«Um ein Zeichen zu setzen»
Mitte-Chef Pfister erwägt Ja zur 200-Franken-Initiative

Der Aufstieg von Susanne Wille ist auch die Geschichte eines zunehmend abgehobenen öffentlichen Rundfunks. Mit Konsequenzen: Mitte-Chef Gerhard Pfister erwägt erstmals öffentlich, die SVP-Halbierungs-Initiative zu unterstützen.
Publiziert: 26.05.2024 um 00:07 Uhr
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Aktualisiert: 27.05.2024 um 07:07 Uhr
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Susanne Wille wurde am Samstag zur neuen SRG-Generaldirektorin gewählt.
Foto: keystone-sda.ch
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Die neue SRG-Generaldirektorin Susanne Wille (50) begann ihre berufliche Laufbahn einst als Flight-Attendant der Swissair. Als Videojournalistin beim Regionalsender Tele M1 spürte sie für kurze Zeit wieder den Boden unter den Füssen, ehe sie zum grossen glitzernden Schweizer Fernsehen zog, wo sie rasch in ganz andere Sphären abzuheben begann.

Wille schien mit jener seltenen Gabe gesegnet zu sein, die im Boulevardmedium Fernsehen als Nonplusultra gilt: Sie verbindet Seriosität mit telegener Kurzweil. Wenn Wille über Präsidentschaftswahlen in Nicaragua, über einen Terroranschlag in Pakistan oder eine Schweizer Volksabstimmung informierte, blieb sie stets die glaubwürdige Absenderin mit dem neckischen Lächeln und den Rehaugen, jenseits vom RTL-zwei-Schmuddel.

Bligg schrieb ihr ein Liebeslied

Wille war die helvetisch-anständige Antwort auf den ausländischen Reality-Trash des Privatfernsehens. Der Rapper Bligg (47) widmete dem «10 vor 10»-Aushängeschild 2007 mit «Susanne» gar ein Liebeslied: «Oh Susanne, oh Susanne, ich bewundere Sie als Mensch, Ihres Wüsse isch immens, Sie sind intelligent, sympathisch und sehr dezent. Dank Ihne, Frau Wille, gseht mini Wält andersch us.»

Ob so viel Minne geht fast vergessen, dass zeitgleich mit Willes Eroberungszug in die Herzen des Volks dunkle Wolken am Horizont auftauchten. Die Zeiten der samstäglichen Strassenfeger sind passé, Service public ist zum Politikum geworden, das manche Gemüter genauso in Erregung versetzt wie Migration oder Gesundheitskosten. Von rechts ist europaweit die Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen erstarkt; plötzlich muss sich der einstige Everybody's Darling SRG an der Urne beweisen.

An den Spannungen ist das Medienhaus nicht unschuldig – trotz der 1,2 Milliarden Franken Gebühren offenbart sich zeitweilig noch immer die Lebenslüge der SRG, ein gewöhnlicher Mitbewerber im freien Markt zu sein. Die forsche Expansion im Internet, womit man die Privaten an die Wand drückt, zeugt ebenso davon wie der nonchalante Umgang mit der eigenen Vormachtstellung. Dass man sich für die Serie «Davos 1917» die Kosten von 18 Millionen Franken geleistet hatte, zu denen SRF sieben Millionen beisteuerte, war nicht etwa Anlass zur Leisetreterei, im Gegenteil: Man war stolz auf das Monsterbudget.

Der Aufbau zur «Leutschenbach-Leuthard»

Je rauer die Wirtschaftslage für die Konkurrenz wird, so der Anschein, desto mehr sichert man die eigenen Privilegien. So geriet der ESC-Star Nemo (24) für Fans und Journalisten in unerreichbare Ferne; SRF hingegen hatte sich einen Exklusivzugang gesichert. So durfte ein Redaktor das Gesangstalent exklusiv auf einen Stadtrundgang durch Biel BE begleiten, der für 50'000 Views auf Youtube ausgestrahlt wurde. Nicht weniger heikel ist das SRG-Manöver mit der Schweizer Luftwaffe, die am 5. Juni einen Abschnitt der A 1 bei Payerne VD für eine Kampfjetübung sperrt. Privatmedien werden so strikt wie Fort-Knox-Besucher behandelt, während die SRG mit einer Armada zugegen sein wird. Grund für die Ungleichbehandlung: Der öffentliche Rundfunk ist mit dem Verteidigungsdepartement eine «Partnerschaft» eingegangen.

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Zu dieser Anspruchshaltung passen auch Äusserungen des abtretenden Generaldirektors Gilles Marchand (62) mit seinem Dreitagebart nach Manier eines französischen Chansonniers. Vergangenen Sommer sagte er im SonntagsBlick über die SVP-Halbierungs-Initiative: «Diese Initiative ist eine Attacke gegen die Schweiz.»

SVP-Nationalrat Thomas Matter (58) hat mit seinem Projekt, die Serafe-Gebühr von 335 auf 200 Franken zu senken, das Unbehagen der Service-public-Kritiker auf den Punkt gebracht. Und SVP-Medienminister Albert Rösti (56) will noch vor den Sommerferien die Gebühr auf 300 Franken senken. Der politische Wind ist rau. Das wissen auch die SRG-Strategen – also musste eine Gegenfigur zur SVP-Vorlage her. Da bot sich Susanne Wille als mehrheitstaugliche Sympathieträgerin an, als «Leutschenbach-Leuthard» sozusagen, die das Zeug dazu hat, Abstimmungen zu gewinnen. Wille wurde hinter den Kulissen aufgebaut, berufsbegleitend absolvierte sie einen MBA an einer Wirtschaftshochschule in Lausanne VD; die geschätzten Kosten von rund 140'000 Franken wurden laut «Weltwoche» zu einem Grossteil von der Arbeitgeberin bezahlt. Wille berappte 40 Prozent selber, wie SRF mitteilt.

«Die bedingungslose Identifikation ist nicht mehr so gross»

Ihre Wahl wird in Bundesbern entsprechend eingeschätzt. Als «politische Wahl» bezeichnet Mitte-Präsident Gerhard Pfister (61) Willes Ernennung. «Die SRG bereitet sich auf Abstimmungskämpfe vor, da hilft es sicher, Frau Wille an der Spitze zu haben.» Er habe mit ihr als Journalistin stets gute Erfahrungen gemacht; ihre Manager-Kompetenzen könne er nicht beurteilen. Pfister hat sich immer wieder als SRG-Kritiker profiliert, steht aber einer Partei vor, die traditionell eng mit dem öffentlichen Rundfunk verbunden ist.

Auch der Parteipräsident erkennt die veränderte Grosswetterlage. Pfister: «Die SRG kann sich heute nicht mehr darauf verlassen, dass sie automatisch vom Volk kriegt, was sie will.» Auch in seiner Partei stelle er fest, so der Zuger Nationalrat, dass die «bedingungslose Identifikation» mit dem gebührenfinanzierten Medienhaus nicht mehr so gross sei. Er rät der SRG deshalb, endlich ihre expansive Onlinestrategie einzudämmen und die Firmen von der Gebührenpflicht zu entlasten. Diese Forderung wird auch im Rahmen eines möglichen Gegenvorschlags zur Halbierungs-Initiative gestellt.

Und nebenbei lässt Pfister eine kleine politische Bombe platzen: Erstmals erwägt er öffentlich, die Initiative der SVP zu unterstützen. «Sollte kein Gegenvorschlag zustande kommen, überlege ich mir, der Initiative zuzustimmen, um ein Zeichen zu setzen.» Bislang genoss die SVP nur offenen Support aus dem Freisinn; diese Sympathiebekundung von der Spitze der traditionellen Mehrheitsbeschafferin Mitte ist für die SRG nun ein weiterer Schuss vor den Bug – und ein Auftrag an Wille und ihre Mitstreiter, jetzt erst recht auf dem Boden zu bleiben.

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