Es sind drei unscheinbare Buchstaben auf Lastwagen, die die Welt durchqueren. TIR. Die blauen Schilder an der Vorder- und Rückseite stehen für «Transport international routier». Hat ein LKW ein «Carnet-TIR», kann ein LKW-Fahrer die Grenzen überqueren, ohne Zollgebühren zu zahlen oder kontrolliert zu werden. Ein bis vor Kurzem sehr einträgliches Geschäft, das nun durch den freien Warenverkehr in Europa unter Druck gerät.
Hinter diesem Garantiesystem verbirgt sich eine diskrete, undurchsichtige und millionenschwere internationale Organisation, die von internen Machtkämpfen geplagt wird und deren führende Mitglieder seit 2017 im Visier der Genfer Justiz stehen: die Internationale Strassentransport-Union (IRU).
Riesige Reserven
Die IRU hat im Jahr 2015 offenbar bis zu 1,9 Milliarden Franken Vermögenswerte angehäuft – sie selbst bestreitet die Zahlen. Doch in den vergangenen Jahren kam es zu Verlusten von einer halben Milliarde Franken – wegen Fehlinvestition in einem Immobilienprojekt in der Türkei, wie verschiedene Medien enthüllten. Laut dem Jahresbericht 2022 befinden sich noch immer rund 400 Millionen Franken in den Kassen. Jetzt zeigen Blick-Recherchen: Der Staat sieht nichts von diesem Geld. Die Institution ist seit 2009 vom Genfer Fiskus von der Steuer befreit, weil sie als gemeinnützig gilt.
Es gibt klare Kriterien für die Steuerbefreiung. Dazu gehört, dass eine steuerbefreite Körperschaft weder Geld horten noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen darf und ihre Mittel für ihre gemeinnützigen Zwecke verwenden muss. Ist dies bei der IRU der Fall?
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Um diese Frage zu beantworten, müssen wir einen Blick auf die «IRU-Stiftung für Strassenverkehr» werfen. Die wurde 1988 von der IRU selbst gegründet. Die Stiftung, die Steuern zahlt, sei in Wirklichkeit der «geschäftstätige Arm» der IRU, schrieb der «Tages-Anzeiger» 2020. Doch damit nicht genug: Die Stiftung sei «aus steuerlichen Gründen» gegründet worden, da «die IRU keine Geschäfte machen darf». Das Kapital der IRU-Stiftung stammt aus dem Carnet-TIR-Verkauf.
IRU: Stiftung wurde «unabhängig» gegründet
Die IRU sieht das etwas anders, auch wenn sie gegenüber Blick bestätigte, dass die Stiftung und ihre Tochtergesellschaften kommerzielle und nicht-kommerzielle Aktivitäten durchführen.
Laut Sprecher John Kidd wurde die Stiftung – «unabhängig», wie er betont – gegründet, um «die gleichen Ziele wie die IRU zu erreichen». Der Mediensprecher betonte, dass die Carnet-TIR «nicht kommerzieller Natur» und die IRU eine gemeinnützige Organisation seien.
«Wir müssen über ausreichende Rücklagen für das TIR-System verfügen und alle potenziellen Haftungsansprüche abdecken», sagt Kidd. «Alle Überschüsse, die durch operative Tätigkeiten oder Finanzinvestitionen erwirtschaftet werden, werden reinvestiert, damit die IRU weiterhin ihren Auftrag erfüllen kann.»
Kurz gesagt: Geht weiter, es gibt nichts zu sehen.
Ausnützung des Steuergeheimnisses
Doch in der Politik gibt man sich besorgt. «Zu erfahren, dass eine Struktur mit einem solchen Vermögen von den Steuern befreit ist, ist schockierend», sagte der Genfer SP-Grossrat Sylvain Thévoz (48). «Das wirft Fragen über die Schärfe der durchgeführten Kontrollen auf.» Das Steuergeheimnis werde in Genf zum Nachteil des öffentlichen Interesses extensiv genutzt, vermutet Thévoz.
«Heute ist es unmöglich zu wissen, welche Beträge dem Fiskus vorenthalten werden und wie umfangreich die Kontrollen bezüglich der Steuerbefreiungen sind. Es ist eine Blackbox und demokratisch sehr problematisch.»
Intervention des Bundes
Auch die jüngere Geschichte der IRU ist turbulent. 2020 kam es zu einem Machtkampf in der Chefetage, wie der «Tages-Anzeiger» schrieb. Es ging um die Unabhängigkeit der IRU gegenüber der Stiftung. Jetzt hat laut Handelsregister die eidgenössische Stiftungsaufsichtsbehörde (ESA) zwei Kommissare ernannt.
Was sie genau tun, ist unklar. Die ESA werde tätig, wenn sie über Hinweise verfüge, dass das Funktionieren oder das Vermögen einer Stiftung gefährdet ist, strafbare Handlungen begangen wurden oder Mängel in der Organisation vorliegen, sagt eine Sprecherin.
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft von Ernst & Young empfahl in einem Bericht, den Blick einsehen konnte, die Stiftung von der Vereinigung zu entkoppeln. Grund sei das «Verwechslungsrisiko». Diese Gefahr wurde aus steuerlicher Sicht als «erheblich» bezeichnet. Dies ist nur eines von vielen Risiken, die Liste erstreckt sich über etwa sieben Seiten.
2017 leitete die Staatsanwaltschaft Genf zudem ein Verfahren wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung, Betrugs und Missbrauchs von Vertretungsbefugnissen ein. Das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen, sagte die Staatsanwaltschaft auf Blick-Anfrage.