Frohlocken bis komplettes Unverständnis – der Bundesrats löst die ganze Bandbreite an Reaktionen aus. Bereits ab kommendem Montag sollen die Corona-Massnahmen in der Schweiz überraschend stark gelockert werden. Und das, obwohl die epidemiologische Lage weiterhin sehr angespannt ist.
Gerade in Wissenschaftskreisen stossen die Lockerungsschritte deshalb auf Unverständnis. Virologin Isabella Eckerle zeigt sich auf Twitter sehr besorgt. Die Lockerungen seien nicht nachzuvollziehen und «werden unnötig Kranke und Tote zur Folge haben», schreibt die Leiterin des Zentrums für Viruserkrankungen am Universitätsspital Genf.
Auch der Berner Epidemiologe Christian Althaus zeigt sich besorgt – gerade über die Veranstaltungen mit bis zu 50 oder 100 Personen. Und er wird auf Twitter sehr deutlich, was er davon hält: «Schwer nachzuvollziehen, wie man sich so kurz vor dem Ziel noch ins eigene Knie schiessen kann.»
«Bundesrat setzt Erfolge aufs Spiel»
Für Unverständnis sorgen die Lockerungen auch bei den Grünen. Sie seien «unverantwortlich», findet Präsident Balthasar Glättli (49). «Der Bundesrat setzt die früheren Erfolge aufs Spiel.» Das sei umso bedauerlicher, als dass dank der immer mehr verfügbaren Impfdosen ein Ende der Pandemie absehbar sei, finden die Grünen. Die Gefahr, noch stärker in die dritte Welle zu rasseln und das Gesundheitssystem wieder an den Anschlag zu bringen, sei jetzt leider real.
Die SP hingegen will ihrem federführenden Gesundheitsminister Alain Berset (49) nicht in den Rücken fallen. Sie begrüsst die Perspektive für die Bevölkerung, sieht den Bundesrat angesichts der weiter kritischen Corona-Situation gleichzeitig aber auf einer Gratwanderung. Um einen Jo-Jo-Effekt zu vermeiden, müssten die Schutzkonzepte in Innenräumen zwingend greifen, findet Co-Präsidentin Mattea Meyer (33).
Echte Perspektiven für die Menschen und das Gewerbe bringe aber einzig ein schneller Fortschritt beim Impfen, so die SP. Sie sieht dabei die Kantone in der Pflicht. Ebenso müssten sie das Testen und das Contact Tracing sicherstellen.
Bürgerlichen geht es dagegen nicht schnell genug
Ganz anders die SVP: Der Druck auf die FDP-Bundesräte habe gewirkt, konstatierte die SVP in einer Mitteilung. Sie hätten ihre «antiliberale und wirtschaftsfeindliche Corona-Politik» aufgegeben. Allerdings lasse das Tempo beim Öffnen «zu wünschen übrig».
Die SVP verlangt denn auch, sämtliche Branchen gleichberechtigt zu öffnen und den Lockdown zu beenden. Nach ihrer Auffassung ist es willkürlich und nicht nachvollziehbar, dass 50 Personen in Innenräumen erlaubt sind, aber die Restaurants geschlossen bleiben müssen. Auch stellt sie ein «viel zu grosses Regel-Wirrwarr» fest.
Die SVP fordert eine beschleunigte Impfkampagne und konsequentes Testen. «Dass über Ostern die staatlichen Impfzentren geschlossen waren, ist eine Schlampigkeit, die wir uns nicht leisten können», so Parteipräsident Marco Chiesa (46).
Mitte freut sich über «neue Perspektiven»
Die FDP wiederum spricht von einem «vernünftigen Schritt». Einer Situation, die «immer absurder» geworden sei, sei nun ein Ende gesetzt worden. Mit der Öffnung von Restaurantterrassen könnten unkontrollierte Ansammlungen von Menschen besser kontrolliert werden als mit dem Take-away-Betrieb ohne Terrassen.
Nicht zufrieden ist die FDP mit der Situation im Bundesamt für Gesundheit (BAG). Obwohl inzwischen rund 2,4 Millionen Dosen zur Verfügung stünden, sei eine Beschleunigung beim Impfen kaum zu beobachten. Das von der FDP gesteckte Ziel, bis Ende April 30 Prozent der Bevölkerung zu impfen, werde «kläglich verfehlt».
Sorgen um Wirtschaftshilfen
Mitte-Präsident Gerhard Pfister (58) spricht auf Twitter von einem «starken Signal» und «neuen Perspektiven». Die Partei selbst schrieb, die Öffnungen seien eine «Konsequenz erfolgreicher Massnahmen». Jetzt brauche es eine gemeinsame Kraftanstrengung beim Testen und Impfen. Die Mitte fordert aber, dass die Hilfsprogramme trotz Öffnungen weiterlaufen müssten. Auf die Fortführung dieser Wirtschaftshilfen pochen auch SP und Grüne.
Für GLP-Parteipräsident Jürg Grossen (51) bedeuten die Öffnungsschritte «eine enorme Verantwortung für uns alle». Sich an die Schutzmassnahmen zu halten, sei absolut zentral. Umso mehr müssten sich jetzt alle zusammennehmen und sich anstrengen.
Auch Jungparteien kommentierten die Entscheide am Mittwoch. «Danke», schrieben die Jungfreisinnigen auf Twitter. Die Forderungen der Jungen fänden beim Bundesrat Gehör. «Der Bundesrat öffnet grosszügig», schrieb die Junge Mitte in ihrem Tweet. Sie hofft auf einen «Lichtblick auf baldige Impfungen für die Jungen». (SDA/dba)