Um Pünktlichkeit zu verbessern
SBB lassen Romands häufiger umsteigen

Die Westschweiz könnte ab 2024 eine Eisenbahnrevolution erleben. In einem vertraulichen Dokument geben die SBB zu, das Pünktlichkeitsziel nur erreichen zu können, wenn der Fahrplan angepasst wird. Für die Reisenden bedeutet das längere Fahrzeiten und mehr Umsteigen.
Publiziert: 08.04.2022 um 09:00 Uhr
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Aktualisiert: 08.04.2022 um 10:34 Uhr
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Warten, warten, warten: Die SBB haben ihre Pünktlichkeitsziele in der Westschweiz nur an etwa einem Drittel der Tage des Jahres 2021 erreicht. Der Grund: Der Fahrplan ist zu eng.
Foto: Keystone
Adrien Schnarrenberger

«Die Zuverlässigkeit der SBB in der Westschweiz lässt zu wünschen übrig.» Das sagen nicht die Zugpassagiere, sondern das Unternehmen selbst in einem Strategiepapier, das Blick vorliegt. Der Stempel «vertraulich» auf jeder Seite macht deutlich: Der Inhalt des zwölfseitigen Dossiers ist brisant.

Darin stellt das Staatsunternehmen fest, dass Pünktlichkeit und Kundenzufriedenheit in der Westschweiz viel schlechter sind als im Rest des Landes. In der Region West wurde beispielsweise das Pünktlichkeitsziel von 90,5 Prozent nur an 133 von 365 Tagen erreicht.

Westschweiz deutlich abgehängt

Im gesamten Netz war das Ergebnis mit 271 Tagen deutlich besser. In der Region Ost gab es gar nur 24 Tage, an denen das Ziel verfehlt wurde! «Die SBB haben spät erkannt, dass der Fahrplan in der Romandie nie flächendeckend angepasst wurde, im Gegensatz zur Region Zürich oder zum Tessin», gibt das Unternehmen zu.

Das Mea culpa des Unternehmens ist umfassend: Die SBB machen keinen Hehl daraus, dass die Kunden in der Romandie benachteiligt sind. Wie die SBB selbst schreiben, wurde der Fahrplan seit 2004 nicht mehr angepasst. Und das, obwohl der Verkehr stark zugenommen hat.

Problem wird schlimmer

Das vom Freiburger Vincent Ducrot (59) geleitete Unternehmen macht keinen Hehl daraus, dass die Kunden in der Romandie benachteiligt werden. «Wir sind nicht mehr in der Lage, das Versprechen zu halten, das wir unseren Kunden für rund 120'000 tägliche Reisende gegeben haben», wird eingeräumt.

Schlimmer noch: Die Situation dürfte sich in den nächsten Jahren aufgrund der zahlreichen geplanten Bauarbeiten in der Region noch verschlechtern. «Ohne Korrekturmassnahmen wird der Umfang der anstehenden Arbeiten zu einer weiteren Verschlechterung der Produktionsqualität führen.»

Die Region West ist eindeutig das Stiefkind des Netzwerks.
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Der Fahrplan soll neu gestaltet werden

Soweit die Diagnose. Und was ist mit der Therapie? Genau hier liegt das Problem. Um die Zuverlässigkeit und Stabilität auf das Niveau des nationalen Durchschnitts zu bringen, muss «der Fahrplan in der Westschweiz neu gestaltet werden».

Auf mehreren Seiten erläutert die Staatsbahn, wie das vonstatten gehen soll – für den gesamten «Westteil» des Netzes und dann für jeden welschen Kanton. Die Verbesserungen für die Reisenden sind grün umrandet, die Verschlechterungen, die diese Neuerungen mit sich bringen, rot.

Die Entwicklungen auf einen Blick.
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Länger unterwegs, mehr Umsteigen

Ein Blick genügt, um zu erkennen, dass die meisten Änderungen das Leben der Kunden erschweren werden. Die Reisezeiten werden verlängert, um Verspätungen zu vermeiden und dadurch den Pünktlichkeits-Index zu verbessern. Die Folgen, die das Unternehmen selbst schwarz auf weiss benennt: «Für einen Grossteil der Kunden würde dies zu längeren Reisezeiten führen, manchmal mit mehr Umsteigevorgängen. Im Regionalverkehr würden einzelne Haltestellen durch eine geringere Bedienung an Attraktivität verlieren.»

Ein paar Beispiele: So soll es vom Jura-Südfuss nicht mehr ohne Halt zum Genfer Flughafen gehen, auf einer Linie des Unternehmens RegionAlps – einer Partnerschaft zwischen SBB und dem Unternehmen Transports de Martigny – werden vier Haltestellen in der Verbindung nach Genf respektive Mailand gestrichen, und auf der Regionalstrecke Kerzers–Palézieux sollen die Bahnhöfe Palézieux-Village und Châtillens nur noch im Stundentakt bedient werden.

Mehr Zeit an den Bahnhöfen nötig

Auch Bern würde sich von der Westschweiz weiter entfernen: Ein geplanter zusätzlicher Halt des IC1 in Renens würde die Fahrt von Genf in die Bundesstadt um rund zehn Minuten verlängern – was bei weitem nicht alle Romands zufriedenstellen dürfte.

SBB-Sprecher Frédéric Revaz begründet die Pläne gegenüber Blick wie folgt: «Der Andrang hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen – die Anzahl der Passagiere hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt», erklärt er. Deshalb brauche es zum Ein- und Aussteigen am Bahnhof mehr Zeit, was nicht in den Fahrplänen einkalkuliert sei. Da die Pünktlichkeit für die Kunden aber Priorität habe, brauche es Massnahmen.

Kantone sind alarmiert

Dies reicht nicht aus, um Nuria Gorrite (51) zu überzeugen. Zwar wurden die Kantonsregierungen noch nicht formell über die Pläne für 2024 informiert, doch die für Verkehr zuständige Staatsrätin des Kantons Waadt hat davon Wind bekommen. Und sie ist nicht zufrieden. «Das wichtigste ist jetzt, den Dialog mit den SBB zu beginnen», sagt sie vorsichtig.

Der Prozess steht in der Tat erst am Anfang. Die Kantone in der Westschweizer Verkehrskonferenz müssten jedoch dafür kämpfen, «die Errungenschaften von Bahn 2000 zu erhalten», so Gorrite. Der SBB-Plan für 2024 bedroht nämlich alle Anschlüsse in der gesamten Westschweiz, eine Errungenschaft der berühmten Bahn 2000.

«Bisher wurde noch keine Entscheidung getroffen, die Arbeit hat gerade erst begonnen und die vorgeschlagenen Massnahmen sind eine Diskussionsgrundlage», relativiert SBB-Sprecher Revaz. «Wie bei der Erstellung von Fahrplänen üblich, wird die SBB natürlich die Meinungen der Kantone und Partner berücksichtigen und ist zuversichtlich, gemeinsam gute Lösungen zu finden.»

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