Weg von der Heimat. Ohne Sprachkenntnisse. Ohne Job. Die ukrainischen Flüchtlinge stehen vor einem Neuanfang unter schwierigen Voraussetzungen. Mit dem Schutzstatus S ist es den Ukrainern zwar erlaubt zu arbeiten. Doch bisher hat noch kaum jemand eine Stelle gefunden.
Blick hat mit fünf Ukrainerinnen und Ukrainern gesprochen, die aus ganz unterschiedlichen Berufsfeldern kommen – und die Suche nach Arbeit mit ganz unterschiedlichen Gefühlen angehen. Was allen gemein ist: Sie möchten so schnell wie möglich in der Schweiz arbeiten.
«Bereit, auch ganz einfache Arbeit zu machen»
Erst vor kurzem hat die Firmenanwältin Oksana Bolhowa (50) aus Charkiw ihr ganzes Erspartes in die Gründung einer eigenen Firma investiert. Dann kam der Krieg. Sie und ihr Mann seien in die Schweiz geflohen, weil sie schon einmal in Lugano TI war. «Es ist der schönste Ort, den ich je gesehen habe.» Statt im Tessin landete das Ehepaar schliesslich in Burgdorf BE. Bolhowa betont, wie dankbar sie der Schweiz und den vielen freiwilligen Helfern ist. Was die Arbeitssuche anbelangt, wünschte sie sich aber mehr Unterstützung. Die Ukrainerin spricht kein Deutsch und kaum Englisch, und aus ihrem Umfeld habe sie gehört, dass man dann kaum Arbeit finde. «Ich bin bereit, auch ganz einfache Arbeit zu machen», sagt sie. Sie ist sich sicher, dass sie durch einen Job auch schneller Deutsch lernen würde.
«Mein Kopf ist voller Nachrichten aus der Ukraine»
Zwei Wochen verbrachten Irina Waschenko (34) und ihre beiden Kinder (6 und 13) im Keller ihrer Wohnung in Charkiw, während Bomben auf das Quartier fielen. Waschenko hat in ihrer Heimat als Nagelpflegerin gearbeitet – ihr Studio liegt heute in Trümmern. Nun lebt sie in Luzern. «Natürlich will ich hier arbeiten. Die Kinder fragen beim Einkaufen nach Süssigkeiten. Ich kann ihnen nichts kaufen, das bricht mir das Herz», erzählt sie. Am liebsten würde sie in ihrem Beruf weiterarbeiten, aber weil sie kein Deutsch spricht, habe sie wenig Hoffnung, dass das möglich ist. «Ich versuche die Sprache zu lernen, aber mein Kopf ist voller Nachrichten aus der Ukraine.»
«Ich will dem Staat nicht auf der Tasche liegen»
Tatjana Wichtodenko (43) ist aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew geflohen, als Granaten in der Stadt einschlugen. Sie leitete dort ein IT-Unternehmen, das wegen des Kriegs schliessen musste. In der Schweiz keimte die Idee, eine Reinigungsfirma zu gründen und andere Ukrainerinnen anzustellen, die Mühe haben, einen Job zu finden. «Ich will damit mir und anderen Landsleuten ermöglichen, Geld zu verdienen, damit wir dem Staat nicht länger auf der Tasche liegen», sagt Wichtodenko, die bei einer Gastfamilie in Glattfelden ZH lebt. Natürlich hoffe sie, so rasch wie möglich wieder zu ihrem Mann und ihren Hunden in die Ukraine zurückzukehren. «Aber selbst wenn ich nur einige Monate hier arbeiten und anderen Menschen einen Job beschaffen kann, hat es sich gelohnt.» Nun will Wichtodenko möglichst rasch Deutsch lernen und sich mit anderen vernetzen, damit aus der Vision Realität wird.
«Kein Erspartes, nur Optimismus»
«Wir haben kein Erspartes mehr. Nur unsere Gesundheit und Optimismus», sagt Artem Hukasow (41). Der Ukrainer ist Mitte März mit seiner Frau und zehn Kindern, sechs davon adoptiert, in Bern angekommen. Der Fotograf kommt aus Tschernihiw im Norden der Ukraine, die Familie hat aber zuletzt in der Türkei gelebt. «Gearbeitet habe ich in der Ukraine. Mit dem Krieg sind alle Aufträge weggebrochen», erzählt er. Nun sucht Hukasow in der Schweiz Fotoaufträge. Einige konnte er dank Bekanntschaften und Glück bereits an Land ziehen. Zudem hofft er, dass er seine einstige Ausbildung als Geomatiker in der Schweiz anerkennen lassen kann und auf diesem Gebiet vielleicht einen Job findet. Denn beim Gedanken an eine baldige Rückkehr höre sein Optimismus auf.
«Mir wurde gesagt, ich sei überqualifiziert»
Rein theoretisch hat Olga Magaletska (40) noch ihren Job in Kiew als Leiterin einer Agentur für Investitionsförderung. «Doch wie sollen wir private Investitionen in einem Land fördern, in dem Krieg herrscht?» Darum sucht die Ukrainerin, die mit ihren Eltern und ihren beiden Söhnen in der Nähe von Genf Zuflucht gefunden hat, nun in der Schweiz eine Stelle. Magaletska spricht perfekt Englisch und erhofft sich, einen Job in einer Consulting-Firma zu finden. Sie ist optimistisch, dass das klappt – auch wenn ihre erste Bewerbung ernüchternd war. «Mir wurde mit der Begründung abgesagt, ich sei überqualifiziert.» Sollte sie einen spannenden Job finden, könne sie sich auch vorstellen, in der Schweiz zu bleiben. «Ausser Patriotismus gibt es für mich kaum einen Grund zurückzukehren. Alle Menschen, die mir im Leben am wichtigsten sind, sind nun schliesslich hier. Ich bin bereit, in der Schweiz bei null anzufangen.»