Nur her mit der Ausgangssperre! Nasrin Khaled (38) spaziert mit ihrem Sohn am versprayten Jugendzentrum in Studen BE vorbei. Und freut sich, dass es für Kinder unter 14 Jahren keine nächtlichen Streifzüge mehr geben soll. Das steht neu im Ortspolizeireglement der Gemeinde. Zwischen 22 und 6 Uhr sollen sie sich nur noch in Begleitung ihrer Eltern oder einer anderen aufsichtsberechtigten Person im öffentlichen Raum aufhalten dürfen.
So hat es die Gemeindeversammlung am Montagabend mit einer Mehrheit von 100 zu 2 Stimmen beschlossen. Und damit für einen kleinen medialen Aufschrei gesorgt. An diesem sonnigen Dienstagnachmittag tummeln sich die Journalisten in der kleinen Gemeinde im Berner Seeland.
Studen will Kinder in den Stuben
Doch ist das überhaupt rechtens? In Dänikon ZH stoppte das Verwaltungsgericht schon 2009 eine ähnliche Regel, weil sie zu stark in die Grundrechte eingriff. In anderen Dörfern gab es Proteste, die Behörden krebsten zurück.
Viele Studener sehen das allerdings sehr viel lockerer. So auch Kanywar, der 15-jährige Sohn von Nasrin. Das wäre vor allem für kleinere Kinder eine gute Sache. Er selbst und seine Kollegen hätten jedenfalls nach 22 Uhr nie draussen herumhängen dürfen. «Zu strenge Eltern», merkt er an.
Auch seine Kollegen hängen auf dem kleinen Platz vor dem Jugendzentrum herum und möchten ihre Meinung gegenüber Blick unbedingt kundtun. «Meine Schwester wurde am Abend einmal fast entführt», sagt ein 16-Jähriger. Darum befürworte er eine Ausgangssperre. Und nimmt seinen 13-jährigen Kollegen gleich in die Pflicht: «Ich würde dich heimschicken, wenn ich dich spät am Abend draussen treffe.»
«Wenns die Eltern nicht machen, müssen wir halt»
Um die Sicherheit von Kindern geht es auch dem Gemeindepräsidenten Heinz Lanz (60). Er ist sichtlich ermüdet von der Medienpräsenz in seiner Gemeinde. «Das haben wir nicht erwartet.» Dass dies ein Eingriff in die persönliche Freiheit sei, streitet er ab. «Kinder dürfen auch kein Bier und Tabak konsumieren.» Das Ausgehverbot schütze die körperliche Unversehrtheit.
Momentan sei es in der Gemeinde zwar friedlich. Aber seit rund sechs Jahren gebe es ein lokales Phänomen: «Wir hatten gravierende Mobbingvorfälle und körperliche Übergriffe, auch mit Messern.» Im gleichen Zug nennt Lanz die «Bevölkerungsstruktur mit verschiedenen kulturellen Hintergründen». «Wenn Familien aus wirtschaftlichen Gründen in einer 3-Zimmer-Wohnung leben oder die Eltern abends spät arbeiten, dann hauen die Kinder halt mal ab», so Lanz.
Man habe den Dialog mit den betreffenden Familien schon auf verschiedene Arten gesucht. Es gebe zum Beispiel ein Dorffest, wo jeder Essen aus der eigenen Kultur mitbringe. Die Ausgangssperre sei da eine parallele Massnahme. «Wenns die Eltern nicht machen, müssen wir halt.»
Kreative Lösungen gesucht
Es gibt einen Ort in Studen, wo die Kinder sich ihre Freizeit vertreiben: der Jugendtreff, mit Töggelikasten, Sofa und Küche. Leiter Reto Tschäppeler (48) versteht die neue Massnahme nicht. «Kinder unter 14 Jahren sollten vielleicht nicht mehr unbegleitet unterwegs sein. Aber das ist die Verantwortung der Eltern. Da sollte man auf Dialog setzen, wenn sich die Gemeinde gestört fühlt.» Einigen Anwohnern sei der Treff ein Dorn im Auge.
«Man muss auf kreative Lösungen setzen», ist Tschäppeler überzeugt. Es brauche Orte, wo sich Junge auch abends treffen könnte. «Wir sind da schon dran. Da frage ich mich umso mehr, wieso es dieses Gesetz braucht.»
«Reto ist super»
Der allgemeine Tenor in Studen ist aber anders. Neben Reto Tschäppeler spricht sich eine einzige Passantin dezidiert gegen das neue Gesetz aus. «Ja, es gibt Jugendliche, die zu lange draussen bleiben. Aber die Ausgangssperre ist eine einfache Art zu zeigen, dass man etwas macht, ohne wirklich etwas zu machen.» Sie will anonym bleiben. «Viele sehen das anders, meine Meinung eckt an.»
Auch wenn sie die Ausgangssperre befürworten: Im Jugendtreff würden Kanywar und seine Freunde auch gerne später am Abend noch herumhängen. «Reto ist wirklich super.»