Weil er kein drittes Geschlecht will
Bundesrat biegt sich Wahrheit zurecht

Der Bundesrat will kein drittes Geschlecht einführen. Dabei stützt er sich auf die Ethikkommission. Doch die will, dass ein drittes Geschlecht eingeführt wird.
Publiziert: 23.12.2022 um 06:55 Uhr
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Sollen non-binäre Personen weiterhin im Pass ein F für Frau oder M für Mann stehen haben?
Foto: Screenshot Fedpol
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Sermîn FakiPolitikchefin

Sollen non-binäre Personen weiterhin gezwungen werden, offiziell als Mann oder als Frau zu gelten? Der Bundesrat findet: Ja. Am Mittwoch hat er sich gegen die Einführung eines dritten Geschlechts ausgesprochen – wie es Deutschland und Österreich kennen. Dort können Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen, im Pass ein X oder das Wort «divers» eintragen lassen.

In der Schweiz soll das nicht möglich sein – weil die «gesellschaftlichen Voraussetzungen» nicht gegeben seien, sprich: die Schweizer Bevölkerung noch nicht so weit sei, das zu akzeptieren.

Meinung wird ins Gegenteil verkehrt

Die Regierung – besser gesagt das Justizdepartement von Karin Keller-Sutter (58) – stützt sich bei ihrer Ablehnung auf die Nationale Ethikkommission (NEK). In der Medienmitteilung heisst es: «Diese Haltung teilt auch die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK) in ihrem Bericht aus dem Jahr 2020.» Darin halte sie fest, dass die heutige Regelung und Praxis zwar unbefriedigend seien, zuerst aber die gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Aufgabe des binären Geschlechtermodells geschaffen werden müssten.

Nur: Das stimmt nicht! Keller-Sutters Departement verdreht die Meinung der Kommission ins Gegenteil. Die NEK vertritt in ihrem Bericht die Meinung, es sei am besten, komplett auf die amtliche Registrierung des Geschlechts zu verzichten. Da dies mit «weitreichenden, auch ethisch relevanten, Folgen» einherginge, die auch «die gesellschaftlichen Voraussetzungen, die gegeben sein müssen» betreffen würden, rät die Kommission zu einem mehrstufigen Vorgehen.

NEK ist für drittes Geschlecht

Und dann rät die NEK: «In einem ersten Schritt sollen die gesetzlichen Grundlagen für eine dritte Eintragungsmöglichkeit geschaffen werden.» Sie spricht sich also für die Einführung eines dritten Geschlechts aus, wie auch deren Präsidentin Andrea Büchler (54) auf Radio SRF bestätigt.

Sie sagte am Donnerstag unmissverständlich: «Die heutige Regelung trägt der Vielfalt von Geschlechtsidentitäten nicht genügend Rechnung.» Das gelte es nach der Ethikkommission zu korrigieren.

Keller-Sutter schickt Bundesamt vor

Warum der Widerspruch? Büchler kann es nicht sagen. «Die Stellungnahme ist einsehbar», meint sie nur. Das Justizdepartement wiederum schickt das Bundesamt für Justiz vor, das die Vorarbeiten für den Bundesratsentscheid leistete.

Dieses redet sich heraus. Das von der NEK vorgeschlagene mehrstufige Verfahren im Bericht werde «ausführlich erläutert und in der Medienmitteilung zusammengefasst». Insofern entspreche die NEK-Meinung der Einschätzung des Bundesrats, dass die Voraussetzungen für einen Verzicht auf jede amtliche Registrierung des Geschlechts noch nicht ausreichend seien.

«Das ist nicht tragbar»

Doch das ist erneut falsch. Einig sind sich Landesregierung und NEK nur im Hinblick auf den Verzicht einer Geschlechtsregistrierung – aber dann hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf.

Die Basler Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan (42), die den Bericht zum dritten Geschlecht anforderte, ist schockiert. «Dass der Bundesrat falsche Informationen verbreitet und Fakten verdreht, ist für einen Rechtsstaat nicht tragbar», sagt sie. Die Bürger müssten der Regierung vertrauen können – doch durch solche Manöver mache sie sich unglaubwürdig.

Es sei, kritisiert Arslan, nicht das erste Mal, dass sich der Bundesrat faktenwidrig äussert – auch im Vorfeld der Abstimmungen über das Frontex-Referendum und die Konzernverantwortungs-Initiative habe er «Unwahrheiten verbreitet». Arslan: «Als Parlamentarierin erwarte ich, dass sich die Regierung an Fakten hält – ob diese ihr nun passen oder nicht.»


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