Sogar Etiketten werden abgekratzt
Absurde Blöterliwasser-Bürokratie im Bundeshaus

Wie im Parlament eine regelrechte Bürokratie um das Mineralwasser der Mächtigsten entstanden ist. Und warum dafür sogar Flaschen gebadet und geschrubbt werden.
Publiziert: 15:32 Uhr
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Aktualisiert: 16:11 Uhr
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Blöterliwasser im Bundeshaus: Im «Präsidialbereich» dürfen Flaschen nur ohne Etiketten aufgetischt werden. Die Flaschen müssen so angeliefert werden.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Etiketten-freies Mineralwasser für «Präsidialbereiche» im Bundeshaus
  • Neben Anti-Etiketten-Regime weitere Wasserregeln im Parlament
  • Flaschen ohne Etiketten widersprechen an sich Lebensmittelvorschriften
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sven AltermattCo-Ressortleiter Politik

Nur die Mächtigsten des Landes trinken Mineralwasser aus diesen Flaschen. Doch bevor sie im Bundeshaus aufgetischt werden, bekommen die Flaschen eine Sonderbehandlung: Das vielleicht exklusivste Wasser der Schweiz gibts nur nackt – ohne Etikett. Im Parlament ist eine regelrechte Bürokratie ums Blöterliwasser entstanden, wie Blick erfahren hat. Produktionsprozesse müssen dafür umgestellt, Etiketten umständlich entfernt werden.

Aber von vorne: Tatort sind die «Präsidialbereiche» in den Ratssälen – quasi das Herz des Parlaments. Hier haben die Nationalratspräsidentin und der Ständeratspräsident mit der Ratsleitung ihre Plätze und während der Debatten auch die Bundesräte.

Die übrigen Parlamentarier sind für ihre Getränke selbst zuständig, doch denen ganz oben wird Wasser aus Glasflaschen ausgeschenkt. Dafür scheut man keinen Aufwand. Es gelten eigene Regeln für das präsidiale Mineralwasser!

Regeln fürs präsidiale Getränk

Angefangen damit: Die Wässerchen stammen von verschiedenen Schweizer Abfüllern, die Lieferanten wechseln regelmässig, und teils werden sogar unterschiedliche Marken gleichzeitig angeboten. In den vergangenen Jahren waren unter anderem Flaschen der Marken Valais, Eptinger, Allegra, Valser und Appenzell in den Ratssälen auszumachen. So weit, so gut föderalistisch.

Doch während der Sessionen schaffen es die Mineralflaschen nur ohne Etiketten in den «Präsidialbereich». Und genau hier beginnt der Mineral-Murks: Es ist ein bemerkenswerter Aufwand nötig, um den Spitzenpolitikern eine simple Flasche Wasser zu servieren.

Die Gastrogruppe ZFV, die für die Bewirtung im Bundeshaus zuständig ist, bestätigt das Regime in den «Präsidialbereichen»: «Das dort ausgeschenkte Mineralwasser wird von mehreren Schweizer Produzenten aus diversen Regionen direkt und ohne Etiketten geliefert.» Der Grund für diese Praxis: die Sorge vor Schleichwerbung.

Vorschriften verlangen Etiketten

Einige Mineralquellen nehmen die Flaschen aus dem Produktionsprozess, damit sie gar nicht erst mit Etiketten beklebt werden müssen. Denn solche «Spezial-Lieferungen» sind nicht üblich – und eigentlich auch nicht ganz vorschriftsgemäss.

Namentlich äussert sich gegenüber Blick kein Abfüller. Man ist stolz, wenn das eigene Mineralwasser im Bundeshaus serviert wird – dennoch sorgen die Berner Sonderwünsche für Verwunderung. Ein Firmenvertreter sagt: «Natürlich ist es eine Ehre, wenn fürs Parlament verschiedene Mineralwasser eingekauft werden. Aber es ist schon paradox: Man will Schweizer Wasser – nur ohne jede Spur der Herkunft.» Es entbehre nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Bundesbern eigentlich eine saubere Beschriftung der Flaschen verlange.

Tatsächlich sind es ausgerechnet Vorschriften des Bundes, welche die Etiketten überhaupt erst vorschreiben. Die Lebensmittelverordnung verlangt, dass Mineralwasser bestimmte Angaben trägt – etwa zur Herkunft und zu den mineralischen Bestandteilen.

Andere Hersteller können – oder wollen – ihre Produktion nicht einfach für ein paar Hundert Flaschen umstellen. Immerhin gehen ihre Abfüllmengen in die Millionen. Also füllen sie das Wasser regulär in die Flaschen. Die Etiketten werden dann vom Lieferanten entfernt. Das bedeutet Handarbeit: Die Flaschen werden in warmem Wasser eingelegt, damit sich die Etiketten leichter lösen. Anschliessend müssen die Klebereste abgekratzt werden.

Wo das Wasser beschafft wird

Laut ZFV gilt das Anti-Etiketten-Regime im «Präsidialbereich» seit mittlerweile zehn Jahren. Die Erklärung: Man wolle unbeabsichtigte Werbung vermeiden, weil «dieser Bereich besonders häufig von den Kameras des Host-Broadcasters erfasst wird». Gemeint ist die SRG, die die Debatten im Auftrag des Parlaments aufzeichnet und die Videobilder allen zur Verfügung stellt.

Die Blöterliwasser-Bürokratie scheint bis ins kleinste Detail geregelt. Welche Flaschen werden eingekauft? «Mitbestimmend bei der Wasserregion», wie es die ZFV-Pressestelle formuliert, sei auch die Herkunft der jeweiligen Präsidentinnen und Präsidenten im Parlament. Und bei den Wahlen werde sogar das ganze Getränkeangebot aus der Heimat der höchsten Schweizer bezogen. Noch eine Regel: «Während der Sessionen dürfen keine weiteren Getränke oder Lebensmittel ausgeschenkt respektive serviert werden.»

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