Die Deutschschweizer arbeiten, die Romands sind Sozialhilfeempfänger? Diese Botschaft von GLP-Präsident Jürg Grossen (54) kam in der Romandie vergangene Woche an – und sorgte entsprechend für Empörung.
Hintergrund ist ein Interview, das der Berner am vergangenen Abstimmungssonntag im «Nebelspalter» gegeben hatte. Die welschen Kantone (und Basel-Stadt) hatten die Prämienentlastungs-Initiative der SP im Gegensatz zum Rest des Landes angenommen. Von «Nebelspalter»-Chef Markus Somm auf den «gefährlichen Röstigraben» angesprochen («das Welschland lässt sich zahlen von uns Deutschschweizern»), sagte Grossen: «Ich teile die Sorge zu 100 Prozent. Wir haben ein Problem, dass insbesondere die lateinischen Kantone ihre Wählerinnen und Wähler, ihre Bürger, immer mehr an den Staatstropf hängen. Das ist fast wie ein Programm, das sie süchtig macht nach Staatsgeldern. Und das dazu führt, dass eine Mehrheit nach einer gewissen Zeit nicht mehr anders kann, als vom Staat abhängig zu sein.» Das habe riesiges Spaltungspotenzial.
«Schockierend und beschämend»
Diese Aussagen tragen Grossen nun gar Kritik aus der eigenen Partei ein. Sein Genfer Parteikollege Michel Matter (59), alt Nationalrat und ehemaliger Vizepräsident der GLP, kritisiert Grossen scharf. Die Aussagen hätten ihn beleidigt, sagt er gegenüber Blick: «Sie waren schockierend und beschämend.» Als Präsident einer nationalen Partei dürfe Grossen nicht zur Spaltung beitragen, sondern müsse für alle da sein. Doch Grossen habe es an Urteilskraft und Respekt gefehlt.
Das Abstimmungsergebnis in den Westschweizer Kantonen, so Matter weiter, sei Ausdruck der Sorgen der Menschen dort. «Die Jurassier haben die Initiative mit 71,97 Prozent angenommen. Man muss verstehen, dass es für diese Menschen schwierig ist.» Das Interview habe das ins Lächerliche gezogen. Zumal die Prämien ein nationales Problem seien. «Solche Themen werden bei uns schneller diskutiert als anderswo, das mag sein, aber sie betreffen die ganze Schweiz.»
Grossen erklärt sich
Ausserdem, fährt der Genfer fort, vergesse Grossen wohl den Finanzausgleich. «Genf ist Nettozahler und stellt Geld für andere Kantone zur Verfügung». Bern hingegen, Grossens Heimat, ist der grösste Nettoempfänger im Finanzausgleich.
Gegenüber der Westschweizer Zeitung «Le Temps» erklärte sich Grossen diese Woche: «Die Romandie erwartet mehr vom Staat als die Deutschschweiz. Das sieht man an den Ergebnissen der Volksabstimmungen.» Er habe tatsächlich gesagt, dass er persönlich die vom Journalisten angesprochenen Bedenken in dieser Sache teile. Doch Somm habe einige Punkte übertrieben, die man nun nicht ihm in den Mund legen solle. Aber: «Ich bin nicht der Meinung, dass ich etwas gesagt habe, was ich nicht hätte sagen sollen.»