SP-Politiker Christian Levrat geht – ein Rückblick
Er verlässt das Bundeshaus und kommt als Pöstler wieder

Einer der einflussreichsten Politiker der letzten Jahrzehnte kehrt dem Bundeshaus den Rücken. Der langjährige SP-Boss Christian Levrat ist als Ständerat zurückgetreten. In seiner neuen Aufgabe als oberster Pöstler wird er aber bald wieder in Bundesbern auftauchen.
Publiziert: 01.10.2021 um 16:45 Uhr
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Ständeratspräsident Alex Kuprecht, links, überreicht Christian Levrat zum Abschied aus dem Stöckli eine Trychel.
Foto: Keystone
Pascal Tischhauser

Auf dem Bahnhof von Cheyres FR folgten ihm am Mittwoch nochmals alle. Irgendwann gestand Christian Levrat (51) ein, dass er diesmal keine Ahnung habe, wohin er die SPler führen soll. Er hatte den Fraktionsausflug in seinen Heimatkanton Freiburg nicht organisiert.

Schliesslich haben jetzt Mattea Meyer (33) und Cédric Wermuth (35) das Sagen. Doch Levrat war zu lange der Denker und Lenker der Sozialdemokraten. Seine Autorität besteht weiter.

Zeitgleich mit Brunner Parteichef

Offiziell ist Levrats Politikerkarriere jedoch zu Ende. Am Freitag verabschiedete Ständeratspräsident Alex Kuprecht (63) ihn aus dem Parlament, dem er fast 20 Jahre lang angehörte. Mit 37 Jahren war der Gewerkschafter im März 2008 zum SP-Parteichef gewählt worden – am selben Tag, als Toni Brunner (47) zum SVP-Präsidenten wurde.

Damals präsidierte noch ein gewisser Fulvio Pelli (70) die FDP, der dann durch Philipp Müller (69) ersetzt wurde, auf den Petra Gössi (45) folgte. 2008 hiess die Mitte noch CVP. Ihr Chef war der heutige Walliser Staatsrat Christophe Darbellay (50). Auf diesen folgte der heutige Mitte-Chef Gerhard Pfister (59). Nur bei der SP änderte sich nichts.

Toni Brunner gab die SVP-Führung im April 2016 ab, bei den Genossen wechselte das Präsidium erst vor einem Jahr.

Keine Erfolgsgeschichte

Kein amtierender Parteichef hat auch nur annähernd so lange einer Partei vorgestanden wie Levrat. Das dürfte einer der Gründe dafür sein, dass alle mit Respekt vom Genossen reden. Und dass Levrat ein Welscher ist und mit der Kür Roger Nordmanns (48) zum Fraktionschef die Dominanz der Romands an der Spitze der SP Schweiz weiter ausgebaut worden ist, war nie spürbar.

Doch Levrats Präsidentschaft ist keine reine Erfolgsgeschichte – aber davon später, denn zuvor kam ein Triumph: Als der Freiburger die SP als Nachfolger von Hans-Jürg Fehr (73) übernahm, stand die Partei bei einem Wähleranteil von 19,6 Prozent. Sie war im Herbst 2007 um 3,7 Prozentpunkte eingebrochen. Derweil hatte die SVP um 2,2 Punkte auf 29 Prozent zugelegt. Die SVP war im Freudentaumel – der aber noch vor Weihnachten jäh enden sollte.

Die Abwahl!

Es war der 12. Dezember 2007. An diesem Mittwoch – wenige Monate vor Levrats Wahl zum Parteichef – verbuchte der SPler den grössten Triumph in seiner politischen Karriere: Die Abwahl von Christoph Blocher (80, SVP) gelingt!

Am Vorabend, an der Nacht der langen Messer, ist der Plan im Bellevue endgültig besiegelt worden. Die SVP-Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf (65) hatte signalisiert, eine allfällige Wahl anzunehmen.

Um 10.18 Uhr geht es um die Wiederwahl Blochers. Doch Schock: Widmer-Schlumpf erhält auf Anhieb 116 Stimmen, Christoph Blocher nur 111. Das absolute Mehr von 122 Stimmen erreicht im ersten Wahlgang noch keiner der beiden.

10.40 Uhr: Blocher ist abgewählt. Eveline Widmer-Schlumpf hat ihn im zweiten Wahlgang mit 125 Stimmen um zehn Stimmen geschlagen. Die Ratslinken jubeln.

Mit der Annahme der Wahl besiegelt Widmer-Schlumpf am Folgetag die Abwahl Blochers endgültig.

Wut auf die «Umstürzler»

Zu den Drahtziehern gehören unter anderem der heutige SP-Bundesrat Alain Berset (49) sowie Christophe Darbellay und CVP-Fraktionschef Urs Schwaller (68) – und eben – auch Levrat.

Die Abwahl soll Christoph Blocher den «Umstürzlern» bis heute nicht verziehen haben, wird oft kolportiert. Klar ist, die Bundesräte Eveline Widmer-Schlumpf und Samuel Schmid (74) verfügen mit ihrer Kleinpartei BDP in der Folge nicht über eine wirkliche Hausmacht. Sie sind vom Goodwill der CVP und eben von Levrats SP abhängig. Das wusste der Genosse zu nutzen.

Dennoch: Unter Levrat war die SP im Krebsgang: Im Herbst vor zwei Jahren erreichte sie gerade noch 16,8 Prozent der Wähler. Damit gab die Partei unter seiner Führung mehr als 3 Prozentpunkte ab. Gleichzeitig wuchsen die Grünen von 2007 bis 2019 von 9,6 auf 13,2 Prozent Wähleranteil, womit die Linke noch immer 30 Prozent der Wählenden hinter sich vereint. Ihr politischer Einfluss ist somit in der Ära Levrat nicht geringer geworden – aber jener der SP schon.

Levrat wird Verkäufer

Am Freitag hat der Freiburger das Bundeshaus, in das er anfänglich als Nationalrat eintrat, letztmals als Ständerat verlassen. Dem Parlament bleibt er aber erhalten: Am 1. Dezember tritt Levrat an der Spitze des Post-Verwaltungsrats die Nachfolge von Urs Schwaller an, also just von jenem früheren Politiker, mit dem er vor Jahren Blocher aus dem Bundesrat hievte.

In seiner neuen Funktion hat Levrat die von Schwaller und Post-Chef Roberto Cirillo (50) ersonnene Post-Strategie der Politik zu verkaufen. Doch der gelbe Riese mit seinen über 54'000 Beschäftigten wankt. Es werden immer weniger Briefe verschickt und im wachsenden Paketmarkt schmelzen die Margen. Vor allem aber lahmt die Postfinance. Sie wird kaum mehr wieder zur Cashcow der Post werden, denn die Raiffeisen- und Kantonalbank-Vertreter im Parlament lassen nicht zu, dass aus der Postfinance eine richtige Bank wird. Da macht sich Levrat, der Parlamentarier ausser Dienst, keine Illusionen.

In den nächsten zwei Monaten will sich der künftige Post-Präsident ins gelbe Universum einarbeiten. Dafür wollte er anfänglich 12'000 Franken Lohn – wofür sich Levrat auf dem Fraktionsausflug einigen Spott der Genossen anhören musste. Gut hat ihm Roger Nordmann zum Abschied eine «Kinderpost» geschenkt. Damit sollte auch Levrat ein kostengünstiger Einstieg in die Welt der Post gelingen.

Ob ihm alle folgen?

Von Kuprecht hat Levrat zum Rücktritt aus dem Ständerat eine Trychel geschenkt bekommen. Solche Glocken sind bei der SVP hoch im Kurs, seit SVP-Bundesrat Ueli Maurer (70) sich zu den Friedenstrychlern gesellt und in den Chor der Skeptiker der bundesrätlichen Corona-Massnahmen mit eingestimmt hat.

Levrat läuft dennoch kaum Gefahr, künftig mit den Skeptikern des Bundesrats zu marschieren. Aber er wird bald wieder am Bundeshaus anklopfen – oder hallt mit der Glocke schellen – diesmal aber als oberster Pöstler. Man wird sehen, ob ihm dann auch noch alle folgen werden.




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