«Es stabilisiert und stärkt den bilateralen Weg»
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Cassis über EU-Paket:«Es stabilisiert und stärkt den bilateralen Weg»

Bundesrat ignoriert Kompass-Milliardäre
Beim EU-Deal soll kein Ständemehr nötig sein

Der Bundesrat trifft eine Entscheidung mit Sprengkraft – ohne dass der EU-Deal überhaupt öffentlich auf dem Tisch liegt! Geht es nach ihm, sollen beim EU-Abkommen die Kantone nicht mitreden. Das erklärte Aussenminister Cassis an einer Medienkonferenz in Bern.
Publiziert: 13:42 Uhr
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Aktualisiert: 17:04 Uhr
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Aussenminister Ignazio Cassis (r.) und Staatssekretär Alexandre Fasel in Bern.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Bundesrat klärt Grundsatzfrage zum EU-Abkommen
  • Rechtlich genügt fakultatives Referendum, politisch ist die Diskussion aufgeladen
  • Kompass-Initianten pochen aufs Ständemehr
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Nach Ansicht des Bundesrats soll nur das Volk über die neuen EU-Verträge befinden können. Ein Ständemehr sei nicht nötig. Das sagte Aussenminister Ignazio Cassis (64) am Mittwoch an einer Medienkonferenz nach der Bundesratssitzung.

Cassis sprach von einer «wichtigen Weichenstellung». Der Bundesrat habe die Frage nach dem Ständemehr sorgfältig beraten. Man habe Juristen konsultiert und sich etwa auch mit den Kantonen ausgetauscht. «Das fakultative Referendum ist verfassungsrechtlich die bestabgestützte Lösung», betonte Cassis. Mehrfach erinnerte der FDP-Bundesrat auch ans Nein zur Volksinitiative «Staatsverträge vors Volk». Damit habe eine klare Mehrheit der Stimmenden zum Ausdruck gebracht, dass sie kein obligatorisches Referendum für völkerrechtliche Verträge mit wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen wolle.

Angesichts der weltpolitischen Lage sieht der Bundesrat stabile Beziehungen zur EU als strategisch notwendig für Sicherheit, Unabhängigkeit und Wohlstand. Cassis: Das Paket sei «kein Kurswechsel», sondern eine gezielte Weiterentwicklung des bilateralen Wegs.

Hätte das Vertragspaket mit dem obligatorischen Referendum keine Chance gehabt? Bei Einzelüberlegungen der Bundesräte gehörten auch politisch taktische Überlegungen dazu, antwortete Cassis auf entsprechende Fragen. Aber im Gremium sei die «staatspolitische Kohärenz» entscheidend gewesen.

Im Bundesrat war die Meinungslage laut Insidern allerdings gespalten. Entscheidend dabei soll Cassis selbst gewesen sein – er dürfte sich gegen das doppelte Mehr ausgesprochen haben.

Das letzte Wort hat aber das Parlament. Das Vertragspaket werde der Bundesrat National- und Ständerat in vier separaten, referendumsfähigen Bundesbeschlüssen vorlegen, so Cassis: einen für die Stabilisierung der bilateralen Beziehungen und drei für die Weiterentwicklung in den Bereichen Lebensmittelsicherheit, Strom und Gesundheit. 

Milliardäre machen Druck

Druck kommt von aussen: Der milliardenschwere Unternehmer Alfred Gantner (57) sagte am Dienstag, dass die von ihm mitlancierte Kompass-Initiative zurückgezogen wird, wenn Bundesrat und Parlament das Ständemehr verlangen – und Volk und Kantone Ja sagen. Die Initiative fordert auch generell mehr Mitsprache bei internationalen Verträgen. 

Zusammen mit den anderen Gründern der Investmentfirma Partners Group setzt sich Gantner gegen die nähere institutionelle Anbindung der Schweiz an die EU an.

14:50 Uhr

Das Wichtigste in Kürze

Fassen wir an dieser Stelle einmal kurz zusammen. Das musst du nach dem Entscheid des Bundesrats wissen:

  • Für das neue EU-Abkommen soll bei einer allfälligen Abstimmung nur das einfache Volksmehr gelten – das hat der Bundesrat entschieden. Es gibt also kein Ständemehr.
  • Die Landesregierung spricht sich damit für das fakultative Referendum aus. Ein obligatorisches Referendum mit Ständemehr – bei dem auch die Mehrheit der Kantone zustimmen müsste – kommt nicht zur Anwendung. Das letzte Wort hat nun das Parlament, das über die Modalitäten entscheidet.
  • Das Vertragspaket wird in vier separate Vorlagen aufgeteilt. Für jede davon kann einzeln das Referendum ergriffen werden. Das bedeutet: Pro Vorlage sind jeweils 50'000 Unterschriften nötig, damit es zur Abstimmung kommt.
  • Der Entscheid ist auch politisch brisant: Obwohl die Initianten der Kompass-Initiative um eine Gruppe von Milliardären angekündigt hatten, ihre Volksinitiative zurückzuziehen, sollte das EU-Paket dem Ständemehr unterstellt und von Volk und Kantonen angenommen werden, setzt der Bundesrat auf das einfache Volksmehr.

15:08 Uhr

Ende der Medienkonferenz

Damit endet die Medienkonferenz mit Aussenminister Ignazo Cassis. Wir melden uns mit einer ausführlichen Zusammenfassung zum EU-Entscheid des Bundesrats. Um 15.15 Uhr folgt eine Medienkonferenz mit Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider.

15:01 Uhr

«Keine Verfassungsänderung nötig»

Auch diese Frage spielte mehrfach eine Rolle: Keiner der neuen Verträge soll die Verfassung berühren – zu diesem Schluss kam laut Bundesrat Cassis die Landesregierung. Es sei keine Verfassungsänderung nötig.


14:57 Uhr

SP-Nussbaumer: «Erfindung der Gegner»

Alle bisherigen Verträge mit der EU waren in der Schweiz bei der eidgenössischen Abstimmung lediglich dem Volksmehr unterstellt: Das hält SP-Aussenpolitiker und Nationalrat Eric Nussbaumer fest. Die Behauptung, ein Ständemehr sei nötig, sei eine Erfindung der Gegner. Im Luftverkehrsabkommen und im Schengen/Dublin-Assoziierungsvertrag habe sich das Volk bereits zweimal für die dynamische Rechtsentwicklung mit den EU-Gesetzen entschieden, so der Baselbieter in einer Reaktion. 

Eric Nussbaumer, SP-Nationalrat.
Foto: Keystone

Beide Entscheide hätten dem fakultativen Referendum unterstanden. Das geforderte Ständemehr sei lediglich ein Manöver der Gegnerschaft, um die Vetragsanpassungen demokratisch zu erschweren.

14:48 Uhr

«Habe dazu meine Privatmeinung»

Die Kompass-Initiative verlangt auch, dass das doppelte Mehr bei relevanten völkerrechtlichen Verträgen angewendet werden müsste. Was wäre die Folge, wenn die Initiative angenommen würde? Michael Schöll, Chef des Bundesamts für Justiz, will sich nicht dazu äussern. Es handle sich um eine laufende Unterschriftensammlung. Er kommentiert aber vielsagend mit Blick auf die «Qualität des Abstimmungstexts»: «Ich habe dazu meine Privatmeinung.» 

14:44 Uhr

Und die heisse grundsätzliche Frage?

Mehrfach stellt Cassis klar: Die grundsätzliche Frage eines obligatorischen Staatsvertragsreferendums in nicht ausdrücklichen Fällen (Juristen sprechen hier von «sui generis») bleibe durch den Entscheid des Bundesrats unberührt.

14:38 Uhr

Bei obligatorischem Referendum ein Nein?

Hätte das Vertragspaket mit dem obligatorischen Referendum keine Chance gehabt? Bei Einzelüberlegungen der Bundesräte gehörten auch politisch taktische Überlegungen dazu, antwortet Cassis auf entsprechende Fragen. Aber im Gremium sei die «staatspolitische Kohärenz» entscheidend gewesen.

14:35 Uhr

SVP: «Es ist ein Skandal!»

Die SVP reagiert scharf auf den Bundesratsentscheid: Es sei ein Skandal, dass das EU-Abkommen nicht dem obligatorischen Referendum unterstellt werde, so die Partei in einer Stellungnahme. Der Bundesrat missachte damit den Volkswillen und stelle sich «gegen die Schweizer Demokratie». Das Abkommen sei ein «EU-Unterwerfungsvertrag», der über der Verfassung stehe, so die Partei.

14:30 Uhr

Cassis erinnert an Volks-Nein

Mehrfach erinnert Cassis auch ans Nein zur Volksinitiative «Staatsverträge vors Volk». Eine klare Mehrheit der Stimmenden habe damit ausgedrückt, dass sie völkerrechtlichen Verträgen mit wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen kein obligatorisches Referendum wolle.

14:25 Uhr

Cassis verweist auf angespannte Weltlage

Angesichts der weltpolitischen Lage sieht der Bundesrat stabile Beziehungen zur EU als strategisch notwendig für Sicherheit, Unabhängigkeit und Wohlstand. Cassis: Das Paket sei «kein Kurswechsel», sondern eine gezielte Weiterentwicklung des bilateralen Wegs.

14:23 Uhr

Unglaublich viel Papier!

Das neue EU-Paket umfasst insgesamt 1800 Seiten: 800 Seiten bilaterale Verträge, 150 Seiten Schweizer Gesetzgebung und 850 Seiten Erklärungen. Das erklärt Staatssekretär Alexandre Fasel.


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