Auf einen Blick
- Bundesgericht lehnt Annullierung der Frauenrentenalter-Abstimmung ab
- Rechtssicherheit laut Gericht wichtiger
- Abstimmungsergebnis: 50,5% für Frauenrentenalter 65
Um 12.50 Uhr ist klar: Heute wird keine Geschichte geschrieben. Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone (36), SP-Nationalrätin Tamara Funiciello (34) und Privatpersonen wie Kathy Steiner (61) wollten Historisches erreichen. Doch das Bundesgericht sagte: Daraus wird nichts.
Mazzone und ihre Mitstreiterinnen hatten gehofft, dass das höchste Schweizer Gericht die Abstimmung über das Frauenrentenalter kippt. 2022 entschied das Volk im Rahmen einer AHV-Reform hauchdünn, mit 50,5 Prozent, dass auch Frauen bis 65 Jahre arbeiten sollen. Im August dieses Jahres dann der Aufschrei. Das Bundesamt für Sozialversicherungen musste einräumen, dass die Prognosen über die finanzielle Situation der AHV falsch waren. Die falschen Zahlen standen auch im Abstimmungsbüchlein. Mazzone, Funiciello und Co. forderten, dass die Abstimmung wiederholt wird.
Doch das Bundesgericht will nichts davon wissen. Der Reihe nach äusserten sich die fünf Richterinnen und Richter und gaben ihre Meinung ab. Und schon früh in der Verhandlung ist klar, dass es für Mazzone und ihre Mitstreiterinnen ein schwieriger Vormittag wird.
Rechtssicherheit ausschlaggebend
Immer wieder fiel das Wort «Rechtssicherheit». Man müsse sich auf eine gültige Abstimmung verlassen können. Ein Teil der AHV-Reform – die Erhöhung der Mehrwertsteuer – ist bereits in Kraft. Man müsste also auch rückgängig machen, wenn die Abstimmung über das Rentenalter annulliert wird. Die Folgen wären «erheblich», sagte Bundesrichter Lorenz Kneubühler (59). «Die Konsumentinnen und Konsumenten hätten seit einem Jahr zu viel Mehrwertsteuer bezahlt.» Eine Rückzahlung wäre «unmöglich». Dazu hätten sich auch viele Frauen und deren Arbeitgeber auf die Situation eingestellt.
Kritische Worte kamen von einer der beiden Frauen im Richtergremium: Marie-Claire Pont Veuthy. Die falschen Zahlen hätten die Leute beeinflusst. «Die freie Meinungsbildung der Bürger wurde verletzt, und diese Verletzung ist schwerwiegend.» Doch auch sie gewichtete die Rechtssicherheit am Ende höher. Pont Veuthy wurde zusammen mit einer anderen Richterin extra für diese Verhandlung «eingewechselt». Normalerweise sitzen in der ersten öffentlich-rechtlichen Kammer nur Männer.
Ob es dann tatsächlich ein «krasser» Fehler war, darüber gingen die Meinungen auseinander. Für Richter François Chaix war klar, dass eine Prognose mit Unsicherheiten verbunden sei. Es gebe «keine schwerwiegende und krasse Verletzung der Informationspflicht». Auch Bundesrichter Stephan Haag sagte, selbst ohne die Fehler käme man zu einer vergleichbaren Prognose.
Vorwürfe an den Bund
Richter Kneubühler machte derweil dem Bund Vorwürfe. Er habe im Abstimmungsbüchlein nicht deutlich genug klargemacht, dass es Prognosen seien. «Sie wurden als Tatsachen dargestellt und daran ändert auch eine Fussnote im Abstimmungsbüchlein nichts.» Am Ende liess das Gericht diese Frage offen. Die Grundsatzentscheidung – keine Annullierung, keine Wiederholung – war deutlich genug.
Die Argumente erinnern an eine Abstimmungsbeschwerde zum Urnengang über die Unternehmenssteuerreform II. Zwar hätten den Stimmberechtigten wichtige Informationen gefehlt, doch auch dort verwies das Bundesgericht auf die Rechtssicherheit. Die Vorlage war schon in Kraft. Erfolg hatte hingegen die CVP (heute Mitte-Partei). 2019 kassierte das höchste Schweizer Gericht den Volksentscheid gegen die Heiratsstrafe. Doch jetzt sei die Situation anders, erklärte Richter Kneubühler. Die Initiative wurde abgelehnt, «es geschah nichts». Unter diesen Umständen sei es einfacher für das Bundesgericht, eine Abstimmung aufzuheben.
Mazzone: «Bitter enttäuscht»
Die Abstimmungsbeschwerde sorgte für hohe Wellen, vor dem Gericht bildete sich eine lange Schlange von Besuchern, die ins Gericht wollten. Nach dem Urteil warteten rund zwei Dutzend Aktivistinnen draussen auf der Treppe vor dem Lausanner Gericht und skandierten Parolen.
Grünen-Präsidentin Mazzone war derweil «bitter enttäuscht». Das Gericht hätte Fehler erkannt, aber diese seien banalisiert worden. «Und warum? Weil wir Frauen sind.» Jedoch war der Hauptgrund für das Gericht die Rechtssicherheit. Ein Argument, wo Mazzone eine andere Ansicht hat. Nun gelte es, bei der Gleichstellung weiterzumachen.