mit Taiwan zu tun hat, ist Präsident der Handelskammer Schweiz-Taiwan und kennt laut eigenen Angaben Taiwans Präsidentin persönlich. Beide haben einen Vorstoss des SP-Nationalrats Mustafa Atici (52) mitunterzeichnet, der eine vertiefte wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit mit der Insel anstrebt. Imark macht sich zudem für ein Wirtschaftsabkommen mit Taiwan stark.

Auf der anderen Seite: Martullo-Blocher

Insbesondere Letzteres ist innerhalb der SVP aber umstritten. SVP-Aussenpolitiker Grüter sagt, man sei sich innerhalb der Partei einig, dass sich die Pflege guter Beziehungen zu Taiwan auf die Bereiche Wirtschaft und Kultur beschränke. «Politisch mischen wir uns nicht ein und bleiben strikt neutral, denn gerade jetzt sind die guten Dienste der Schweiz sehr wichtig.»

Allerdings gibt es offenbar unterschiedliche Haltungen, ab wann eine wirtschaftliche Annäherung auch politisches Statement ist. Und vor allem: Von welchem Kurs die Schweizer Wirtschaft mehr hat. Wie die «NZZ am Sonntag» schreibt, ist es vor allem Magdalena Martullo-Blocher (52), die sich der taiwanfreundlichen Haltung einiger Parteiexponenten entgegenstellt. Wie aus der Fraktion zu hören ist, schreckt sie nicht davor zurück, diesbezüglich den Tarif durchzugeben.

Angst vor dem Zorn Chinas

Wie ihrem Vater Christoph Blocher (81) werden ihre enge Bande zu chinesischen Regierungsvertretern nachgesagt. Laut der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» hat der chinesische Generalkonsul in der Schweiz die Familie Blocher an einer Versammlung 2018 als «alte Freunde» bezeichnet. In der Vergangenheit ist Martullo zudem mehrfach mit China-Lob aufgefallen, zum Beispiel in Bezug auf die Pandemiebewältigung.

Es ist nicht an den Haaren herbeigezogen, den Grund dafür in der wirtschaftlichen Verflechtung von Martullos Ems-Chemie mit China zu sehen. Die Ems-Chemie hat vier Standorte in China – und einen in Taiwan. China ist ein wichtiger Absatzmarkt für Martullos Unternehmen.

Die SVP-Nationalrätin will das Reich deshalb unter keinen Umständen erzürnen. Gemeinsam mit anderen SVP-Parlamentariern hat sie vor drei Jahren sogar versucht, einen FDP-Kollegen dazu zu bringen, einen taiwanfreundlichen Vorstoss zurückzuziehen. Was nicht bei allen gut ankam. Offenbar, stellte SVP-Nationalrat Glarner fest, hätten auch in der SVP «einige Leute Angst, China zu verärgern».

«Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu allen»

Angesprochen auf ihre China-Nähe, lässt Martullo ausrichten, ihrer Meinung nach müsse die Schweiz ihre neutrale Haltung gegenüber anderen Ländern wahren. «Dies auch, damit wir nicht in fremde Konflikte hineingezogen werden und glaubwürdig als Vermittlerin unsere guten Dienste anbieten können», teilt sie gegenüber Blick mit. Zur Neutralität gehöre auch, dass die Schweiz Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu allen weiter pflege. Auf die Frage, was sie von einer Reise Chiesas nach Taiwan halten würde, sagt Martullo: «Die Freundschaftsgruppe Schweiz-Taiwan wird in der aktuell sehr angespannten Situation sicherlich keinen Besuch in Taiwan machen.»

Das kann auch als Befehl verstanden werden.

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