Seit Ende 2020 sind die Corona-Fallzahlen in Portugal explodiert. Heute trägt jeder 70. Portugiese das Virus in sich – und das sind nur die nachgewiesenen Fälle. In keinem Land der Welt gilt die Infektionsrate derzeit als so hoch.
Dabei war Portugal im letzten Frühling noch ein Vorzeigeland bei der Bewältigung der Corona-Krise. Trotz marodem Gesundheitssystem hatte man die Lage besser im Griff als in vielen anderen europäischen Staaten. Nach dem Lockdown im Frühling galten bis vor ein paar Wochen kaum noch Restriktionen.
Lockerungen über Weihnachten wurden zum Verhängnis
Nun ist aus dem Vorbild ein warnendes Beispiel dafür geworden, wie sich die Corona-Epidemie im schlimmsten Fall entwickeln kann. Die Situation sei dramatisch, fasste Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) am Mittwoch die Lage zusammen. Und er stellte klar: «Das ist genau der Punkt, wo wir nicht hinwollen.»
Der Fall Portugal zeigt, wie man das verhindern kann. So sind sich Experten einig, dass der Hauptgrund für die Eskalation in Portugal die Lockerungen über die Weihnachtsfeiertage waren. Während die Schweiz Restaurants und Freizeitbetriebe schloss, liess die portugiesische Regierung jede Vorsicht fallen. «Weihnachten retten», lautet der Tenor. Familienfeiern waren fast uneingeschränkt erlaubt, die Sperrstunde für Bars und Restaurants wurde verschoben.
Mutanten-Viren breiten sich aus
Gleichzeitig trat Mitte Dezember die britische Mutation auf. Zahlreiche Staaten beschränkten den Flugverkehr nach Grossbritannien, auch die Schweiz. Nicht aber Portugal: Britische Touristen reisten weiter ungehindert ein. Mittlerweile schätzt man, dass in verschiedenen Landesteilen schon mindestens die Hälfte der Infizierten die britische Mutation in sich trägt.
Obwohl die Fallzahlen massiv anstiegen, blieb die portugiesische Regierung lange untätig. Erst Mitte Januar wurde ein erneuter Lockdown verhängt. Seit dem 23. Januar lässt Portugal keine Flugzeuge aus Grossbritannien mehr landen – und auch nicht aus Brasilien, wo sich eine andere Mutation ausbreitet.
Noch bis vergangenes Wochenende konnte jeder aus dem Schengenraum unkontrolliert in Portugal einreisen. Jetzt ist ein aktueller PCR-Test Pflicht. Streng kontrolliert wird auch an der Grenze zu Spanien. Viele Übergänge sind gleich ganz gesperrt. Seit gut einer Woche sind ausserdem auch sämtliche Schulen im Land zu.
Schweiz muss vorsichtig sein
Doch das alles reicht nicht. In den vergangenen Tagen ist das Gesundheitswesen in Portugal kollabiert. Das 10-Millionen-Land hat zu wenig Intensivbetten, um sich um all seine Kranken zu kümmern. Und es hat weniger als jedes andere Land in Europa. Zum Vergleich: Während in Portugal gut vier Intensivplätze pro 100'000 Einwohner zur Verfügung stehen, sind es in der Schweiz knapp zwölf. Zum Bettenmangel kommt der Personalmangel hinzu. Fast die Hälfte der portugiesischen Ärzte soll sich bereits mit Corona infiziert haben.
Angesichts dieser Entwicklung ist die Schweiz gut beraten, Lockerungen nur sehr vorsichtig in Angriff zu nehmen. Besonders in Anbetracht der Tatsache, dass sich die mutierten Viren hierzulande ähnlich rasant ausbreiten, wie das in Portugal der Fall ist.
Bern hat noch keine Hilfsanfrage bekommen
Die portugiesische Regierung hat inzwischen um internationale Hilfe gebeten. Deutschland hat am Mittwoch Bundeswehr-Soldaten nach Lissabon geschickt. Österreich nimmt portugiesische Patienten bei sich auf. Auch bei uns hat Portugal sondiert, ob die Schweiz zur Aufnahme von Patienten bereit wäre, wie BLICK bekannt machte. Der Bund wäre es. Doch bis Donnerstag ist noch keine offizielle Anfrage aus Lissabon eingetroffen.