Weil Strafverfahren Jahre dauern, fordert GLP-Flach
Delikte ohne Opfer sollen nicht mehr vor den Staatsanwalt

Die Justiz ist so überlastet, dass Verfahren teilweise so lange dauern, dass Schuldige gar nicht bestraft werden. Das dürfe nicht passieren, heisst es aus der Politik. Jurist und Nationalrat Beat Flach hat einen Vorschlag, wie Abhilfe geschaffen werden könnte.
Publiziert: 25.07.2023 um 00:04 Uhr
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Der Kettensägenmann von Schaffhausen wartete nach der Tat vier Jahre auf sein Urteil. Foto vom Prozess 2019.
Foto: Andrea Brunner
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Sophie ReinhardtRedaktorin Politik

Bis ein Beschuldigter vor Gericht erscheinen muss, kann es Jahre dauern. So etwa im Fall um den Motorsägen-Mann von Schaffhausen. Dieser griff im Juli 2017 zwei Personen mit einer Kettensäge an. Es dauerte aber bis 2021, bis das Bundesgericht das Urteil fällte.

Lange Untersuchungsverfahren führen teilweise gar dazu, dass Verdächtigte milder sanktioniert werden oder sogar straflos bleiben. Im schlimmsten Fall dauern Ermittlungen so lange, bis die Straftaten verjährt sind. Auf wie viele Fälle das genau zutrifft, ist nicht erfasst. Doch gemäss «Tagesanzeiger» stapeln sich zurzeit über 100’000 offene Dossiers in den Kantonen.

Personalengpässe und neue Gesetze

Fachleute nennen verschiedene Gründe, warum sich Verfahren so in die Länge ziehen. Mehrere Kantone klagen etwa über Personalengpässe bei Staatsanwaltschaft oder Polizei. Andere klagen über das Parlament in Bern, das immer neue Gesetzesartikel beschliesst, die dann mehr Aufwand für die kantonal organisierte Justiz bedeuten.

«Die Politik hat die Strafbarkeit wirklich in alle Richtungen erweitert und immer wieder neue Tatbestände geschaffen. Das kann zu mehr Strafverfahren führen», sagt Mitte-Fraktionschef und Jurist Philipp Matthias Bregy (45) zu Blick.

Es sei aber auch die Aufgabe der Politik, auf gesellschaftliche Entwicklungen im Strafbereich zu reagieren, wie das etwa im neuen Sexualstrafrecht geschah. So beschloss das Parlament kürzlich, den Straftatbestand «sexueller Übergriff» neu zu schaffen.

Aufgabe der Kantone sei es, auf diese Erneuerungen zu reagieren, so Bregy. Er sehe darum beispielsweise keinen Bedarf, die Rechte der Beschuldigten zu beschneiden, weil die Staatsanwaltschaft derzeit über viel Arbeit klagt.

Opferlose Delikte einfacher bestrafen

Auch der Grünliberale Beat Flach (58) findet, es sei Aufgabe der Kantone, Stellen auszubauen, wenn sich bei ihnen ein grosser Berg an Arbeit ansammle.

Anderseits hat er auch eine Idee, wie man die Justiz entlasten kann: «Ich würde es begrüssen, wenn sich über opferlose Delikte nicht immer unbedingt ein Staatsanwalt beugen muss.» Dies sei beispielsweise der Fall, wenn jemand eine Busse erhalte, weil er mehrmals ohne Ticket Bus gefahren sei.

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«Eine langsame Justiz ist eine ungerechte Justiz.»
Andrea Caroni, FDP-Ständerat
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Rechtsanwalt und FDP-Ständerat Andrea Caroni (43) hatte schon selbst mit Fällen zu tun, bei denen es zu einer Strafminderung kam, weil die Ermittlungen so lange angedauert hatten: «Mindestens in einem Fall war die Polizei sehr lange mit Ermittlungen beschäftigt», erzählt er Blick. Jahrelange Verschleppungen von Verfahren seien per se problematisch: «Eine langsame Justiz ist eine ungerechte Justiz», so Caroni.

Basel soll Rentner anstellen

Ein weiterer Grund, warum sich die Dossiers türmen, ist auch die Steigerung der Komplexität der Fälle. Im Jahresbericht der Staatsanwaltschaft Schaffhausen heisst es zum Beispiel, dass es im vergangenen Jahr zu einer «noch nie dagewesenen Häufung von grossen und sehr aufwendigen Strafverfahren in den Bereichen Gewalt- und Vermögensdelikte» kam – als Beispiel wird der Motorsägen-Fall genannt. Auch die Digitalisierung stelle die Strafverfolgungsbehörden mitunter vor einen zunehmenden Auswertungsaufwand.

Nicht zuletzt macht auch der Fachkräftemangel den Strafverfolgern zu schaffen. So teilt die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallens auf Anfrage mit, dass mehrere Stellen in der Verfahrensleitung sowie in der Administration fehlten. Doch es sei die Politik, die solche Stellen bewilligen müsse. In Basel-Stadt empfiehlt die Aufsichtskommission über die Staatsanwaltschaft derweil bereits, pensionierte Staatsanwälte befristet anzustellen, um die Pendenzen abzuarbeiten.

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