Trotz hartem Kurs von EU und USA
Schweiz verschleppt China-Sanktionen

Die westliche Welt verhängt wegen der Menschenrechtsverletzungen an Minderheiten in Xinjiang Sanktionen. Die Schweiz lässt sich auffallend viel Zeit mit Massnahmen gegen China. Laut NGOs laufen Umgehungsgeschäfte über unser Land.
Publiziert: 07.06.2021 um 10:40 Uhr
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Aktualisiert: 11.06.2021 um 11:20 Uhr
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Wegen Arbeitslagern in der chinesischen Region Xinjiang für die ...
Foto: Keystone
Pascal Tischhauser

Am Mittwochabend empfing Wirtschaftsminister Guy Parmelin (61) Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, um über Sanktionen gegen China zu reden. Die NGOs sind nämlich höchst besorgt darüber, dass die Strafmassnahmen der westlichen Welt über unser Land umgangen werden. Denn dazu war mehr als genug Zeit.

Schon am 22. März hatte die EU wegen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen an Minderheiten in der Region Xinjiang gegen 15 Personen und Organisationen Finanz- und Reisesanktionen verhängt. Ihnen wurden Gelder in den EU-Mitgliedstaaten eingefroren und es wurden Einreiseverbote in die Europäische Union erlassen.

Ähnliche Massnahmen haben die USA, Grossbritannien und Kanada ergriffen. Die europäischen Nicht-EU-Staaten Norwegen und Island, die zusammen mit der Schweiz und Liechtenstein die Europäische Freihandelsassoziation (Efta) bilden, haben sich den EU-Sanktionen angeschlossen.

Schweiz bildet stattdessen Arbeitsgruppen

Auch die Schweiz könnte dies aufgrund ihres Embargogesetzes tun. Doch der Bundesrat lässt sich auffallend viel Zeit. Er hat lediglich gemacht, was er immer tut, um Aktionismus zu demonstrieren: Er rief eine Arbeitsgruppe ins Leben.

So wurde am Mittwochabend noch klarer, wie schwer sich Regierung und Verwaltung mit Sanktionen tun: Bei den NGOs, die bei SVP-Bundespräsident Parmelin waren, verfestigte sich der Eindruck, man wolle die Einführung von Sanktionen auf die lange Bank schieben. Am liebsten die Kritik an China gar aussitzen.

Dennoch sagt Angela Mattli von der Gesellschaft für bedrohte Völker, die neben Vetretern von Public Eye und Alliance Sud beim Landesvater war: «Dass uns der Bundespräsident eingeladen hat, zeigt die Dringlichkeit des Themas. Wir hoffen sehr, dass sich die Schweiz ebenfalls rasch an den Sanktionen der EU beteiligt. Ansonsten ginge sie ein grosses Reputationsrisiko ein.»

Parlament macht Druck

Derweil wird das Parlament immer ungeduldiger. Mit verschiedenen Vorstössen machen linke Politiker Druck. So schreibt die Grüne Sibel Arslan (40) dem Bundesrat: Neben der Schweizer Textilbranche seien auch die Maschinenindustrie sowie der Finanzsektor in Xinjiang aktiv. «Gleichzeitig haben die Repressionen gegen die uigurischen, kasachischen und kirgisischen Gemeinschaften genozidale Züge angenommen.» Sie will wissen, was die Landesregierung unternimmt.

Der Bundesrat antwortete ihr, er organisiere «runde Tische», um die betroffenen Branchen zu sensibilisieren. Ähnlich reagiert das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Es teilt auf Blick-Anfrage mit: Die allfällige Übernahme der EU-Menschenrechtssanktionen werde derzeit bundesintern diskutiert. Weiter gibt es Auskunft: «Die Verantwortung für ihre Lieferketten liegt bei den einzelnen Unternehmen.» Der Bund unterstütze Unternehmen aber mittels Dialogforen. Das Seco habe bereits einen Austausch mit den Verbänden des Maschinen- und des Textilsektors gehabt.

Den hatten auch Nichtregierungsorganisationen. Er sei wenig ergiebig gewesen, sagen sie nur. Und sie hätten den Eindruck gewonnen, gewisse Schweizer Unternehmen wollten von den Sanktionen gegenüber China profitieren.

Textilmaschinenhersteller wie Rieter, Saurer und Uster Technologies, die Geschäftsbeziehungen in die Region Xinjiang pflegen, betonen, Gesetze einzuhalten und Zwangsarbeit zu verurteilen. Sie äussern sich aber nicht zu Sanktionen.

Einzig Saurer macht klar, welchen Stellenwert die Grossregion Xinjiang für das Unternehmen hat: «Ohne Zugang zu diesem Markt stehen mehrere Tausend Arbeitsplätze in der Textilmaschinenindustrie in Europa zur Disposition.»

«Sanktionen wirkungslos»

Der Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem) betont auf Anfrage wiederum, er verurteile Menschenrechtsverletzungen – sei es in China oder anderswo. Diese müssten im Dialog offen angesprochen werden. Was die Schweizer Regierung aus Sicht von Swissmem tue. Sprecher Ivo Zimmermann lässt aber keinen Zweifel an der Haltung der Industrie: «Sanktionen durch die Schweiz wären wirkungslos und würden lediglich den Menschen vor Ort sowie der Schweiz selber schaden.»

Gut zureden und weiterhin Geschäfte machen, trotz Unterdrückung einer Bevölkerungsgruppe? Das weckt traurige Erinnerungen an den Umgang mit dem südafrikanischen Apartheidregime. Auch da hatten Vertreter des Bundes, aber auch Banken und andere Unternehmen mitgeholfen, das dortige System zu stützen.

Nochmals denselben Fehler zu machen, ist brandgefährlich – nicht nur für die internationale Reputation der Schweiz, von der auch die Wirtschaft profitiert. Es könnte auch teuer werden. Der Bundesrat hatte schon 2003 auf eine Anfrage der damaligen Grünen-Nationalrätin Pia Hollenstein (70) zum Apartheidregime klargestellt, er unterstütze das Recht auf Wiedergutmachung für Opfer schwerer Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Auch im Fall von China könnten somit in Zukunft heute gemachte Fehler teuer werden.

Deutschland nimmt Firmen in die Pflicht

Schliesslich gehen westliche Länder den entgegengesetzten Weg. Allen voran Deutschland, das ein Gesetz einführen will, das es in sich hat. Denn für die Bundesregierung steht fest: «Die Pflicht, die Menschenrechte des Einzelnen zu achten, zu schützen und einzuhalten, liegt bei den Staaten.» Gleichzeitig verlangt die Regierung, dass auch die Unternehmen ihre Verantwortung wahrnehmen. Doch eine Untersuchung zeigte: Sie tun dies nur unzureichend. Darum brauche es eine Regelung, nämlich das «Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten». So steht es im Entwurf zum deutschen Lieferkettengesetz.

Während bei uns der Bundesrat alle Hebel in Bewegung setzte, um mit einer Berichtspflicht für Grossunternehmen die Konzernverantwortungs-Initiative zu verhindern, sieht es ganz danach aus, dass unser nördlicher Nachbar seine Betriebe ernsthaft in die Pflicht nimmt.

Bei der Abstimmung von Ende November hatte sich bei uns in der Schweiz gezeigt, dass eine knappe Mehrheit von 50,7 Prozent der Bevölkerung den Unternehmen ebenfalls mehr abverlangen will als unser Bundesrat. Die Konzernverantwortungs-Initiative scheiterte jedoch am Ständemehr.

Deutsches Urteil: «Genozid»

Darum der Blick aufs deutsche Lieferkettengesetz. Tritt dieses tatsächlich 2023 wie angedacht in Kraft, wird es für Unternehmen mit Sitz in der chinesischen Region Xinjiang eng. Denn ein Gutachten des Bundestags macht nicht nur klar, dass in Xinjiang nach Rechtsauffassung deutscher Gerichte an der uigurischen Minderheit «ein Genozid» laut Völkermordkonvention begangen werde.

Das Papier hält auch fest, dass mit Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes «eine Pflicht deutscher Unternehmen zum Abbruch der Geschäftsbeziehungen zu ihren chinesischen Zulieferern fast unausweichlich» sei. Derweil scheut unser Land Sanktionen noch immer.

Klarstellung tut not

Angesichts gut dokumentierter Umerziehungslager und Zwangsarbeit für Uiguren droht sich die unrühmliche Rolle zu wiederholen, die die Schweiz bei Südafrika spielte. Für Nichtregierungsorganisationen und Teile des Parlaments ist es deshalb höchste Zeit, dass der Bundesrat einen anderen Weg einschlägt: Für sie soll er mit einer Beteiligung an den Sanktionen klarstellen, dass er Menschenrechtsverletzungen auch in China nicht duldet.


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