«Unverständlich» – Experten kritisieren Bundesratsentscheid
Cassis schliesst Sektion für Ernährungssicherheit

Der Hunger auf der Welt nimmt zu – und doch will Aussenminister Cassis die Sektion Ernährungssicherheit schliessen. Das sorgt für Unmut in der Deza.
Publiziert: 19.05.2024 um 18:31 Uhr
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Aktualisiert: 20.05.2024 um 09:06 Uhr
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Der Hunger auf der Welt nimmt zu.
Foto: PASCAL MORA
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Der Eklat kam ohne Vorwarnung, der Nachhall war umso heftiger: Wie aus dem Nichts ordnete FDP-Bundesrat Ignazio Cassis (63) an, die Sektion Ernährungssicherheit innerhalb der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) zu schliessen.

Deza-Direktorin Patricia Danzi (55) wurde vom Befehl des Aussenministers kalt erwischt. Schliesslich nimmt der Hunger weltweit zu, als Folge des Klimawandels wird die weltweite Ernährungssicherheit immer ungewisser. Laut Uno leiden mehr als 735 Millionen Menschen an Hunger – rund zehn Prozent der Weltbevölkerung. 3,1 Milliarden fehlen die finanziellen Mittel dazu, sich gesund zu ernähren.

Entsprechend gross ist der Unmut über Cassis in der Deza. «Die Sektion Ernährungssicherheit leistete Pionierarbeit auf verschiedenen Ebenen», heisst es in einer internen Notiz, die Blick mithilfe des Öffentlichkeitsgesetzes einsehen konnte. «Die Abteilung hat innovative Partnerschaften mit dem Privatsektor aufgebaut. Innovation und das Fachwissen wurden international über das gesamte politische Spektrum hinweg anerkannt.»

«Verlust von Sichtbarkeit und Einfluss»

Die Deza warnte intern vor einem «Reputationsrisiko». Auch lasse es sich mit einer eigenen Sektion für Ernährungssicherheit effizienter arbeiten als mit der dezentralen Steuerung durch die entsprechenden Regionen. Damit würden «Sichtbarkeit und Einfluss auf internationaler Ebene in einem Themenbereich verringert, in dem die Schweiz einen anerkannten Mehrwert bietet», heisst es in der Deza-Notiz.

Kritik kommt auch von Alliance Sud, dem Dachverband der Hilfswerke: «Es ist unverständlich, weshalb die Sektion Ernährungssysteme geschlossen werden soll», sagt Laura Ebneter (32), die dort als Expertin für internationale Zusammenarbeit tätig ist.

«Die Deza muss sich weiterhin für das Menschenrecht auf angemessene Ernährung einsetzen. Zudem ist die Schweiz eine wichtige Akteurin in Uno-Organisationen wie dem internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung oder dem Welternährungsprogramm. Diese Rolle darf sie auf keinen Fall verlieren.»

Laut Umfrage sollte Ernährung eine hohe Priorität haben

Eine Umfrage der ETH räumt dem Thema Ernährung einen hohen Stellenwert ein. Auf die Frage, in welchen Sektor Entwicklungsausgaben bevorzugt fliessen sollten, antworteten die meisten Befragten: Bildung (21 Prozent) oder Ernährungssicherheit (20 Prozent).

Doch die Argumente prallten an Cassis ab. Er peitschte sein Vorhaben durch und lässt seinen Sprecher ausrichten: «Die Ernährungssicherheit ist und bleibt ein zentrales Thema für die Deza und wird durch die Neuorganisation sogar gestärkt.» Mit ihr würden «zwei Sektionen zusammengeführt», dies trage den weltweit steigenden Aufgaben und Herausforderungen im Bereich Ernährungssicherheit Rechnung.

Knapp zwei Millionen weniger Budget

Zugleich räumt der Sprecher ein, dass die Ausgaben für Ernährungssicherheit 2024 mit 60,6 Millionen Franken knapp zwei Millionen tiefer angesetzt seien als im Vorjahr. Dies entspreche den vom Bundesrat beschlossenen linearen Kürzungen.

Nach Informationen von Blick verabschiedet der Bundesrat am Mittwoch die neue Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit. Weiterer Ärger wegen Bundesrat Cassis ist programmiert.

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