Eines steht praktisch fest: Eine Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung wird sich am 13. Februar dafür aussprechen, Zigarettenwerbung für Kinder und Jugendliche zu verbieten. Bei der jüngsten Umfrage von GfS Bern lag die Zustimmung zur Initiative bei 63 Prozent – dass der Anteil noch um 13 Prozentpunkte sinkt, ist höchst unwahrscheinlich.
Die Gegner haben daher nur noch eine Chance: Das Tabakwerbeverbot am Ständemehr scheitern zu lassen. Denn weil es sich um eine Volksinitiative handelt, muss nicht nur die Mehrheit der Stimmbevölkerung, sondern auch die Mehrheit der Kantone Ja sagen.
Ab 56 Prozent Ja ist das Ständemehr fix
Das Ständemehr wird Vorlagen immer wieder zum Verhängnis. 1970 scheiterte gar ein obligatorisches Referendum zur Finanzordnung trotz 55,4 Prozent Zustimmung der Bevölkerung an den Kantonen. Seither rechnen Politikwissenschaftler so: Bei einem Volksmehr von über 56 Prozent ist auch das Ständemehr in trockenen Tüchern. Je mehr sich die Zustimmung in der Bevölkerung aber der 50-Prozent-Grenze nähert, desto eher kann eine Vorlage am Ständemehr scheitern.
Die Gegner setzen ihre ganze Kraft daher in den Swing States ein, also in denjenigen Kantonen, die kippen könnten. «Wir wissen, welche das sind», sagt ein Tabak-Lobbyist. Dabei kann er sich auf ausreichend Unterstützung verlassen: Natürlich fliesst Geld von den Tabakkonzernen in den Abstimmungskampf. Aber es gebe auch Gratiswerbefläche von Werbevermarktern und Medien, so der Insider.
Die Swing States entscheiden
Man muss nicht lange rätseln, in welchen Kantonen der Abstimmungsausgang entschieden wird. «Die Gegner des Tabakwerbeverbots hoffen, die kleineren Deutschschweizer Kantone auf ihrer Seite zu haben», sagt Politikwissenschaftler Claude Longchamp (64). Das wären schon mal sieben Nein-Kantone.
Das reicht natürlich noch nicht. Also müssen sie «einen Kranz weiterer Kantone gewinnen», wie sich der langjährige Politbeobachter ausdrückt – die Swing States eben. «Erfahrungsgemäss sind das St. Gallen, Luzern, Aargau, Solothurn und Thurgau», so Longchamp. «Dann wird es spannend, denn das gibt erst zwölf Standesstimmen – eine zu wenig, um über das Ständemehr zu gewinnen.» Diese fehlende Stimme holten sich die Gegner am wahrscheinlichsten in Graubünden, Basel-Landschaft oder im Tessin.
Nein-Inserate sind in der Überzahl
Inserate und gezielt platzierte Artikel dürften für eine Kampagne in solchen Kantonen hilfreich sein, erklärt Longchamp, der den Abstimmungssonntag auch dieses Mal auf Blick TV kommentieren wird. «Ob das aber reicht, um den Nein-Trend so zu verstärken, damit sich eine Mehrheit der Kantone hinter dem Nein versammelt, bleibt fraglich», schränkt er ein.
Dennoch wird mit Nachdruck versucht, so das Ständemehr zu kippen. In der Deutschschweiz ist dazu die Agentur Kommunikationsplan eingespannt worden, wie diese auf Blick-Anfrage bestätigt. Einen Hinweis auf deren Aktivitäten gibt eine Auswertung von Année Politique Suisse (APS) an der Universität Bern. Diese zeigt, dass es ungewöhnlich viele Anzeigen zum Tabakwerbeverbot gab. In den untersuchten Zeitungen waren es 351. Mit insgesamt 410 Inseraten wurden einzig zum Medienpaket mehr Anzeigen geschaltet.
Während die beiden Studienautoren Anja Heidelberger und Marc Bühlmann mit ihrem Team zum Medienpaket überwiegend Pro-Inserate zählten, war es beim Werbeverbot umgekehrt: 98 Ja-Inserate stehen hier 253 Nein-Anzeigen gegenüber.
Regionalzeitungen sind gefragt
Was besonders auffällt: Die Inserate gegen das Tabakwerbeverbot finden sich häufig tatsächlich nicht in Zeitungen, die ihre Leser in Zürich, Bern oder Basel haben, sondern vielmehr in Zentralschweizer Medien, bei denen denen laut APS von 17 Inseraten zur Vorlage 15 von den Gegnern kommen. Ein ähnliches Bild zeigt sich in St. Gallen.
Es ist das Erscheinungsgebiet der Blätter des Verlags CH Media, auf die es bei der Abstimmung ankommt. Vom Thurgau über St. Gallen, das Appenzell, Glarus, die Zentralschweiz, weiter zum Aargau und bis nach Solothurn geben die Regionalzeitungen dieses Verlags den Ton an. Somit macht es Sinn, die Finanzmittel in Werbeaktivitäten in diesen Zeitungen zu investieren, die einen Bogen um Zürich und Bern machen.
Entschieden wird in der Mitte
Doch am Sonntag wird nicht nur entscheidend sein, wie die genannten Kantone mehrheitlich stimmen. Es kommt noch auf etwas anderes an: Wie GfS Bern zur Umfrage schreibt, wäre für einen Umschwung beim Ständemehr eine starke Mobilisierung «vor allem auch in katholischen Regionen mit historisch starker Mitte nötig». Doch diese Mitte ist gespalten: In elf Kantonen hat die Mitte-Partei die Ja-Parole beschlossen – in elf anderen sagt sie Nein. Nein sagt auch die Junge Mitte, während die Mitte-Frauen fürs Verbot sind.
Nicht einmal alle Mitte-Parteien in den ländlichen Kantonen lehnen die Initiative ab. So sagt beispielsweise die Mitte Uri Ja und auch die CVP/Mitte Obwalden ist dafür. Gleiches gilt für die Kantonalparteien von Schwyz und Glarus.
Keine Partei-Parole gefällt
Und was haben die Delegierten der Mitte Schweiz für eine Parole gefasst? Keine. Man habe aus Zeitgründen darauf verzichtet, heisst es auf Anfrage bei der Partei. Dennoch steht unter der Überschrift «Parolen» auf der Mitte-Website: «Nein zum Tabakwerbeverbot». Nur, wer die Mitteilung dazu besonders aufmerksam liest, stellt fest, dass es bloss eine Empfehlung der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten für ein Nein gibt.
Die Statuten erlauben dies. Die Mitte umgeht so eine öffentliche Debatte über ein Thema, das die Partei spaltet.
So haben faktisch nur die SVP und die FDP die Nein-Parole zum Tabakwerbeverbot beschlossen. Gerade in den Stammlanden der Mitte könnte das den Ausschlag dafür geben, dass die Initianten am kommenden Sonntag feiern – und der eine oder die andere aus der Gegnerschaft auf die Siegeszigarre verzichten muss.