Blick: Herr Piccard, ist die Schweiz bei der Energiewende auf dem richtigen Weg?
Bertrand Piccard: Noch nicht. In der Schweiz gilt die Energiewende als etwas, das teuer und langweilig ist, gleichzeitig unseren Lebensstil bedroht und uns zwingt, unsere Mobilität, unsere wirtschaftliche Entwicklung und unseren Komfort einzuschränken. Ein grosses Missverständnis.
Und Sie wollen das aus dem Weg räumen?
Ja. Wir müssen ein neues Narrativ entwickeln. Den Leuten zeigen: Umweltschutz kann spannend sein. Er bringt Menschen zusammen, schafft Arbeitsplätze, kann wirtschaftlich rentabel sein. Das verstehen viele heute noch nicht.
Woran liegt das?
Alle verfolgen nur ihre eigenen Interessen und geben einander aufs Dach. Die Umweltschützer der Industrie, die Rechten den Linken und Grünen – und umgekehrt.
Am 18. Juni stimmen wir über das Klimagesetz ab. Es fordert eine CO₂-neutrale Schweiz bis 2050. Ist das überhaupt möglich?
Ohne Zweifel. Wenn wir die Umwelt schützen, bedeutet das, dass wir energieeffizienter werden. Wir nutzen erneuerbare Energien, hören auf, natürliche Ressourcen zu verschwenden, so wie wir es jetzt tun. Was ist das Ergebnis? Wir alle werden tiefere Energiekosten haben, weil wir nichts mehr verschwenden. Dabei erhöhen wir unsere Energieunabhängigkeit, Wirtschaft und Industrie entwickeln sich, es entstehen neue Arbeitsplätze.
Alle wären glücklich und zufrieden?
Diese Themen entsprechen den Wünschen und Forderungen aller politischen Parteien. Es gibt viele Bereiche, in denen wir gemeinsame Interessen finden könnten. Das ist es, was ich versuche, den Menschen klarzumachen. Es geht darum, dass es heute schon möglich ist, Umwelt und Wirtschaft in Einklang zu bringen und nicht gegeneinander auszuspielen.
Das klingt optimistisch.
Ich bin kein Optimist, weil Optimisten dazu tendieren, nichts zu tun – im Glauben daran, dass sich die Probleme von selbst lösen. Ich bin aber auch kein Pessimist. Denn wer pessimistisch ist, tut auch nichts – weil er denkt, dass die Situation sowieso verloren ist. Ich versuche, den dritten Weg zu gehen, nämlich realistisch zu sein. Ich will unabhängig von allen Ideologien Lösungen erarbeiten.
Bertrand Piccard (65) ist Psychiater und Forscher, er stammt aus der berühmten Forscherdynastie der Piccards. Ihm gelang 1999 die erste Nonstop-Weltumrundung in einem Ballon. Später flog er erneut um den Globus – dieses Mal in einem Solarflugzeug. Das Projekt trug den Namen «Solar Impulse», wonach auch die heutige Stiftung Piccards benannt ist. Piccard ist verheiratet und Vater dreier Töchter.
Bertrand Piccard (65) ist Psychiater und Forscher, er stammt aus der berühmten Forscherdynastie der Piccards. Ihm gelang 1999 die erste Nonstop-Weltumrundung in einem Ballon. Später flog er erneut um den Globus – dieses Mal in einem Solarflugzeug. Das Projekt trug den Namen «Solar Impulse», wonach auch die heutige Stiftung Piccards benannt ist. Piccard ist verheiratet und Vater dreier Töchter.
Sie werden also Ja sagen zum Klimaschutzgesetz?
Auf jeden Fall. Allerdings finde ich den Namen der Vorlage etwas irreführend.
Warum?
Wir haben heute viele Herausforderungen, nicht nur das Klima. Die Vorlage sollte darum Modernisierungs- und Effizienzgesetz heissen. Das wäre treffender. Weil sie die soziale, wirtschaftliche und ökologische Entwicklung unseres Landes ermöglicht.
Beim Klimaschutzgesetz geht es um mehr als um ökologische Interessen?
Es wird uns helfen, erneuerbare Energien zu nutzen, die pro Kilowattstunde billiger sind als Gas, Öl und Kohle. Das wiederum führt dazu, dass wir die Schweiz modernisieren, effizienter machen können. Wir werden neue Technologien, neue Infrastrukturen, neue Systeme nutzen. Werden Wärmepumpen statt schmutziger Ölheizungen haben, Elektroautos statt ineffizienter Verbrennungsmotoren fahren.
Ist es nicht riskant, in einer Zeit, in der Energieknappheit und Krieg in der Ukraine herrschen und oft von Strommangel die Rede ist, auf fossile Brennstoffe zu verzichten?
Fossile Energie ist erstens teuer, weil wir sie importieren müssen. Zweitens verschwenden wir sie, weil wir Systeme nutzen, die ineffizient sind. Ein Verbrennungsmotor verbraucht dreimal so viel Energie wie ein Elektromotor. Drittens schaden wir dabei der Umwelt. Mit dem Gesetz hätten wir eine verbindliche Grundlage, noch mehr saubere Energie in der Schweiz zu produzieren. Stattdessen halten wir an der Vergangenheit fest.
Wie meinen Sie das?
Wir haben schlecht isolierte Häuser, ineffiziente Heiz-, Kühl- und Beleuchtungssysteme. Und all das ist legal. Das heisst, unsere Gesetze sind genauso veraltet wie die Technologie, die wir noch immer verwenden. Wir brauchen neue Lösungen. Und ich spreche nicht von Science Fiction. Die Wärme aus dem Kamin zurückzugewinnen, ist einfach gesunder Menschenverstand. Die Wärme von Rechenzentren zu nutzen, um einen Teil der Stadt zu heizen, ist keine Raketenwissenschaft. Alles ist bereits möglich.
Sie wollen dem Schweizer Parlament dazu 22 Empfehlungen vorlegen.
Wir haben vergangenes Jahr die sogenannte Schweizer Koalition gegründet, mit Parlamentariern aus allen Parteien. Wir erarbeiten gemeinsam «Ready to Vote»-Empfehlungen und Vorstösse, die alle politischen Interessen berücksichtigen. Ziel soll es sein, dass diese am Ende von allen Fraktionen unterstützt werden. Der ökologische Übergang muss politische Gräben überwinden.
Sie sind mit Ihrer Stiftung Solar Impulse bereits länger daran, die Umwelt zu retten und tun das mit über 1000 Ideen.
Ideen reichen leider nicht, wir benötigen Lösungen. Wir haben bereits über 1500 Lösungen identifiziert und gelabelt. Davon profitieren Umwelt und Wirtschaft, Sie und ich. Wir können damit neue Arbeitsplätze schaffen, eine bessere Lebensqualität erreichen. Und wir verschwenden damit weniger Energie, Ressourcen und Rohstoffe. Am Schluss bleibt mehr Geld für alle.
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Wie kommen Sie zu den Lösungen, wie prüfen Sie diese?
Wir arbeiten mit Wissenschaftlern zusammen, mit grünen Start-ups und Unternehmen – in der Schweiz und überall auf der Welt. Wir zeigen ihnen unsere Lösungen, die wir ausgewählt haben. Sie analysieren diese und geben uns Feedback bezüglich Ökologie und Profitabilität. Die Lösungen betreffen alle Bereiche: Wasser, Energie, Mobilität, Bauwesen, Kreislaufwirtschaft, Industrie, Agrarindustrie etc. Zwei konkrete Beispiele: Insolagrin – eine Agri-Fotovoltaik-Anlage, die nützliches Licht für Früchte und Gemüse im Gewächshaus filtert und gleichzeitig Strom erzeugt. Oder Joulia, eine Duschrinne, die – statt die wertvolle Wärme des Duschwassers in den Abfluss spült – Energie zurückgewinnt. Mit der Kampagne «Destination: Solutions» wollen wir Schweizer Lösungen aufzeigen.