Am Dienstag geschah ein Ereignis von grosser Seltenheit: Eine hohe Funktionsträgerin hat öffentlich Selbstkritik geübt.
Rita Famos (54), neu gewählte Präsidentin der evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz, war zusammen mit Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl (57) am Mittwoch bei Radio SRF 2 zu Gast. Natürlich kamen sie irgendwann auf die Konzernverantwortungs-Initiative zu sprechen, bei der die beiden Frauen einander politisch bekämpft hatten.
Rühl kritisierte die Landeskirchen für ihre Einmischung in Abstimmungskämpfe und bezeichnete die vielen orangen «Kovi»-Fahnen auf den Kirchtürmen als «inakzeptabel». Dann sagte Famos den Satz: «Vielleicht haben wir in dieser Abstimmung übers Ziel hinausgeschossen.» Ihr persönlich sei die Bannerwerbung zu weit gegangen.
Jacqueline Fehr tut es leid
Dass Führungspersonen und andere Exponierte derart über ihren eigenen Schatten springen, ist rar.
Ein anderes Beispiel aus diesem Jahr ist die Zürcher SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr (57). Auf ihrem Blog hatte sie im Frühling gegen staatliche Corona-Massnahmen wie die Maskenpflicht mobilisiert. Vor zwei Wochen nun der Gang nach Canossa. «Ich verunsicherte und verärgerte damit viele Menschen», schrieb sie; das tue ihr leid.
Für die gewohnte Vernebelungstaktik hingegen sind gerade während der Pandemie unzählige Beispiele dokumentiert.
Kantonsvertreter, Wissenschaftler, Parlamentarier und andere wurden teilweise kreativ, um von eigenen Fehlentscheiden oder Falschaussagen abzulenken.
Simonetta Sommaruga holt zum Sermon aus
Besten Anschauungsunterricht erteilten die Bundesratsmitlieder. Zum Beispiel Fehrs Parteigenossin Simonetta Sommaruga (60).
Als an einer Medienkonferenz der Regierung am 18. Dezember ein SRF-Korrespondent die simple Frage stellt, ob auch der Bundesrat in diesem Jahr Fehler gemacht habe, holt die Bundespräsidentin zu einem dreieinhalbminütigen Sermon aus: Sie redet viel, über die müde Bevölkerung (für die die Regierung Verständnis habe) zum Beispiel, über die Einigkeit mit den Kantonen, über die Einigkeit mit dem Parlament, über die besondere Lage, über das nötige «Zusammenstehen» und noch vieles mehr.
Bloss über allfällige Fehler des Bundesrats sagt Sommaruga – nichts.
Noch unfähiger zur Selbstkritik sind nur Journalisten.