Medienmitteilungen werden selten um 18.43 Uhr verschickt: zu spät für die gedruckten Zeitungen am nächsten Morgen – und zu schwere Kost für den Feierabend am Smartphone. Trotzdem sah sich die FDP gezwungen, am Montagabend auf einen Artikel der «SonntagsZeitung» zu reagieren. Dieser hatte den Titel: «Keller-Sutters Angriff auf den Mittelstand und die Grossverdiener». Der Konter der FDP-Mitteilung lautete: «Linke Logik im Bundesrat: Statt zu sparen, droht er in der Vorsorge mit neuen Steuern.»
Auch wenn die FDP-Medienmitteilung spät verschickt wurde, gibt sie in Bundesbern zu reden. Schliesslich folgt der Bundesrat mit seiner bürgerlichen Mehrheit sonst keiner angeblich linken Logik – erst recht nicht mit der mächtigen FDP-Finanzministerin Karin Keller-Sutter (60).
Warum kritisiert die FDP, zumindest implizit, die eigene Finanzministerin? Der pensionierte Spitzenbeamte Serge Gaillard (68) und seine Expertenkommission hatten darauf hingewiesen, dass dem Staat jährlich 200 Millionen Franken durch die Lappen gehen – durch Steuervorteile für Menschen, die sich ihr Geld aus der zweiten und dritten Säule ausbezahlen lassen. Deswegen sollen diese Steuervorteile gestrichen werden und sind Teil eines grossen Sparpakets, über das aktuell gebrütet wird.
«Opfersymmetrie» bei Sparübungen
Bislang war bei den Sparübungen von «Opfersymmetrie» die Rede: Wenn bei der Kita gekürzt wird, dann auch bei Steuerprivilegien für die Besserverdienenden. Alles, was die «Opfersymmetrie» aus dem Gleichgewicht bringt, dürfte zu neuen, zähen Verhandlungen führen. Ein FDP-Parlamentarier, der ungenannt bleiben will, sagt zu Blick: «Die Linke wird ein Gegengeschäft verlangen. Von daher hätte Karin niemals zulassen dürfen, dass Gaillards Vorschlag weitergezogen wird.»
FDP-Parteichef Thierry Burkart (49) nimmt Keller-Sutter in die Pflicht: «Es handelt sich um einen Vorschlag der Expertengruppe um Serge Gaillard. Der Gesamtbundesrat hat nun entschieden, diesen als Konzession an die Linken zu prüfen. Einen endgültigen Entscheid gibt es nicht. Ich bin überzeugt, dass Bundesrätin Keller-Sutter sich im Bundesrat dagegen wehren wird.» Am Donnerstag lancierte die FDP eine Petition und erhöhte den Druck: «Sollten die Linken und Steuerwütigen im Parlament dennoch obsiegen, wird die FDP das Referendum ergreifen.»
Internes Papier der Finanzlobby
Noch mehr als die FDP ist jedoch die Finanzlobby alarmiert. Blick liegt ein Papier vor, wie die Pläne des Bundesrats argumentativ abgewehrt werden sollen. Die Hauptbotschaft lautet: «Der Bundesrat widerspricht vollkommen der Logik, wonach der Bund ein Ausgabenproblem hat und nicht ein Einnahmenproblem.» Aus Sicht der Wirtschaft setze der Bundesrat «ein völlig falsches Signal an die Politik».
Was die Finanzlobby verschweigt: Sie fürchtet um ein attraktives Geschäftsmodell. Die Altersvorsorge ist ein Milliardengeschäft. Für die Verwaltung der Säule 3a kassiert die Finanzbranche nach Meinung von Experten jährlich Gebühren in der Höhe von mindestens einem Prozent des verwalteten Vermögens – bei aktuell rund 140 Milliarden Franken verwalteten Vermögens sind das 1,4 Milliarden Franken pro Jahr. In der zweiten Säule werden 1200 Milliarden Franken Vorsorgevermögen verwaltet. Die Kosten hierfür liegen bei über 0,7 Prozent – das sind 8,6 Milliarden Franken pro Jahr. Unterm Strich verdient die Finanzindustrie mit der zweiten und dritten Säule jährlich mindestens 10 Milliarden Franken. Nur logisch also, dass sie sich mit Händen und Füssen gegen eine höhere Besteuerung in diesen Säulen wehrt.
Bankiervereinigung ziert sich
Die Bankiervereinigung teilt diplomatisch mit: «Um eine genaue Beurteilung vorzunehmen, warten wir auf die Konkretisierung der Massnahmen und werden uns folglich im Rahmen der Vernehmlassung einbringen.»
Scharfe Worte kommen hingegen von FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann (61), der auch Schweiz-Direktor der liechtenteinischen Bank LGT ist: «Private Vorsorge, gegründet auf Eigenverantwortung, muss noch mehr gefördert werden. Eine höhere Besteuerung kommt nicht infrage.» Auch der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) ist überzeugt: «Das private Sparen muss an Bedeutung gewinnen, nicht umgekehrt», findet SVV-Direktor Urs Arbter (59). «Die Massnahme würde die Anreize zum sehr wichtigen freiwilligen Alterssparen reduzieren. Das ist widersinnig.» Ist Arbter von Bundesrätin Karin Keller-Sutter enttäuscht, dass sie als ehemalige Verwaltungsrätin der Baloise-Versicherung nicht stärker an die Interessen der Versicherungen denkt? Arbter winkt ab: «Das ist ein Vorschlag des Gesamtbundesrats, nicht der Finanzministerin.»
2. und 3. Säule unterschiedlich behandeln?
SP-Chef Cédric Wermuth (38) vermutet hinter dem Lobbyieren der Finanzindustrie ein «geschickt eingefädeltes Ablenkungsmanöver der Finanzministerin und der FDP», denn: «Der Bundesrat blockiert jede ernsthafte Debatte um die gescheiterte Steuersubventionspolitik für Reiche und Konzerne der letzten Jahre.» Die FDP sei «Wasserträgerin der Finanzlobby».
Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) teilt mit: «Die Massnahme wird nun, wie die rund 60 anderen des Pakets, ausgearbeitet. Derzeit sind noch viele Fragen bei der möglichen Ausgestaltung offen, auch jene, ob 2. und 3. Säule unterschiedlich behandelt werden sollen.»
Keller-Sutters Job ist diese Woche nicht einfacher geworden, denn ihr Departement gab auch bekannt: Das Defizit des Bundes fällt 2024 mit 900 Millionen Franken tiefer aus als gedacht. Das Defizit ist nur auf ausserordentliche Ausgaben zurückzuführen. Die ordentliche Rechnung, die für die Schuldenbremse relevant ist, sieht sogar einen Überschuss von 200 Millionen Franken vor.