«Zensur ist verboten.» So steht es in der Bundesverfassung. Und dennoch gibt es im Gesetz – konkret in der Zivilprozessordnung – einen Zensurartikel. Allein schon sein Titel ist befremdlich, aber ehrlich: «Massnahmen gegen die Medien» heisst Artikel 266.
Er regelt, wann ein Gericht «vorsorglich» das Erscheinen eines Zeitungsartikels oder Medienbeitrags verbieten kann. Beispielsweise wenn jemandem dadurch ein «besonders schwerer Nachteil» entsteht.
Ständeratskommission will Medienfreiheit beschneiden
Nun will der Bundesrat diesen Artikel verschärfen: Neu soll nicht nur eine Veröffentlichung im Vornherein untersagt, sondern auch bereits Veröffentlichtes ohne Anhörung der Medienhäuser gelöscht werden dürfen.
Doch damit nicht genug: Die Rechtskommission des Ständerats will die Zensur noch umfassender machen. Eine Mehrheit spricht sich dafür aus, dass einer Person durch die Publikation eines Artikels nicht einmal mehr ein «besonders schwerer Nachteil» entstehen muss. Auf Antrag des Glarner FDP-Ständerats und Anwalts Thomas Hefti (61) will sie das Wort «besonders» streichen.
Nur zwei SPler wehrten sich gegen die Zensur
Der korrupte Funktionär, der geldwaschende Banker, der mauschelnde Lokalpolitiker – alle könnten ganz einfach mit einer superprovisorischen Verfügung missliebige Medienberichte verhindern. Experten schätzen, dass die Anzahl dieser Verfügungen stark in die Höhe schnellen würde.
Die Verschärfung beschloss die Kommission mit leichter Hand, ohne Experten anzuhören. Lediglich die beiden SP-Ständeräte Carlo Sommaruga (61) und Christian Levrat (50) wehren sich dagegen – sie wollen es beim Vorschlag des Bundesrats belassen.
Allianz von Vereinen, Medien und Gewerkschaften
Jetzt begehrt die Medienbranche auf: Donnerstag werden alle Ständerätinnen und Ständeräte einen Brief im Postfach finden, der sie bittet, auf «Maulkörbe» für Journalistinnen und Journalisten zu verzichten. Investigativer und freier Journalismus sei unabdingbar in einer Demokratie, erst recht in einer direkten wie jener der Schweiz, heisst es darin.
Absender des Schreibens ist eine historisch einmalige Allianz aus Medienunternehmen, Gewerkschaften und Vereinen – darunter Tamedia, CH Media, NZZ und Ringier, das unter anderem den Blick herausgibt.
Massive Auswirkung auf die Medienfreiheit
«Die Änderung würde Tür und Tor öffnen für vorschnelles Stoppen missliebiger, kritischer Recherchen», so Andreas Zoller vom Verband Schweizer Medien, der die Aktion koordiniert. Dem Verband gehören die meisten Verlage der Schweiz an.
Auch das grösste Medienunternehmen, die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), ist Teil der Allianz, denn die Änderung «hätte für den unabhängigen, kritischen Qualitätsjournalismus in der Schweiz negative Auswirkungen und würde die Medienfreiheit einschränken», wie SRG-Sprecher Edi Estermann sagt.
Änderung würde Medien «mundtot machen»
Urs Thalmann, Geschäftsführer des Berufsverbandes Impressum, verweist darauf, dass die Schweiz ohnehin schon ein sehr strenges Gesetz kenne. «Andere demokratische, rechtsstaatliche Länder Europas kennen überhaupt keine vorsorglichen Massnahmen gegen Veröffentlichungen in redaktionellen Medien.» Eine weitere Verschärfung würde Journalistinnen und Journalisten «mundtot machen».
Und zwar, indem «finanzkräftige Akteure mit politischem Einfluss» nicht nur einfacher das Erscheinen von kritischen Artikeln vorab verhindern könnten, wie Christian Capacoel von der Medien- und Kommunikationsgewerkschaft Syndicom sagt. Sondern auch, weil allein die Gefahr von teuren Gerichtsprozessen die Aufdeckung von Missständen unterdrücken könnte.
«Wenn das Gesetz unverändert im Ständerat im Juni durchkommt, würde dies die Recherche und Aufdeckung von Missständen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft behindern», befürchtet er.