Wie während Corona aus 285 Millionen nur noch 65 wurden
So floppte Berset mit den Kita-Hilfsgeldern

Sozialminister Alain Berset wollte den von der Corona-Krise getroffenen Kindertagesstätten rasch zu Hilfe eilen. Mit den Kantonen im Rücken ging er im April siegessicher in den Bundesrat – und wurde von Finanzminister Ueli Maurer ausgebremst.
Publiziert: 12.06.2020 um 09:31 Uhr
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Aktualisiert: 25.06.2020 um 11:27 Uhr
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Mit 285 Bundesmillionen wollte Bersets Departement die Kitas anfangs unterstützen.
Foto: keystone-sda.ch
Ruedi Studer

SP-Gesundheitsminister Alain Berset (48) ist im Bundesrat der grosse Gewinner der Corona-Krise. Machten sich die Genossen langsam Sorgen, dass er sich lieber um Kunstvernissagen als um Sozialreformen kümmerte, lief er während der Pandemie zur Höchstform auf. Seine Bundesratskollegen lasen ihm schon fast jeden Wunsch von den Lippen ab.

Die grosse Ausnahme: Mit seinen Kita-Millionen lief Berset im Bundesrat überraschend auf. Dabei hatte sein Innendepartement in einer Feuerwehrübung eine Vorlage gezimmert und die Kantone hinter sich geschart. Das zeigen Unterlagen, welche BLICK gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat.

Corona bringt Kitas in Bredouille

Den Anfang nimmt die Geschichte Mitte März: Der Bundesrat ordnet den Lockdown an. Schulschliessungen inklusive. Was Kinderhorte und Kindertagesstätten betrifft, lässt er den Kantonen freie Hand. Die Folge ist ein Flickenteppich: Einige Kantone halten die Kitas offen. Andere betreuen nur die Kinder gewisser Berufsgruppen, etwa des Gesundheitspersonals. Manche schliessen die Kitas gleich ganz. Was bleibt, sind ungedeckte Kosten, da viele Eltern für die ausbleibende Betreuung keine Beiträge zahlen wollen. Das bringt einige Kitas in die Bredouille, es droht das Aus.

Das will Berset verhindern. Er reagiert schnell. Sein Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) arbeitet innert weniger Tage eine Notverordnung aus. Geplant ist eine Ausfallentschädigung für die familienergänzende Kinderbetreuung. Am 27. März erhält die Sozialdirektorenkonferenz (SODK) einen ersten Entwurf zugeschickt. Ziel ist es, zu verhindern, «dass Institutionen der familienergänzenden Kinderbetreuung krisenbedingt aus finanziellen Gründen schliessen müssen».

Klassenprimus Alain Berset, Störenfried Ueli Maurer
5:29
BLICK verteilt Noten:Klassenprimus Berset, Störenfried Maurer

285 Millionen vom Bund

Darin rechnet das BSV mit Unterstützungsgeldern von knapp 570 Millionen Franken für sechs Monate. Bund und Kantone sollen sich diese Kosten hälftig teilen – es geht also um 285 Millionen vom Bund.

Zudem entscheidet das BSV noch zwischen «systemrelevanten» und den «übrigen» Institutionen. Als systemrelevant gelten jene Kitas, die eine Notbetreuung aufrechterhalten. Diese sollen ihre Ausfälle bis zu 100 Prozent gedeckt erhalten. Die übrigen hingegen nur bis zu 80 Prozent. Zudem gibt es nur für private Institutionen Bundesgeld.

Das SODK-Generalsekretariat hat gerade Mal über das Wochenende Zeit für eine Antwort. Zusammen mit den Generalsekretariaten von Erziehungs- wie auch Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz kommt am 30. März die Antwort: «Die Verordnung ist notwendig und dringlich.» Von der Unterscheidung zwischen nicht- und systemrelevanten Institutionen solle man aber absehen, das sei zu schwierig. Dem Halbe-Halbe-Kostenverteiler könne man ohne Konsultation der Kantone aus ordnungspolitischen Gründen nicht zustimmen. «Der Ausfall der Einnahmen war ja eine Folge der Vorgaben des Bundes, deshalb ist die Kostenübernahme durch den Bund notwendig.»

Ein Telefonat nach St. Gallen

Das BSV nimmt sich die Kritik zu Herzen. In einem kurzen Mail an das Departement Berset zeigt es sich offen, auf die Unterscheidung zu verzichten und überall bis 100 Prozent zu entschädigen.

Die Kritik am Kostenverteiler hingegen bereitet Sorgen. «Der Bund kann nicht mehr übernehmen und ohne die Zustimmung der Kantone können wir nicht in den Bundesrat», heisst es im Mail. Der Vorschlag: Das Innendepartement solle doch dem damaligen SODK-Präsidenten Martin Klöti (66, SG) anrufen, «um ihm den Ernst der Lage klar zu machen». Nebenbei korrigiert das BSV die geschätzten Kosten auf gesamthaft 400 Millionen herunter – es hatte vergessen, die Entlastung durch Kurzarbeitsentschädigungen an die Kitas einzuberechnen.

Finanzverwaltung stellt sich quer

Gleichentags gegen Mittag werden die Bundeskanzlei, das Bundesamt für Justiz und die eidgenössische Finanzverwaltung um eine Stellungnahme gebeten – knapp vier Stunden haben sie Zeit für eine Rückmeldung. Auf eine breitere Ämterkonsultation wird «aus zeitlichen Gründen» verzichtet. Die ersten beiden Bundesstellen haben keine grundsätzlichen Einwände.

Die Finanzverwaltung, die dem Departement von SVP-Bundesrat Ueli Maurer (69) angegliedert ist, hingegen schon. Maurer gehört von Beginn weg zu den Bremsern im Bundesrat. Das drückt nun durch.

Die Finanzverwaltung macht klar, «dass wir die neuen Finanzhilfen generell ablehnen». Die familienergänzende Kinderbetreuung sei Sache der Kantone und Gemeinden. Eine Bundeslösung sei daher «weder angemessen noch effizient». Der Vorschlag sei zu bürokratisch und komplex. Ihr Fazit: Die Kitas könnten ja Kurzarbeit und Notkredite beantragen. Zumindest müsse der Bund die Notverordnung auf drei bis vier Monate beschränken.

Nur noch 98,5 Millionen

Bersets Leute halten an der Kita-Unterstützung fest, nehmen aber tatsächlich Anpassungen vor. Die Unterstützungsdauer wird auf drei Monate beschränkt. Neu sind nur noch 98,5 Bundesmillionen eingeplant.

Am 1. April kommt zudem grünes Licht von SODK-Präsident Klöti. Er hat den Ernst der Lage erkannt. In Absprache mit EDK-Präsidentin Silvia Steiner (62, ZH) und VDK-Präsident Christoph Brutschin (62, BS) erklärt er sich «unter den gegebenen Umständen mit dem je hälftigen Kostenteiler zwischen Bund und Kantonen einverstanden».

Maurer bremst Berset aus

Mit der Rückendeckung der Kantone geht Berset am 3. April siegessicher in die Bundesratssitzung. Die Medienmitteilung liegt bereits parat. «Coronavirus: Der Bundesrat unterstützt die familienergänzende Kinderbetreuung», so der Titel.

Doch der SP-Magistrat stolpert über Maurers Widerstand. Der Finanzminister verteidigt die Bundeskasse verbissen und zieht die SVP-FDP-Mehrheit auf seine Seite. Berset muss den Entscheid noch gleichentags an der bundesrätlichen Medienkonferenz erklären – seine säuerliche Miene spricht Bände.

Parlament spricht 65 Millionen

Doch die Empörung und der Druck auf die Politik ist riesig. Das Parlament greift ein und spricht schliesslich 65 Bundesmillionen für die Kita-Unterstützung. Immerhin. So geht Berset schliesslich doch nicht ganz als Verlierer vom Feld.

Doch der Schaden ist angerichtet: Viele Kantone haben auf eigene Faust gehandelt und eigene Vorgaben erstellt, die nun wieder mit dem Bund abgeglichen werden müssen. Der Kita-Wirrwarr geht weiter.

Kantonales Kita-Wirrwarr

65 Millionen Franken hat das Parlament für die Kita-Unterstützung gesprochen. Doppelt so viel sollen die Kantone beisteuern. Damit werden während drei Monaten vollumfänglich die ausgefallenen Elternbeiträge ausgeglichen. Haben Eltern ihre Beiträge bezahlt, obwohl die Kita geschlossen war, erhalten sie ihr Geld zurück. Das sieht die neue bundesrätliche Verordnung.

Allerdings haben nur private Institutionen Anspruch auf Bundesgelder – dazu zählen auch von der öffentlichen Hand subventionierte Einrichtungen. Von Kantonen und Gemeinden selbst betriebene Kitas hingegen erhalten keinen Rappen.

Kantonaler Wirrwarr

Das sorgte besonders in der Romandie für Ärger. Bundesrat Alain Berset (48) musste deshalb in der Fragestunde des Nationalrats antraben. Es gehe um eine Soforthilfe für private Einrichtungen, deren Existenz bedroht sei. «Wenn der Bund auch die Defizite in öffentlichen Einrichtungen übernehmen würde, müsste er zusätzliche Kosten in Höhe von rund 20 Millionen Franken tragen, für die er keine Kredite hatte.» Im Grundsatz müsse die öffentliche Hand die entstandenen Schäden selber tragen.

Das Kita-Chaos geht auch andernorts weiter: Nach dem anfänglichen Njet des Bundesrats sprangen teils die Kantone den Kitas zu Hilfe – mit eigenen Bedingungen und Fristen. Das Resultat ist ein Flickenteppich, ein kantonaler Wirrwarr. Umso grösser ist nun der bürokratische Aufwand, die bereits geleistete Hilfe aufzurechnen. Der Bund will nämlich eine «Überentschädigung» der Kitas verhindern, wie Berset betonte. Ruedi Studer

Keystone

65 Millionen Franken hat das Parlament für die Kita-Unterstützung gesprochen. Doppelt so viel sollen die Kantone beisteuern. Damit werden während drei Monaten vollumfänglich die ausgefallenen Elternbeiträge ausgeglichen. Haben Eltern ihre Beiträge bezahlt, obwohl die Kita geschlossen war, erhalten sie ihr Geld zurück. Das sieht die neue bundesrätliche Verordnung.

Allerdings haben nur private Institutionen Anspruch auf Bundesgelder – dazu zählen auch von der öffentlichen Hand subventionierte Einrichtungen. Von Kantonen und Gemeinden selbst betriebene Kitas hingegen erhalten keinen Rappen.

Kantonaler Wirrwarr

Das sorgte besonders in der Romandie für Ärger. Bundesrat Alain Berset (48) musste deshalb in der Fragestunde des Nationalrats antraben. Es gehe um eine Soforthilfe für private Einrichtungen, deren Existenz bedroht sei. «Wenn der Bund auch die Defizite in öffentlichen Einrichtungen übernehmen würde, müsste er zusätzliche Kosten in Höhe von rund 20 Millionen Franken tragen, für die er keine Kredite hatte.» Im Grundsatz müsse die öffentliche Hand die entstandenen Schäden selber tragen.

Das Kita-Chaos geht auch andernorts weiter: Nach dem anfänglichen Njet des Bundesrats sprangen teils die Kantone den Kitas zu Hilfe – mit eigenen Bedingungen und Fristen. Das Resultat ist ein Flickenteppich, ein kantonaler Wirrwarr. Umso grösser ist nun der bürokratische Aufwand, die bereits geleistete Hilfe aufzurechnen. Der Bund will nämlich eine «Überentschädigung» der Kitas verhindern, wie Berset betonte. Ruedi Studer


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