Ein Kafi auf der Restaurant-Terrasse, Training im Fitnesszentrum, Veranstaltungen mit bis zu 100 Personen: Ab Montag kann die Schweiz wieder ein wenig Normalität erleben. Obwohl die Corona-Neuinfektionen auf hohem Niveau stabil sind und Virusvarianten sich weiter verbreiten.
Für viele Wissenschaftler ist der Lockerungsentscheid des Bundesrats kreuzfalsch – und sie haben dies auf den sozialen Medien mehr als deutlich gemacht. Ein Mitglied der wissenschaftlichen Taskforce, die den Bundesrat berät, zieht nun die Konsequenzen.
Erneuter Rücktritt aus der Taskforce
Dominique de Quervain, Neurowissenschaftler der Universität Basel, zieht sich aus dem Gremium zurück, wie er auf Twitter bekannt gibt. Das der Taskforce auferlegte «politische Korsett verhindert die dringend notwendige, ungefilterte wissenschaftliche Aufklärung», schreibt er.
De Quervain ist nicht der erste Forscher, der der Taskforce den Rücken kehrt. Aber er ist einer der wenigen, die als Grund dafür die Politik angeben – konkret auch den Öffnungsentscheid des Bundesrats. «Ich halte die beschlossenen Lockerungsschritte für einen Fehler. Die Folgen werden verfrühter Optimismus und damit unvorsichtiges Handeln sein. Schon bald wird man einen umso höheren Preis dafür bezahlen müssen», schreibt er.
Auch Ackermann ist kritisch
Diese harsche Kritik mag Taskforce-Chef Martin Ackermann so nicht teilen. Aber auf Anfrage von Blick spricht auch er davon, dass die Zunahme von Kontakt und Mobilität ein «Risiko für die Eindämmung» der Pandemie darstellen. Bei den aktuellen Fallzahlen sei das Risiko grösser, dass neue Ansteckungsketten entstehen und sich das Virus immer weiter verbreitet.
«Die jetzige Situation ist ein Wettlauf zwischen dem Anstieg von Neuinfektionen und der Durchimpfungsrate», so Ackermann. «Wir müssen schauen, dass wir diesen Wettlauf zu unseren Gunsten entscheiden oder schnell und entschieden handeln, wenn wir sehen, dass wir zu viel Risiko eingegangen sind und die Infektionen wieder schnell ansteigen.»
Heikle Öffnung der Fitnesscenter
Aufgrund des Laissez-faire der Politik appelliert Ackermann an die Eigenverantwortung des einzelnen. Es sei umso wichtiger, dass jeder für sich die Risiken einschätzt. So sei das Risiko, sich anzustecken, in Innenräumen viel höher als draussen an der frischen Luft.
Besonders kritisch sieht Ackermann die Regeln für Fitnesscenter. Dort dürfen Trainierende die Maske ja abnehmen, wenn sie etwa auf dem Laufband oder dem Velo trainieren. «Das Risiko ist grösser bei Tätigkeiten, bei denen keine Maske getragen werden kann, und bei denen Menschen laut sprechen oder sich körperlich anstrengen und deshalb intensiver atmen», warnt Ackermann.
Jetzt nicht alles verspielen
Es lohne sich nicht nur aus gesundheitlicher, sondern auch aus gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Perspektive, jetzt weiterhin alles zu tun, um das Virus zu bekämpfen. «Die Impfkampagne hat an Fahrt aufgenommen, die Ziellinie ist nah, es lohnt sich – als Gesellschaft und auch als Individuum – alles daran zu setzen für den wichtigen Endspurt. Sich und andere schützen heisst, verantwortungsvoll zu entscheiden, welche neue Freiheit man wann und wie nutzt.»
Doch es gibt auch andere Stimmen. So hatte sich der Basler Infektiologe und ehemalige Taskforce-Vizepräsident Manuel Battegay im Blick für schrittweise Lockerungen ausgesprochen. «Man kann nicht immer noch mehr verbieten», hatte er gesagt.