Toter in iranischem Gefängnis
Wie die Mullahs die Schweiz vorführen

Ein Schweizer soll sich in einem iranischen Gefängnis umgebracht haben. Unklar ist, ob er ein Tourist oder ein Spion war. Teheran lieferte der Schweiz «ungenaue Angaben zur Identität».
Publiziert: 16.02.2025 um 00:55 Uhr
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Aktualisiert: 16.02.2025 um 08:16 Uhr
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Ein Bild aus glücklicheren Zeiten: Aussenminister Cassis und der iranische Vizepräsident Mohammed Dschawad Sarif im Jahr 2018.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Schweizer stirbt in iranischem Gefängnis, Schweiz fordert Aufklärung vom Iran
  • Iran wirft dem Schweizer Spionage vor, verweigerte konsularischen Zugang
  • Erst am 31. Dezember 2024 wurde die Identität des 64-jährigen Schweizers bestätigt – neun Tage später war er tot
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Die Schweizer Diplomatie ist stolz auf ihre Guten Dienste. Am prestigeträchtigsten sind die Schutzmachtmandate, die mit dem Iran zu tun haben: Zwischen Washington und Teheran herrscht seit Jahrzehnten Eiszeit; will US-Präsident Donald Trump (78) den Mullahs etwas auf diplomatischem Weg mitteilen, dann läuft das über die Schweiz. Hinzu kommen weitere Mandate: Seit 1979 vertritt die Schweiz die iranischen Interessen in Ägypten und seit 2019 die iranischen Interessen in Kanada. 

Wegen der Schutzmachtmandate kuscht die Schweiz immer wieder vor den Mullahs. 2022 gingen die Bilder der Iranerin Mahsa Amini um die Welt: Die 22-Jährige war von der iranischen Sittenpolizei festgenommen, geschlagen und getötet worden. Die Schweiz protestierte dagegen. Auf die Übernahme von EU-Sanktionen verzichtete Bern aber bewusst. «Der Entscheid wurde unter Einbezug aller innen- und aussenpolitischen Interessen der Schweiz gefällt, darunter auch die Guten Dienste der Schweiz in Iran», hiess es damals.

Wer jedoch glaubt, dass sich Teheran dafür erkenntlich zeigt, sieht sich nach dem mutmasslichen Suizid eines 64-jährigen Schweizers am 9. Januar in einem iranischen Gefängnis eines Besseren belehrt. Was genau ist vorgefallen? 

Wochenlang wurde die Schweizer Botschaft nicht informiert

Der Schweizer reiste im Oktober 2024 von Afghanistan in den Iran ein. Er gilt als Eigenbrötler. Nach Informationen von Blick war er zuletzt vor zwölf Jahren in der Schweiz gemeldet, zeitweise lebte er in den USA, seit 2019 in Südafrika, zuletzt in Namibia. Er hat einen Sohn in der Schweiz, zu dem er keinen Kontakt hat. 

Laut iranischen Angaben war der Schweizer mit einem Auto unterwegs, das mit verschiedenen technischen Geräten für unterschiedliche Zwecke ausgestattet war. «Nachdem er mehrere Provinzen durchquert hatte, kam er in die Provinz Semnan und wurde in einer militärischen Sperrzone festgenommen», teilte ein Sprecher des iranischen Justizapparats der Agentur Reuters mit. Der Schweizer soll Fotos von der Militärzone gemacht und mit feindlichen Staaten kollaboriert haben, so die Vorwürfe aus Teheran.

Verdacht auf Spionage

Nach Informationen von Blick wurde der Schweizer im November verhaftet. Doch dann passierte erst einmal nichts. Erst am 10. Dezember wurde die Schweizer Botschaft in Teheran von den iranischen Behörden informiert, dass ein Schweizer Staatsangehöriger wegen Verdacht auf Spionage verhaftet wurde.

Die Botschaft habe täglich versucht, mehr Informationen zu den Umständen der Verhaftung und zum Zugang zum inhaftierten Schweizer zu erhalten, beteuert das Aussendepartement (EDA). Die Botschaft wollte den Schweizer im Gefängnis besuchen – doch erhielt keinen Zugang. Die Schweiz habe den iranischen Behörden «mehrmals klar kommuniziert», dass die Verwehrung des konsularischen Zugangs gegen das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen verstosse. 

Erst am 31.12. war klar, dass er Schweizer ist

Nach Informationen von Blick haben die Iraner zunächst einen falschen Namen geliefert. «Die iranischen Behörden haben ungenaue Angaben zur Identität der inhaftierten Person gemacht, sodass erst am 31. Dezember 2024 klar war, dass es sich tatsächlich um einen Schweizer Staatsangehörigen handelte», bestätigt das EDA. «Am 9. Januar 2025 wurde die Botschaft informiert, dass sich der Schweizer im Gefängnis das Leben genommen hat.»

Dies wirft Fragen zur Fürsorgepflicht auf – Gefängnisse müssen alles unternehmen, um Suizide zu verhindern. Laut iranischen Angaben soll der Schweizer einen anderen Gefangenen gebeten haben, ihm Essen aus der Gefängniskantine zu bringen. Als er in der Zelle allein war, soll sich der Schweizer mit einem Stück Stoff erhängt haben, «nachdem er das Licht in seiner Zelle ausgeschaltet und sich ausser Sichtweite der Überwachungskameras begeben hatte».

Die Schweiz hat am 9. Januar von den iranischen Behörden eine lückenlose Untersuchung verlangt. Die Bundesanwaltschaft hat ein Verfahren eröffnet und den Leichnam des 64-Jährigen obduziert; das Verfahren läuft noch. Während des Weltwirtschaftsforums in Davos forderte Aussenminister Ignazio Cassis (63) Aufklärung vom iranischen Vizepräsidenten Mohammed Dschawad Sarif (65). 

Spionage-Vorwurf trifft auch Touristen

Nach wie vor ist vieles unklar. Ein Schweizer soll den Iran ausspioniert haben – können das die Israelis oder US-Amerikaner nicht besser? Iran-Kenner Simon Wolfgang Fuchs (42), der an der Universität Jerusalem forscht, zu Blick: «Der Vorwurf der Spionage kann harmlose und naive Touristen treffen, die sich nicht bewusst sind, dass sie keine Drohnen im Iran fliegen lassen sollten. Oder Forschende, die zu angeblich problematischen Themen arbeiten.»

Sollten die iranischen Angaben jedoch stimmen, seien diese «verblüffend», findet Fuchs: «Ende Oktober hat Israel eine grosse Angriffswelle auf mehrere Ziele in Iran geflogen, wahrscheinlich auch auf eine Basis der Revolutionsgarden, die der iranischen Raketenproduktion dient.» Trotz aller technologischen Überlegenheit der israelischen Geheimdienste brauche es Manpower vor Ort. Da Geheimdienste jedoch nie die Identität ihrer Mittelsmänner preisgeben, ist eine Aufklärung schwierig. 

Fuchs hält es auch für möglich, dass der Schweizer ein Tourist war und für Geiseldiplomatie benutzt werden sollte: «Iran hat schon mehrfach Personen auf Reserve und für lange Zeit festgehalten, um sie dann im richtigen Moment einzusetzen.» Die Hintergründe der Machthaber seien aber schwer zu durchschauen: «Präsident Peseschkian bemüht sich um eine Charmeoffensive in Sachen Westen. Die Charmeoffensive ist zwar vom Revolutionsführer gedeckt, aber nicht deckungsgleich mit Meinungen anderer Mitglieder der Geistlichkeit oder den Bestrebungen der Revolutionsgarden.»

Warum hat Cassis nicht interveniert?

Bleibt die Frage, warum Aussenminister Ignazio Cassis (63), sein Generalsekretär Markus Seiler (56), immerhin Ex-Geheimdienstchef, oder der aktuelle Chef des Nachrichtendienst des Bundes (NDB), Christian Dussey (60), immerhin Ex-Botschafter in Teheran, nichts unternommen haben, um den Schweizer noch zu Lebzeiten sehen zu können. Andere Länder kämpfen wie Löwen um ihre Inhaftierten. Das EDA teilt mit, Cassis und Seiler seien erst am 9. Januar, also am Todestag des Schweizers, über den Fall informiert worden. Der NDB teilt mit: «Zum Schutz seiner operativen Tätigkeiten äussert sich der NDB grundsätzlich nicht zu allfälligen einzelnen Fällen.»

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