Darum gehts
- Parlamentarier fordern Verbesserungen für minderjährige Asylsuchende bei Abschiebungen
- Nächtliche Polizeieinsätze und Abschiebungen kranker Kinder werden kritisiert
- Vier Vorstösse im Parlament eingereicht, um die Situation zu verbessern
Blick-Recherchen in Kroatien über die Abschiebung schwer kranker Kinder aus der Schweiz haben in Bundesbern aufhorchen lassen. Im Parlament wurden gleich vier Vorstösse eingereicht, welche die Situation minderjähriger Asylsuchender verbessern sollen, deren Familien per Sonderflug abgeschoben werden sollen.
In ihrer Interpellation erwähnt SP-Nationalrätin Jessica Jaccoud (41) die «dramatische» Geschichte von Bezma*. Das schwer kranke, sechsjährige Mädchen wurde von Vallorbe VD nach Kroatien zurückgeschickt, obwohl sie am Tag nach ihrer Verhaftung einen wichtigen Arzttermin im Unispital Lausanne hatte.
«Schockierende» Methoden der Polizei
Jaccoud spricht dabei über die «schockierenden» Methoden der Polizei: «Einsatz mitten in der Nacht, Androhung von Handschellen und Mobilisierung von etwa 20 Beamten». Die SP-Frau betont, dass dies in der Schweiz kein Einzelfall sei, und forderte den Bundesrat auf, die nächtlichen Ausschaffungen in Anwesenheit Minderjähriger zu rechtfertigen und das Verfahren zu erläutern.
«Dass Polizisten mitten in der Nacht anrücken, um kranke Kinder zu abzuschieben, ist unseres Landes und des Kantons Waadt unwürdig», erklärt Jaccoud auf Nachfrage. «Unsere Behörden auf allen Ebenen haben einen Handlungsspielraum in Bezug auf die Bedingungen, unter denen diese Abschiebungen durchgeführt werden.»
In einer zweiten Interpellation macht sich Jaccoud Sorgen um die medizinische Betreuung von Ausgeschafften. Sie befragt den Bundesrat nach dem Verfahren der privaten Firma Oseara, die vom Staatssekretariat für Migration beauftragt wurde, den Gesundheitszustand einer Person vor einer Ausschaffung zu bestimmen.
Sie will auch wissen, ob Kantonsbehörden die Möglichkeit haben, eine Überstellung aufzuschieben oder rückgängig zu machen, und ob der Bundesrat erwägt, Rückführungen in Länder auszusetzen, in denen der Zugang zu medizinischer Versorgung nicht gewährleistet ist. Ein Beispiel ist die tragische Geschichte von Gildas, dem zehnjährigen Jungen, der an einer genetischen Krankheit leidet, die von kroatischen Ärzten nicht richtig behandelt werden kann.
Kriterien der Menschlichkeit und des Mitgefühls
Die Grüne Delphine Klopfenstein Broggini (48) befasst sich mit der Möglichkeit der Schweiz, die Souveränitätsklausel der Dublin-Verordnung zu aktivieren. Damit könnten die Behörden auf die Überstellung von Asylsuchenden verzichten und den Antrag selbst bearbeiten, gerade wenn humanitäre Gründe gibt vorliegen.
«Wenn ein krankes Kind nicht unter die Kriterien der Menschlichkeit und des Mitgefühls fällt, wer dann?», fragt die Grünen-Nationalrätin.
«Rote Linie» überschritten
SP-Nationalrat Jean Tschopp (43) befasst sich mit der Nichtumsetzung der Kinderrechtskonvention, die für die Schweiz bindend ist: «Mit diesen Rückführungen von Kindern in entsetzliche Situationen wurde eine rote Linie überschritten.»
Tschopp will wissen, ob die Gesundheitsversorgung zurückgeschickter Kindern angesichts von Vorwürfen über unmenschliche Behandlung in Kroatien oder anderen Ländern neu bewertet wird. Neben der Nichtbeachtung der Empfehlungen der Nationalen Kommission gegen Folter, die gerade die Handschellen für Ausgewiesene betreffen, befragt Tschopp die Regierung auch zu möglichen finanziellen Sanktionen gegen die Kantone, welche die Souveränitätsklausel anwenden.
Verzweifelter Vater bittet um Hilfe
Parallel dazu hat sich bei Blick der besorgte Vater von Gildas gemeldet: «Sein Zustand wird kritisch und es muss dringend eine Lösung gefunden werden.» Der Zehnjährige kongolesischer Herkunft, der im November nach Zagreb zurückgeschickt wurde – obwohl er an Sichelzellenanämie leidet, einer genetischen Krankheit, die Bluttransfusionen erfordert.
Das Krankenhaus in Zagreb hatte schriftlich bestätigt, dass die Behandlung von Patienten mit dieser Krankheit in Kroatien aufgrund des Mangels an passenden Blutspendern «sehr schwierig» sei. Der behandelnde Arzt rät der Familie daher, in ein Land zurückzukehren, in dem es mehr potenzielle Spender gibt, und ein humanitäres Visum für die Schweiz zu beantragen.
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) wiederum versichert Blick, dass seines Wissens nach im Fall Gildas kein Fehler vorliege und dass «eine angemessene medizinische Versorgung der betroffenen Personen gewährleistet» sei. Es soll aber in Zagreb ein neues medizinisches Gutachten angefordert haben, um darzulegen, warum das Kind in Kroatien keine angemessene Behandlung erhalten kann. Doch für Gildas läuft die Zeit.
Auf die Dringlichkeit in dem Fall aufmerksam gemacht, arbeitet Grünen-Nationalrätin Klopfenstein Broggini hinter den Kulissen daran, Gildas' Verfahren zu beschleunigen. «Ich stehe in engem Kontakt mit der Dublin-Appeal-Koalition, dem SEM und der kroatischen Botschaft, um rasch eingreifen zu können», bestätigte sie.
*Namen der Redaktion bekannt