Plötzlich war Vera Gloor (56) der Sündenbock: Helferin der Investoren wurde sie genannt, Profiteurin der Vertreibung. Für die Zürcher Architektin, die in den Achtzigern selbst für autonome Räume kämpfte und von sich sagt, Projekte für herzlose Investoren, die billig sanieren und teuer vermieten, lehne sie ab, war dies eine ungewohnte Rolle.
Was war passiert? 2011 wurde unweit der Langstrasse der Tessiner Keller abgerissen, eine Symbolbeiz für den Zürcher «Chreis Cheib». Anwohner und Mieter fühlten sich von zahlungskräftigeren Gästen verdrängt, auf Neudeutsch nennt man das «Gentrifizierung».
In Wirklichkeit waren es Zürichs Stimmbürger, die das Ende des Lokals besiegelt hatten. Weil sie damals für eine neue Tramlinie votierten, musste die Baulinie verschoben werden. Gloor wollte das Gebäude erhalten. Nur hat das damals kaum jemand registriert.
Randale bringen niemanden weiter
Die Architektin bekam die Wut ab, Linksautonome brüsteten sich, ihre Büros mit Farbbeuteln und Buttersäure attackiert zu haben. Gloor: «Ein schwarzer Strumpf über den Kopf, eine Stinkbombe werfen und wegrennen – was ist denn das für eine Auseinandersetzung mit einem brisanten Thema?» Das sei enttäuschend, bringe niemanden weiter. Sie hingegen habe an der Diskussion teilgenommen.
Nun steckt die Baubranche in einem neuen Klassenkampf. Landesweit entlädt sich die Wut über Wohnungsnot und steigende Mieten in Anschlägen auf Bauprojekte und Immobilienbüros. Die Firma Implenia, häufig Ziel von Angriffen, meldete 2019 zehn Sachbeschädigungen und zwei Brandstiftungen.
Bern: Kampf ums Viertel. Im ehemaligen Arbeiter- und heutigen Szeneviertel Lorraine steht Berns meistgehasstes Haus. An dem Neubau, einem Symbol des Verdrängungskampfs, gehen immer wieder Scheiben zu Bruch, das Haus wird mit Farbe beworfen.
Zürich: Farbbomben. Rund um Zürichs Langstrasse ist die Gentrifizierung besonders Thema. Die Architektin Vera Gloor wurde für den Abriss einer Kultbeiz verantwortlich gemacht. Aktivisten warfen Farben und Stinkbomben.
Genf: Protest der Bürger. Die Wohnungsnot ist in Genf so akut wie in kaum einer anderen Schweizer Stadt. Immer wieder gehen Bürger, Mieter, Aktivisten deswegen auf die Strasse. Bei dieser Demo geht es um den Kampf der Genfer ums Mietrecht.
Bern: Kampf ums Viertel. Im ehemaligen Arbeiter- und heutigen Szeneviertel Lorraine steht Berns meistgehasstes Haus. An dem Neubau, einem Symbol des Verdrängungskampfs, gehen immer wieder Scheiben zu Bruch, das Haus wird mit Farbe beworfen.
Zürich: Farbbomben. Rund um Zürichs Langstrasse ist die Gentrifizierung besonders Thema. Die Architektin Vera Gloor wurde für den Abriss einer Kultbeiz verantwortlich gemacht. Aktivisten warfen Farben und Stinkbomben.
Genf: Protest der Bürger. Die Wohnungsnot ist in Genf so akut wie in kaum einer anderen Schweizer Stadt. Immer wieder gehen Bürger, Mieter, Aktivisten deswegen auf die Strasse. Bei dieser Demo geht es um den Kampf der Genfer ums Mietrecht.
«Man kann es Klassenkampf nennen. Auf dem Wohnungsmarkt herrscht eine Verteilung zwischen den Armen und den Reichen», bestätigt Carlo Sommaruga (60), Genfer SP-Ständerat und Präsident des Mieterverbandes. Der Konflikt drehe sich darum, wie man den Boden nutzen wolle: «Für die Gemeinschaft oder für die Spekulation?»
Auch sie habe damals gespürt, dass ein Nerv getroffen worden sei, sagt Gloor. Es gehe – auch heute – darum, wie man mit dem Problem der Vertreibung umgehe. Denn Gentrifizierung finde statt: «Als Architektin hat man eine Verantwortung dafür, was man tut.»
Sie untersucht gerade zeitgemässe Wohnformen, etwa die Durchmischung von Arbeit und Wohnen. Das Umnutzen und Zwischennutzen alter Liegenschaften findet sie wunderbar, irgendwann aber bestehe Sanierungsbedarf: Dann müsse 100-jährige Bausubstanz eben neu interpretiert werden.
Gloor fehlt hierzulande ein Diskurs über das Wohnen: Stattdessen sieht sie viel Schwarz-Weiss-Denken, das Kurzschlussaktionen auslöse. «Aus Frust und aus Mangel an Information entsteht Gewalt.»
Früher Hausbesetzer, heute Immo-Millionär
Auch andere Zürcher Branchen-Insider haben schon Bekanntschaft mit Buttersäure gemacht, so der Immobilien-Unternehmer Steff Fischer. Ursprünglich kommt er aus der Hausbesetzer-Szene, heute ist er Millionär. Fischer, als «Aufwertungsakteur» tituliert, erlebte die Stinkbomben-Aktion als «Gruss von alten Freunden».
Kampfplatz war und ist nicht nur Zürich. In Bern etwa gilt das ehemalige Arbeiterviertel Lorraine als Trendquartier. Auch hier wurden Wohnungen saniert, stiegen Mieten, bangen alteingesessene Mieter, ihre Bleibe zu verlieren.
Andererseits werden an Neubauten in regelmässigen Abständen Scheiben eingeschlagen oder Fassaden verschmiert. Die ersten Mieter eines Hauses, das sich als bevorzugtes Hassobjekt herausstellte, kündigten kürzlich an, schnellstmöglich wieder ausziehen zu wollen.
Attacke auf Auto von SVP-Politiker
Zum Jahreswechsel übergossen Unbekannte den Mercedes des Stadtberner SVP-Präsidenten Thomas Fuchs (53) mit Kleister, während der Politiker in der Lorraine beim Chinesen einkehrte. Fuchs ist – wenig überraschend – im Immobiliengeschäft tätig.
Wer Scheiben einschlägt, mit Kleister und Farbe hantiert, rechnet auf stillschweigende Zustimmung in jenen Teilen der Bevölkerung, die genug haben von höheren Mieten und Verdrängung.
«Gewalt ist nie eine Lösung. Sie ist immer kontraproduktiv und hilft den Mächtigsten», sagt Pierre-Yves Maillard (51), Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes: «Aber die Militanz ist gut, solche Bewegungen sind sehr nützlich.» Dafür gebe es die direkte Demokratie: Die Miet-Initiative, so Maillard, komme genau zum richtigen Zeitpunkt, «weil der Frust und die Sorgen in der Bevölkerung immer grösser werden».
Wenn ärmere Bewohner von zahlungskräftigen Schichten aus einem Stadtviertel verdrängt werden, wird dies als Gentrifizierung bezeichnet. Der Begriff leitet sich ab vom britischen Wort «gentry» – dem niederen Adel.
Wenn ärmere Bewohner von zahlungskräftigen Schichten aus einem Stadtviertel verdrängt werden, wird dies als Gentrifizierung bezeichnet. Der Begriff leitet sich ab vom britischen Wort «gentry» – dem niederen Adel.