Sie kämpfen gegen das Klischee – mit Erfolg
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Arbeitslos mit über 55:Sie kämpfen gegen das Klischee – mit Erfolg

Ü55 und arbeitslos
Sie kämpfen gegen das Klischee - mit Erfolg

Die Ansicht ist weit verbreitet: Wer mit über 50 die Stelle verliert, findet keinen Job mehr. Nun erzählen Betroffene, wie es dennoch klappt.
Publiziert: 26.07.2020 um 12:57 Uhr
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Aktualisiert: 06.08.2020 um 14:29 Uhr
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Über 55-jährige sind im Schnitt seltener arbeitslos als der Rest der Bevölkerung.
Foto: Getty Images
Camilla Alabor

Die Corona-Krise hat in einem ersten Schub vor allem die Jungen getroffen, wie die Zahlen zur steigenden Jugend­arbeitslosigkeit zeigen. Langfristig aber wird die gesamte Gesellschaft den Wirtschaftseinbruch zu spüren bekommen, wenn ganze Betriebe schliessen und Firmen Einstellungsstopps verhängen. Das dürfte vor allem älteren Mitarbeitern Sorgen machen. Zwar sind über 55-Jährige im Schnitt seltener ­arbeitslos; doch wenn sie einmal den Job verlieren, dauert die Stellen­suche bekanntlich länger.

Eine Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft hat untersucht, warum das so ist. Der Befund: Einige Unternehmen bevorzugen jüngere Mitarbeiter und sortieren im Rekrutierungsprozess ältere Jahrgänge automatisch aus. In anderen Fällen haben es die Angestellten verpasst, sich weiterzubilden, oder sie üben eine sehr spezifische Tätigkeit aus, die es nur in einer Firma so gibt.

Berichterstattung begünstigt Negativspirale

Der Bericht, der Ende Februar publiziert wurde, weist noch auf eine weitere Herausforderung hin: die Tatsache, dass ältere Stellensuchende es oftmals selbst als Problem sehen, über 50 zu sein. Und davon ausgehen, wegen ihres Alters auf dem Arbeitsmarkt keine Chance zu haben. Damit droht das Problem Alter zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu werden, wobei diese «Selbststigmatisierung» laut Bericht durch die mediale Präsenz des ­Themas 50plus noch gefördert werde.

Susanne Kuntner (55) teilt diese Beobachtung. Die Inhaberin und Geschäftsführerin der Personal­beratung Mein Job Zürich glaubt gar, die mediale Berichterstattung sei der Hauptgrund für die ­«Ne­gativspirale», in der sich viele ältere Arbeitslose fänden. «Was es bräuchte, sind positive Botschaften.» Denn wie sich in ihrer täg­lichen Arbeit zeige, bestehe kein Zusammenhang zwischen dem ­Alter und der Vermittelbarkeit ­einer Person. «Eine meiner Klientinnen ist 55 und hat in den letzten zwei Wochen drei Bewerbungs­gespräche geführt.»

Heike Schümann (57), Ingenieurin

«2017 beschloss die Firma, für die ich arbeitete, unsere Einkaufsabteilung nach Polen auszulagern. Ich begleitete diesen Prozess mit und unterstützte die Mitarbeiter meines Teams dabei, einen neuen Job zu finden. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich zehn Jahre für das Unternehmen gearbeitet, stets mit grossem Einsatz. Bis zum Schluss ging ich davon aus, dass meine Vorgesetzten mich dabei unterstützen würden, innerhalb der Firma eine neue Stelle zu finden. Stattdessen bestellten sie mich unter einem Vorwand an den Hauptsitz und überreichten mir die Kündigung. Das Gespräch dauerte gerade mal 15 Minuten. Seither habe ich von anderen Betroffenen erfahren, wie oft das vorkommt: Überfordert mit der Situation, versuchen die Chefs, die Kündigung so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Ohne Rücksicht auf die Angestellten und ohne zu merken, welchen Schaden sie bei diesen anrichten. Seit kurzem biete ich deshalb ­Beratungen für Unternehmen an, bei denen Kündigungen anstehen. Mein Ziel ist es, Personalver­antwortliche und Führungskräfte zu trainieren, sodass der Kün­digungsprozess professioneller ­abläuft. Ich möchte dafür sorgen, dass die Verletzungen bei den ­Betroffenen weniger tief sind. Und sie trotz Stellenverlust einen würdigen Abgang haben.»

«2017 beschloss die Firma, für die ich arbeitete, unsere Einkaufsabteilung nach Polen auszulagern. Ich begleitete diesen Prozess mit und unterstützte die Mitarbeiter meines Teams dabei, einen neuen Job zu finden. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich zehn Jahre für das Unternehmen gearbeitet, stets mit grossem Einsatz. Bis zum Schluss ging ich davon aus, dass meine Vorgesetzten mich dabei unterstützen würden, innerhalb der Firma eine neue Stelle zu finden. Stattdessen bestellten sie mich unter einem Vorwand an den Hauptsitz und überreichten mir die Kündigung. Das Gespräch dauerte gerade mal 15 Minuten. Seither habe ich von anderen Betroffenen erfahren, wie oft das vorkommt: Überfordert mit der Situation, versuchen die Chefs, die Kündigung so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Ohne Rücksicht auf die Angestellten und ohne zu merken, welchen Schaden sie bei diesen anrichten. Seit kurzem biete ich deshalb ­Beratungen für Unternehmen an, bei denen Kündigungen anstehen. Mein Ziel ist es, Personalver­antwortliche und Führungskräfte zu trainieren, sodass der Kün­digungsprozess professioneller ­abläuft. Ich möchte dafür sorgen, dass die Verletzungen bei den ­Betroffenen weniger tief sind. Und sie trotz Stellenverlust einen würdigen Abgang haben.»

Diskriminierung ist eine Tatsache

Was Medienberichte bewirken können, erzählt Michelle Gasser* (57). Nach ihrem Stellenverlust vor vier Jahren kam ihr als Erstes ein Artikel in den Sinn, den sie kürzlich gelesen hatte. «Darin erzählte eine kaufmännische Angestellte, wie sie seit drei Jahren auf Jobsuche ist», erinnert sich Gasser. Diese Schilderung habe bei ihr grosse Ängste ausgelöst. «Ich dachte: ‹Wie soll es denn jetzt bei mir weitergehen, wenn das meine Aussichten sind?›»

Nun erklärt sich das erhöhte ­Risiko, im Alter langzeitarbeitslos zu werden, natürlich nicht allein mit dem Problembewusstsein der Betroffenen. Eine Studie von Da­niel Oesch, Professor für Sozial­wissenschaften an der Universität Lausanne, kommt vielmehr zum Schluss: Die Diskriminierung äl­terer Stellensuchenden auf dem Arbeitsmarkt ist ein Fakt. Oesch zeigt auf, dass die Chance, zum ­Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, ab 55 massiv abnimmt. Und dass bei den 60-Jährigen nur 30 Prozent zwei Jahre nach ihrer Entlassung wieder einen Job haben.

Alter ist nicht das einzige Kriterium

Dennoch stellt Valentin Vogt (59), Präsident des Arbeitgeber­verbands, fest: Einige ältere Arbeitslose beziehen die Ab­sage für eine Stelle allein auf ihre Alter – ohne in Betracht zu ziehen, dass womöglich andere Faktoren eine wichtigere Rolle gespielt haben.

Vogt, der selbst ältere Arbeitslose bei der Stellen­suche coacht, erzählt vom Fall einer stellen­suchenden Mittfünfzigerin, die er betreute. Die Frau hatte eine kaufmännische Ausbildung und bewarb sich auf eine 60-Prozent-Stelle als Rezeptionistin, hatte aber noch nie am Empfang gearbeitet. Nach der Absage sei sie überzeugt gewesen, sie habe die Stelle ihres ­Alters wegen nicht bekommen, so Vogt. «Auf meine Nachfrage hin beschied mir der Personalverantwortliche, dass sich 400 Personen auf den Job beworben hatten, ­darunter 25 mit langjähriger Erfahrung als Rezeptionistin.» Mit ­ihrem Alter hatte die Absage nichts zu tun.

Externe Unterstützung hilft

Valentin Vogt bereitet seine Schützlinge jeweils darauf vor, dass die Stellensuche voraussichtlich längern dauern werde: «Oft sind zwölf bis 18 Monate nötig.» Er rät Betroffenen zudem, sich gegebenenfalls externe Unterstützung zu holen, «zum Beispiel bei einem Coach».

Diesen Rat kann Michelle Gasser nur unterschreiben. Für sie sei es hilfreich gewesen, einen Ansprechpartner zu haben, der ihr während der Stellen­suche Feedback gegeben und sie wieder aufgebaut habe. Die 57-Jährige hat über eine Temporärstelle wieder Fuss gefasst und beginnt demnächst eine «Traumstelle» in der Pharmabranche. «Dort kann ich all meine Qualifika­tionen und ­Fähigkeiten einbringen», ist Gasser überzeugt. Ihr Alter sei beim Bewerbungsgespräch kein Thema gewesen. «Mein Profil passte einfach zu 95 Prozent auf die Stelle.»

*Name geändert

Norbert Galster (59), Ingenieur

«Ich musste feststellen: Da tut sich nichts mehr. Keine Resonanz, kein Feedback. Das war schon finster. Ich bin ausgebildeter Chemieingenieur, habe Management-Erfahrung und mich kontinuierlich weitergebildet. Und doch wurde ich nach meiner ­Entlassung – die Firma, für die ich arbeitete, stellte ihren Betrieb ein – nicht einmal zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. Ich habe auch mit befreundeten Personalvermittlern gesprochen. Die meinten: ‹Vergiss es. Mit 55 Jahren stellt dich niemand mehr ein.› Ich sagte mir, das kann doch nicht sein. Und habe einen ­Verein ins Leben gerufen, um Personen mit guten Qualifikationen zusammenzubringen. Das hat mir geholfen, den Kopf über Wasser zu halten. Denn wenn man lauter Absagen bekommt, gerät man rasch in einen Abwärtsstrudel. Ich habe erlebt, wie viele Betroffene sich ins Schneckenhaus zurückgezogen haben. Erschwerend hinzu kommt das Stigma des Arbeitslosen: Viele Arbeitgeber sagen sich wohl, wenn einer arbeitslos ist, hat der sicher ein Problem. Inzwischen habe ich wieder eine Stelle und arbeite bei einem Zulieferer für Elek­tronikgeräte; der Kontakt kam über einen Kollegen zustande. Mein Alter hat meinen jetzigen Chef nie interessiert. Sie suchten jemanden mit Erfahrung – und mein Lebenslauf passte auf die Stelle wie der Schüssel zum Schloss.»

Thomas Meier

«Ich musste feststellen: Da tut sich nichts mehr. Keine Resonanz, kein Feedback. Das war schon finster. Ich bin ausgebildeter Chemieingenieur, habe Management-Erfahrung und mich kontinuierlich weitergebildet. Und doch wurde ich nach meiner ­Entlassung – die Firma, für die ich arbeitete, stellte ihren Betrieb ein – nicht einmal zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. Ich habe auch mit befreundeten Personalvermittlern gesprochen. Die meinten: ‹Vergiss es. Mit 55 Jahren stellt dich niemand mehr ein.› Ich sagte mir, das kann doch nicht sein. Und habe einen ­Verein ins Leben gerufen, um Personen mit guten Qualifikationen zusammenzubringen. Das hat mir geholfen, den Kopf über Wasser zu halten. Denn wenn man lauter Absagen bekommt, gerät man rasch in einen Abwärtsstrudel. Ich habe erlebt, wie viele Betroffene sich ins Schneckenhaus zurückgezogen haben. Erschwerend hinzu kommt das Stigma des Arbeitslosen: Viele Arbeitgeber sagen sich wohl, wenn einer arbeitslos ist, hat der sicher ein Problem. Inzwischen habe ich wieder eine Stelle und arbeite bei einem Zulieferer für Elek­tronikgeräte; der Kontakt kam über einen Kollegen zustande. Mein Alter hat meinen jetzigen Chef nie interessiert. Sie suchten jemanden mit Erfahrung – und mein Lebenslauf passte auf die Stelle wie der Schüssel zum Schloss.»

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