Für die SVP könnte der Zeitpunkt nicht ungünstiger sein: Drei Wochen vor den nationalen Wahlen muss sich die grösste Partei des Landes den Vorwurf gefallen lassen, nicht genügend Distanz zu rechtsextremen Kräften zu wahren.
Letzte Woche machte SonntagsBlick publik, dass die Winterthurer SVP-Präsidentin Maria Wegelin (44) die Gruppierung Junge Tat für ihre Medienarbeit beschäftigt, nun weitet sich die Affäre aus. Neue Recherchen zeigen: Auch die Junge SVP Thurgau arbeitet mit den Rechtsextremen zusammen: Deren Kopf Manuel C.* (23) entwarf für die Kantonssektion Plakate zu den Nationalratswahlen. Mehr noch: Er ist selbst Parteimitglied bei der Jungen SVP Thurgau.
C., Gründer und Einpeitscher der Jungen Tat, wurde 2020 aus der Zürcher Hochschule der Künste geworfen, weil er und seine Gesinnungskameraden eine Onlinevorlesung mit «Heil Hitler»-Rufen störten. Die Staatsanwaltschaft verurteilte ihn wegen Judenhass, die Polizei beschlagnahmte bei Hausdurchsuchungen Waffen.
Weshalb engagiert die Junge SVP Thurgau einen bekannten Rechtsextremisten für ihren Wahlkampf? In einer schriftlichen Stellungnahme erklärt die Geschäftsleitung der Kantonalsektion, dass man bei Dienstleistungen für die Partei jeweils auf eigene Kräfte zurückgreife. C. habe die Arbeiten auf einen internen Aufruf hin übernommen.
Die Jungpartei beteuert, vor knapp zwei Monaten, als der Auftrag vergeben wurde, noch nichts über den Hintergrund von C. gewusst zu haben. Insider bestreiten diese Darstellung. Was die Geschäftsleitung einräumt: «Manuel C. ist seit Anfang 2023 Mitglied bei der Jungen SVP Thurgau.» Es übersteige jedoch die eigenen Kapazitäten, bei jedem Neumitglied einen Hintergrundcheck durchzuführen. Die Jungpartei habe 220 Mitglieder. «Der Vorstand wird den Sachverhalt in der nächsten Vorstandssitzung diskutieren und das weitere Vorgehen beschliessen.»
Keine klare Distanzierung
Im Gegensatz zum Fall der Winterthurer SVP-Präsidentin, die sich von der Jungen Tat auch ihre politischen Inhalte formulieren liess, beschränkte sich der Auftrag von C. bei der Jungen SVP Thurgau in erster Linie auf grafische Arbeiten. Zu einer klaren Distanzierung von der Gruppe kann sich die Jungpartei dennoch nicht durchringen. Die Geschäftsleitung schreibt: «Die Junge SVP führt ihre politischen Diskurse sachlich und versucht ihre Forderungen im Rahmen des normalen politischen Prozesses durchzusetzen.» Man distanziere sich von «politisch motivierten Handlungen, welche von diesem sachlichen und geordneten politischem Prozess abweichen.»
Noch mehr Mühe, sich von den Rechtsextremen zu distanzieren, hat Maria Wegelin. Im Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung» kündigte sie an, dass sie an der Zusammenarbeit mit der Jungen Tat festhalte: «Wir merkten, dass wir gewisse Gemeinsamkeiten haben.»
Der neue Fall wirft die Frage auf, wie systematisch die Verbindungen zwischen der Jungen Tat und SVP-Kreisen sind. Klar ist: Die Rechtsextremen suchen gezielt die Nähe zur Partei. Und dies mit zunehmendem Erfolg. In den letzten Monaten tauchten Aktivisten der Jungen Tat wiederholt an SVP-Anlässen auf. Insbesondere in die Junge SVP pflegt die Gruppierung mittlerweile gute Kontakte. Auch Wortwahl und Inhalte gleichen sich teilweise an.
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Etwa dann, wenn die Junge SVP Aargau über die Flüchtlingskrise auf Lampedusa schreibt: «Ersetzungsmigration stoppen und alle zurückweisen!» Damit übernimmt die Partei gleich zwei Narrative der Jungen Tat. Zum einen die Verschwörungstheorie vom Bevölkerungsaustausch, laut der eine geheime Elite die weisse Bevölkerung in Europa gegen Muslime und afrikanische Migranten austauschen will. Und zum anderen das rechte Konzept der Remigration, das auch die Junge-Tat propagiert.
Ein Blick auf den X-Account (früher Twitter) der Jungen SVP Schweiz zeigt zudem, dass sie in den letzten Tagen diverse problematische Postings von Anführern der Jungen Tat gelikt hat.
Ziel: Anschluss an bürgerliche Kreise
David Trachsel (28), Präsident der Jungen SVP Schweiz, weigert sich denn auch, sich von der Jungen Tat und deren Inhalten zu distanzieren. Die SVP sei auf gutem Weg, die Wahlen zu gewinnen, sagt er. Medien würden dies verhindern wollen und versuchen deshalb, «die SVP zwanghaft in eine rechtsextreme Ecke zu stellen». Die Kontakte zur Jungen Tat will er nicht kommentieren.
Die Taktik der Gruppe um Manuel C. scheint aufzugehen. Gegen aussen geben sich die Radikalen hip und heimatverliebt. Ihr Ziel: Anschluss zu finden an bürgerliche Kreise. Aber die Junge Tat ist keineswegs harmlos.
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) beobachtet die Gruppe, erst kürzlich warnte die europäische Polizeibehörde Europol vor ihrer neuartigen Kommunikationsstrategie. Gegen C. und seine Mitstreiter laufen mehrere Strafverfahren, unter anderem wegen Volksverhetzung, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch.
Die SVP-Spitze jedoch schweigt weiterhin. SonntagsBlick hat mehrmals bei Parteipräsident Marco Chiesa (48) nachgefragt – eine Antwort kam nie.
Dafür posierte Chiesa vor einer Woche mit Aktivistinnen des rechtsextremen Frauenkollektivs Nemesis im Bundeshaus. Die Gruppe zog vor kurzem zusammen mit der Jungen Tat durch Bern.
* Name bekannt