Céline Amaudruz (44) ist derzeit sehr beschäftigt. Als SVP-Vizepräsidentin will sie ein Ja zum Klimagesetz verhindern, im Herbst stehen die Wahlen an. Und in zwei Wochen wird sie erstmals Mutter. Blick traf die Genfer Nationalrätin am Rand der Sommersession.
Blick: 2020 sagten Sie der Zeitschrift «L'Illustré», dass Ihnen einige Parteifreunde vorwerfen, in gesellschaftspolitischen Fragen zu links zu sein. Was sagen Sie dazu?
Céline Amaudruz: Ich bin ein freier Mensch und folge nicht immer der Partei, die in gewissen gesellschaftlichen Themen sehr konservativ ist. So habe ich mich dagegen gewehrt, dass die Krankenkassen Abtreibungen nicht mehr bezahlen, wie es die SVP wollte. Ich habe die Ehe für alle, die Eizellenspende und das Gesetz zur Lohngleichheit unterstützt. Ich respektiere die Position meiner Parteikollegen, sie respektieren meine und alles ist in Ordnung.
Schliessen sich solche Positionen und das Politisieren für die SVP nicht aus?
Nein, ich halte mich sehr stark an die Themen, die die DNA der SVP ausmachen: unsere Neutralität, unsere Unabhängigkeit und unsere Souveränität. Wenn ich etwas habe, das man als «linke Sensibilität» bezeichnen könnte, dann nur, wenn es um Themen geht, die Frauen betreffen – ihre Unabhängigkeit, ihre Freiheit und Sicherheit. Ausserdem bin ich in einigen gesellschaftlichen Fragen auch konservativ.
Zum Beispiel?
Ich bin der Meinung, dass ein zwölfjähriges Kind sein Geschlecht nicht ändern können soll. Das wäre ein Irrweg. Solche Entscheidungen fallen zwar in den Bereich der Privatsphäre, aber sie müssen das Ergebnis einer erwachsenen Überlegung sein, und sicherlich nicht die der Eltern eines Kindes oder Jugendlichen, die nicht den nötigen Abstand haben, um eine so radikale Entscheidung zu treffen.
Da wir gerade bei Links und Rechts sind: Stimmen Sie zu, dass die SVP ein paar der aktuellen Themen von den Linken geklaut hat? Zum Beispiel das Thema Kaufkraft.
Die Linke hat die Arbeitnehmer verraten, indem sie das Interesse an den echten Problemen verloren hat und sich stattdessen um Gender-Fragen kümmert – sei es bei öffentlichen Toiletten oder bei der Rechtschreibung. Das Kernelement bei der Kaufkraft ist die Würde: Nicht um Hilfe bitten zu müssen. Wir sind ein reiches Land, niemand sollte um Hilfe bitten müssen. Und ausserdem ist die Kaufkraft der Garant für Unabhängigkeit. Darum liegt sie uns auch am Herzen.
Mit dem Kaufkraft-Argument bekämpfen Sie auch das Klimagesetz, über das die Schweiz am 18. Juni abstimmt. Das ist ziemlich gesucht, finden Sie nicht?
Keineswegs, bei der Abstimmung vom 18. Juni geht es um die Wirtschaft, nicht um das Klima. Die ETH Lausanne schätzt, dass auf die Haushalte Kosten von 6600 Franken pro Jahr zukommen – die Schweizerinnen und Schweizer werden also eine monatliche Klima-Prämie von 550 Franken zahlen müssen.
Die Autoren der Studie, die Sie zitieren, bestreiten diese Interpretation. Und von einer «Prämie» zu sprechen, ist schon etwas demagogisch.
Diese Zahlen sind real und sie geben Anlass zur Sorge. Ich habe bis jetzt auch nicht gehört, dass der Bundesrat die Summe bestreitet. Was den Begriff Prämie betrifft: Das ist einfach eine Möglichkeit, das Thema etwas verständlicher zu machen. Der Vorwurf der Demagogie ist Ihre Interpretation.
Darf man mit solchen Ungenauigkeiten wirklich Politik machen? Und in so einer ernsten Fragen einfach Nein sagen, ohne selbst einen Vorschlag für den Klimaschutz zu machen?
Das ist ebenso Ihre Interpretation. Doch wir haben es mit einem Gesetz zu tun, das unsere Energieversorgung untergraben und die monatlichen Kosten stark erhöhen wird – ich wiederhole: um 550 Franken pro Monat. Das Gesetz hat ein lobenswertes Ziel, aber es verfehlt es. Das abzulehnen bedeutet nicht, dass wir nichts für das Klima tun werden!
Kommen wir zu einem anderen Thema: In der Politik geht es oft rau zu. Haben Sie den Eindruck, dass das in den vergangenen Jahren schlimmer geworden ist?
Ich glaube, dass wir in der Schweiz noch relativ verschont geblieben sind. Aber ich bin schockiert über die Heftigkeit der Debatten in den sozialen Medien. Durch ihren Bildschirm geschützt, wagen es viele Menschen, sehr gravierende Dinge zu sagen.
Nicht nur in sozialen Netzwerken. Sie haben das am eigenen Leib erfahren. Sie wurden beschimpft und gar mehrfach mit dem Tod bedroht. Was ist los bei uns?
Ich weiss es nicht. Ich wurde übrigens von Linken angegriffen, die Sie offenbar für sensibler halten.
Warum, denken Sie, stehen Sie persönlich so im Fokus?
Ich denke, es hängt damit zusammen, dass ich eine Frau bin, die in Themen wie Migration sehr konservative Werte vertritt. Die Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli hat das ja ebenfalls erlebt.
An der Uni Genf gab es einen Anschlagsversuch auf Sie. Wie gross war Ihre Angst?
Gross. Niemand wusste es, aber zu diesem Zeitpunkt war ich bereits schwanger. Wenn Leute mit Kapuzen auf dich zukommen, weisst du nicht, was dich erwartet und fürchtest um dein Leben. Alles passiert im Bruchteil einer Sekunde. Aber ich hatte genug Zeit, um mich zu fragen, was meinem Baby passieren könnte, wenn ich hinfalle ...
Bei öffentlichen Auftritten haben Sie nun oft Polizeischutz. Ist die Situation so ernst?
Ich werde nicht alle Drohungen aufzählen, die ich erhalte. Die Polizei begleitet mich nur an Orte, an denen die ernste Gefahr eines weiteren Übergriffs droht.
Wer erstellt die Risikoanalyse? Fordern Sie dann Polizeischutz an?
Dafür ist das Bundesamt für Polizei zuständig, an die ich alle problematischen Briefe weiterleite. Dieses schätzt die Bedrohung ab und zieht auch in Betracht, dass die Schwangerschaft meine Fluchtmöglichkeiten einschränkt. Der Geburtstermin ist in zwei Wochen – das hat für mich oberste Priorität.
Wie erleben Sie den Kontrast zwischen dem Mutterglück und der Angst vor der Bedrohung?
Es gibt keinen Kontrast, ich bin die glücklichste Frau der Welt. Mutter zu werden, ist mein Lebenstraum, mein grösstes Glück. Niemand kann mir das nehmen. Ich habe zudem das Glück, einen Ehemann zu haben, der alles mit mir teilt. Und ich wurde von einer sehr starken Frau erzogen.
Erzählen Sie uns von Ihrer Mutter.
Sie hat sich nicht als Feministin bezeichnet und hätte meine Kämpfe nicht unbedingt mitgetragen, auch wenn sie stolz darauf ist. Aber sie hat mir immer gesagt, dass es schwierig sei, eine Frau zu sein. Sie hat immer gesagt: «Wenn du Schmerzen hast, lächle. Wenn du traurig bist, lächle. Denn man wird dir nie etwas durchgehen lassen.» Sie musste kämpfen.
Sie werden spät Mutter, wie man so schön sagt. Mit einem zwölf Jahre jüngeren Mann. Ist das ein Thema in Ihrem Umfeld?
Ich habe ziemlich abfällige Bemerkungen gehört, übrigens auch von Linken. Aber ich möchte keine Polemik entfachen.
Glauben Sie, dass Sie die Mutterschaft anders erleben als eine jüngere Frau?
Sicher, aber das Leben hat nun so entschieden. Ausserdem ist es ein Glück, dass ich einen Teil meiner Karriere bereits abgeschlossen habe. Natürlich wäre es ideal gewesen, wenn ich mit etwa 30 Jahren ein Kind bekommen hätte. Ich habe schon immer davon geträumt, ein Kind zu haben, seitdem ich etwa 15 Jahre alt war. Das war einige Jahre nach der Geburt meines Halbbruders, den ich übrigens immer noch mein Baby nenne, obwohl er heute 32 Jahre alt ist ... Seit dieser Zeit wünschte ich mir Kinder. Ich wollte deswegen auch Lehrerin werden und Jugendrichterin. Bis meine Mutter – eine Anwältin – mir sagte, dass ich nicht unparteiisch bleiben könnte, weil ich Kinder zu sehr liebe.
Sie wollen nach der Geburt wieder in einem 100-Prozent-Pensum arbeiten.
Ja, um unabhängig zu bleiben. Ein Wert, der mir von meiner geschiedenen Mutter richtiggehend eingebläut wurde. Sie wusste, wie wichtig Unabhängigkeit ist. Ausserdem arbeite ich gern, der Job ist Teil meiner täglichen Erfüllung. Ich liebe den Ort, an dem ich arbeite, ich liebe die Menschen, mit denen ich arbeite, ich liebe meine Kunden und ich liebe die Politik. Und ausserdem werde ich mir nicht vorschreiben lassen, was eine «gute Mutter» ausmacht.
Letzte Frage: Einige Beobachter meinen, dass Sie auch vom Bundesrat träumen. Oder träumen diese Leute?
Ich weiss nicht (lacht). Man müssen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, Privat- und Berufsleben müssen ein solches Amt erlauben.
Immerhin sagen Sie nicht Nein ...
Ich sage nicht Nein.