Werden Onlinebestellungen, Mietzinsen oder Abos nicht rechtzeitig bezahlt, setzen viele Firmen Inkassobüros ein. Sie sollen die fälligen Beträge eintreiben. Dabei verrechnen sie beim Schuldner teilweise einen Mehraufwand, der bei der Schuldeneintreibung angefallen sein soll. Diese sogenannten Verzugsschäden sind meist deutlich höher, als der eigentlich geschuldete Betrag – und oftmals widerrechtlich.
Konsumentenschützer warnen schon lange vor der fiesen Masche. An der dreitägigen Sondersession von kommender Woche beschäftigt sich auch der Nationalrat gleich mehrfach mit dem Inkassobschiss. Eine Motion von Mitte-Parlamentarier Vincent Maitre (43) fordert, dass der Bundesrat die Gebühren deckeln soll. Doch Bundesrat und Konsumentenschützer warnen vor dem Anliegen. Statt dem Wucher ein Ende zu setzen, würde eine Annahme die Fantasie-Forderungen legitimieren. «Heute muss eine Inkassofirma nachweisen, ob die Verzugsschäden tatsächlich anfielen», sagt Pascal Pfister (47) von der Schuldenberatung Schweiz. «Mit einer Deckelung wäre plötzlich ein Pauschalbetrag erlaubt.»
Der Bundesrat zeigt sich in seiner Antwort ungewöhnlich deutlich: Die Konsumenten sollen die widerrechtlichen Forderungen stattdessen «mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln» einklagen. Doch so einfach ist das gar nicht. «Sobald eine betroffene Person die unbelegten Kosten bestreitet, zieht sich die Inkassofirma zurück», sagt Pfister. «Eine Klage war deshalb bisher nie möglich.»
Nur die Spitze des Eisbergs
Immerhin: Laut Zahlen der Schuldenberatung wurden zwischen 2018 und 2023 alleine im Kanton Zürich in 194 Fällen erfolgreich Forderungen von insgesamt 82'300 Franken bestritten. Die Beträge lagen zwischen 150 und 2330 Franken pro Fall. «Man muss sich jedoch zugleich fragen, welche Unmengen an Forderungen die Inkassofirmen im gleichen Zeitraum versendeten und nicht angefochten wurden», sagt Pfister. «Die meisten Betroffenen wissen gar nicht, dass sie sich wehren könnten.»
Die Motion von Maitre ist nicht die einzige. Eine zweite Motion von Parteikollege Benjamin Roduit (61) fordert, dass beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) eine Inkassobeschwerdestelle angegliedert werden soll. Denn die Inkassofirmen und Wirtschaftsauskunfteien sind eng verknüpft. Das Resultat: Betroffene werden aufgrund fehlerhafter oder überrissener Forderungen mit einer schlechten Zahlungsfähigkeit bewertet.
«Es ist absurd, dass die Unternehmen sowohl fordern als auch bewerten können», sagt Sara Stalder (57) vom Konsumentenschutz. «Wenn man mal drin ist, hat man kaum eine Chance hinauszukommen.» Für die Tätigkeiten der Inkassofirmen fehle es an unabhängiger Kontrolle, monieren Sara Stalder und Pascal Pfister. Der Verband Inkasso Suisse, dem ein grosser Teil der Schweizer Inkassobüros angehört, setzt seit drei Jahren auf einen internen Verhaltenskodex. «Es ist ein erster Schritt, doch die Regeln gibt sich dennoch die Branche selbst», sagt Pfister. Und beim Verzugsschaden würde weiterhin weggeschaut.
Auch SP-Nationalrat Jean Tschopp (42) stört die fehlende unabhängige Kontrolle: «Die Konsumenten werden von den Firmen eingeschüchtert und zahlen oft die gesamten geforderten Gebühren, damit es endet.» Nächste Woche reicht Tschopp bereits die nächste Motion zum Inkassochaos ein. Der Bundesrat soll eine unabhängige Ombudsstelle schaffen, die Aufklärung betreiben sowie bei Streitigkeiten vermitteln und eine Lösung erarbeiten soll. Beispielsweise im Telekommunikationswesen besteht mit der Ombudscom eine solche Schlichtungsstelle bereits. Auch der Konsumentenschutz steht hinter dem Anliegen. «Die Ombudscom nennt etwa fehlbare Unternehmen und erhebt bei ihnen Verfahrensgebühren. Genau so sollte es auch bei der Inkassobranche sein», sagt Stalder.