Auf einen Blick
- Bundesgericht entscheidet über Wiederholung der Abstimmung zum Frauenrentenalter
- Fünf Richter verschiedener Parteien beurteilen den Einfluss des Rechenfehlers
- Bislang wurde noch nie eine eidgenössische Abstimmung wiederholt
Was bedeutet das Urteil?
Das Bundesgericht hat entschieden: Die Beschwerde wird abgewiesen. Das bedeutet, die AHV-Abstimmung wird nicht wiederholt. Somit bleibt die AHV-Reform in Kraft.
Ab kommendem Jahr wird das Frauenrentenalter schrittweise erhöht. Frauen mit Jahrgang 1961 müssen drei Monate länger arbeiten. Dafür bekommen sie einen Rentenzuschlag. Ab 2026 gilt dann das Frauenrentenalter 64 Jahre und sechs Monate, 2027 sind es 64 Jahre und neun Monate. Ab 2028 ist das Rentenalter dann 65 Jahre für alle. Die Details gibt es hier.
Bereits in Kraft sind andere Teile der Reform, zum Beispiel die Erhöhung der Mehrwertsteuer oder der flexible Rentenbezug. Hier ändert sich nichts.
Klage abgewiesen!
Nun beginnen die Abstimmungen. Zuerst geht es um den Antrag von Haag, der gar nicht eintreten will. Damit scheitert er deutlich.
Dann wird die Klage mit fünf Stimmen abgewiesen. Die AHV-Abstimmung wird nicht annulliert.
Dann geht es noch um die Kosten. Die Beschwerdenführerinnen müssen 500 Franken pro Beschwerde bezahlen.
Mitte: Entscheid stärkt Vertrauen in Demokratie
Die Mitte respektiert den unabhängigen Entscheid des Bundesgerichts zur Beschwerde gegen die Abstimmung zur AHV von 2022. Der Entscheid stärke das Vertrauen in Demokratie und Institutionen, teilte die Partei auf X mit.
«Gerade angesichts der zunehmenden Polarisierung ist es zentral, dass unsere Institutionen reibungslos funktionieren und respektiert werden, damit sie effizient und unabhängig arbeiten können», schrieb die Mitte. Das sei entscheidend für die Stabilität und den Zusammenhalt der Schweiz.
Die Partei werde sich weiterhin für eine sichere AHV einsetzen, die auf einem soliden finanziellen Fundament stehe, damit die Renten auch für die künftigen Generationen garantiert seien.
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer enttäuscht und kämpferisch
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer hat sich nach der Ablehnung der Beschwerde gegen die AHV-Abstimmung durch das Bundesgericht enttäuscht und zugleich kämpferisch gezeigt. «Wir sind enttäuscht, wir sind traurig, wir wütend – zu Recht», sagte sie nach dem Entscheid vor dem Bundesgerichtsgebäude in Lausanne vor zahlreichen Medienschaffenden. (SDA)
Demonstration vor dem Gericht
Gewerkschaftsbund: «Frauen bleiben um ein Jahr Rente betrogen»
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund hat sich nach der einstimmigen Abweisung der Beschwerden gegen die AHV-Abstimmung von 2022 enttäuscht gezeigt. «Frauen bleiben um ein Jahr Rente betrogen», hiess es in einer Mitteilung.
Dies, obwohl die Mehrheit der Frauen klar gegen die Reform gewesen sei, teilte der Schweizerische Gewerkschaftbund (SGB) am Donnerstag weiter mit. Die Bundesrichterinnen und Bundesrichter gewichteten die Rechtssicherheit höher als die ungenügende Rentensituation der Frauen. «Obwohl Frauen tiefere Renten haben, wurde mit der Rentenaltererhöhung einseitig auf ihrem Rücken gespart.»
Die fehlerhaften Finanzszenarien hätten den Abstimmungskampf zur Erhöhung des Frauenrentenalters massgeblich geprägt. Der SGB sei weiterhin davon überzeugt, dass der Meinungsbildungsprozess ohne die Berechnungsfehler anders verlaufen wäre. Nach dem heutigen Urteil bleibe die Politik erst recht in der Verantwortung, endlich etwas gegen die grosse Rentenlücke der Frauen zu unternehmen, hiess es weiter. (SDA)
SVP-Steinemann: Vernünftiger Entscheid des Bundesgerichts
SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann findet den Bundesgerichtsentscheid zur Beschwerde gegen die Erhöhung des Frauenrentenalters «sehr vernünftig». Es wäre rechtsstaatlich bedenklich, wenn die Abstimmung aufgrund von Prognosen wiederholt worden wäre, sagte die Zürcherin auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Viele andere Volksabstimmungen hätten demnach auch wiederholt werden müssen. Etwa aufgrund von Zuwanderungszahlen oder dem angeblichen Sicherheitsgewinn durch den Schengen-Beitritt, schrieb die Politikerin auf X.
Wäre die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt worden, hätte auch die Abstimmung zur 13. AHV wiederholt werden müssen, da die Ausgangslage anders gewesen wäre, wenn Frauen nur bis 64 arbeiten müssten, so Steinemann. (SDA)
Grünen-Nationalrätin Prelicz-Huber: «Politischer Entscheid»
Auch Grünen-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber sagt gegenüber Blick sie sei «frustriert». Das Urteil heute sei ein politischer, kein juristischer Entscheid. Besonders ärgerte sie die Diskussion, ob es ein gravierender Fehler sei. «Es geht hier um Milliarden! Während das Parlament sparen muss, wird hier diskutiert, ob mehrere Milliarden ein gravierender Fehler sind.»
Sie gibt sich kampfeslustig. «Nun müssen wir bei der Gleichberechtigung vorwärts machen.» Sie kündigt Vorstösse im Parlament an.
Tamara Funiciello: «Frauen haben verloren»
Tamara Funiciello sagt im Anschluss in Rede, die Frauen hätten verloren. «Wir tragen heute die Konsequenzen.» Noch immer bekämen die Frauen ein Drittel weniger Rente. «Unsere Mütter haben mehr verdient. Wir haben mehr verdient.» Jetzt müsse der Rest der Gleichstellung erfolgen.
«Bitter enttäuschte» Mazzone
Vor dem Saal gibt es enttäuschte Gesichter. Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone ist «bitter enttäuscht», wie sie gegenüber Blick sagt. Zwei Richterinnen hätten einen gravierenden Mangel erkannt, «trotzdem macht man nichts». Man hätte den Fehler erkannt, aber er wurde banalisert. «Und warum? Weil wir Frauen sind.»
Beim Argument der Rechtssicherheit, dass heute den Ausschlag gab, hätte sie eine andere Ansicht. Sie verlangt nun, dass bei der Gleichstellung Fortschritte gemacht würden.
Vor dem Gericht haben sich links-grüne Aktivistinnen aufgebaut, die sich lautstark bemerkbar machen. Sie beschweren sich über das «sexistische» Gericht.
Zweite Runde beginnt
Es beginnt die zweite Diskussionsrunde, in der gleichen Runde: François Chaix beginnt. An der grossen Frage ändert sich bei ihm nichts mehr, genauso wie Bundesrichter Haag, der gleich nach ihm spricht. Es geht bei ihm hauptsächlich um die Frage, ob überhaupt einzutreten sei, da dies nur bei krassen Mängeln möglich sein sollte.
Tendenz immer deutlicher: Beschwerde hat schweren Stand
Zuletzt äussert sich auch Präsident Kneubühler. Das eine behördliche Fehlinformation vorlag, sei für ihn klar. Es sei wichtig, dass man auf die Informationen der staatlichen Behörden glauben könne.
Es sei davon auszugehen, dass die Stabilisierung der AHV wichtige Argumente für die Ja-Stimmenden gewesen seien. Die Abstimmung sei sehr knapp gewesen. «Auswirkungen auf das Ergebnis kann man wohl nicht ohne weiteres ausschliessen.»
Doch auch er sieht Gründe für einen «nicht schwerwiegenden» Mangel. Prognosen seien von Natur aus unsicher. «Die Stimmbürgerinnen und Bürger wissen das auch.» Die Grundaussage des Bundesrates bleibe bestehen. Die Behörden hätten zudem nicht bewusst falsch informiert. «Es handelt sich um eine Nachlässigkeit, eine Fahrlässigkeit, einen ärgerlichen Fehler.» Den Hauptvorwurf, den man dem Bundesrat machen könne, sei, dass er nicht deutlich genug klar gemacht hat, dass es Prognosen seien. «Sie wurden als Tatsachen dargestellt und daran ändert auch eine Fussnote im Abstimmungsbüchlein nicht.»
Ob am Schluss geprüft werden muss, ob es ein gravierender Mangel war, will er offen lassen. Vier Richterinnen und Richter haben bislang gegen eine Abstimmungs-Annullierung ausgesprochen – dies wegen der Rechtssicherheit. Auch diesen Punkt sieht der Präsident.
Im Unterschied zur CVP-Initiative zur Heiratsstrafe sei die Situation eine andere. Die Initiative wurde abgelehnt, «es geschah nichts». Unter diesen Umständen sei es einfacher für das Bundesgericht eine Abstimmung aufzuheben.
Bei der AHV gäbe es noch ein weiteres Hindernis, nämlich die Mehrwertsteuer-Erhöhung. Die ist bereits in Kraft und war mit der Abstimmung über das Rentenalter verbunden. Er lehnt es darum ab, nur die Abstimmung über das Rentenalter aufzuheben. Man müsste also beide Abstimmung aufheben. Die Folgen wären «erheblich». Bürgerinnen und Bürger hätten ein Jahr zu viel Mehrwertsteuer bezahlt, eine Rückabwicklung «unmöglich». Auch bei der Erhöhung des Rentenalters hätten sich viele Arbeitnehmerinnen und deren Firmen auf die Situation eingestellt. Eine Abstimmung könne nie unter den selben Umständen wiederholt werden. Mittlerweile hat das Volk einer 13. AHV zugestimmt. Auch er sieht keine Möglichkeit, die Beschwerde gutzuheissen. Die Frage, ob es ein schwerwiegender Mangel sei, will er offen lassen.
Bevor es in die zweite Besprechungsrunde und anschliessend der Abstimmung geht, spricht noch die Gerichtsschreiberin. Sie hat eine beratende Stimme.
Am Donnerstag gilt es für Lisa Mazzone (36), Tamara Funiciello (34), Katharina Prelicz-Huber (65) und Kathy Steiner (61) ernst: Das Bundesgericht entscheidet darüber, ob die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt wird. Die SP und Grünen-Politikerinnen hatten Beschwerde eingereicht, als bekannt wurde, dass sich das Bundesamt für Sozialversicherungen um mehrere Milliarden Franken verrechnet hatte. «Das Resultat wäre anders herausgekommen, hätte der Bund die korrekten Zahlen veröffentlicht», sagte Prelicz-Huber gegenüber Blick, als sie Beschwerde eingereicht haben.
Am Donnerstag entscheidet das Bundesgericht in einer öffentlichen Beratung. Die fünf Richterinnen und Richter müssen beurteilen, ob der Verrechner – der mittlerweile tiefer ist als zuerst angenommen – entscheidend war für das Abstimmungsresultat.
Zweimal SP, GLP, FDP und Mitte-Richter
Somit gerät das Gremium um Präsident Lorenz Kneubühler (59) in den Fokus. Weil in der ersten öffentlich-rechtlichen Abteilung eigentlich fünf Männer sitzen, wurden die amtsjüngsten Richter durch zwei nebenamtliche Richterinnen ersetzt.
Anders als in anderen Ländern sind Richter in der Schweiz auch Parteimitglieder. Am Donnerstag entscheiden zwei Sozialdemokraten, ein Grünliberaler und ein FDP-Richter sowie eine Mitte-Richterin. Doch trotz Parteizugehörigkeit: Die Richterinnen und Richter entscheiden unabhängig und ohne Weisungen.
Es wäre historisch
Bislang wurde noch nie eine Abstimmung wiederholt. 2019 annullierte das höchste Gericht zwar die Abstimmung über die Initiative gegen die Heiratsstrafe, doch die damalige CVP verzichtete auf eine Wiederholung. 2008 wies das Bundesgericht eine Abstimmungsbeschwerde gegen die Unternehmenssteuerreform II ab. Nicht weil es keine Fehler gegeben hat, sondern weil die Reform bereits in Kraft war.
Ähnliche Argumente dürften auch am Donnerstag in der öffentlichen Verhandlung zu hören sein. Blick berichtet im Ticker live.