Simonetta Sommaruga will weg von russischem Öl und Gas
«Wir sind gezwungen, den Krieg mitzufinanzieren»

Simonetta Sommaruga will die Auslandabhängigkeit der Schweiz bei der Energieversorgung mindern. Doch kurzfristig braucht es andere Lösungen. Wie einen Solidaritätsvertrag mit Deutschland.
Publiziert: 25.03.2022 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 25.03.2022 um 07:47 Uhr
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«Derzeit sehen sich die europäischen Länder gezwungen, von einem Aggressor wie Russland Energie zu beziehen. Damit finanziert man den Krieg mit, was niemand will», sagt Simonetta Sommaruga im Interview mit Blick.
Foto: keystone-sda.ch
Pascal Tischhauser

Umwelt- und Energieministerin Simonetta Sommaruga (61) reiste diese Woche ins niederländische Den Haag, nach Rotterdam und Paris. In Holland traf die Bundesrätin Klima- und Energieminister Rob Jetten (34) sowie Umweltministerin Vivianne Heijnen (39). In der französischen Hauptstadt nahm Sommaruga am Ministertreffen der Internationalen Energieagentur (IEA) teil. Sämtliche Treffen standen unter dem Eindruck des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Blick begleitete die SP-Magistratin und sprach zum Abschluss über die Ergebnisse der Reise.

Blick: Frau Sommaruga, Sie waren in Den Haag und Rotterdam, später in Paris. Thema war nach dem Angriff auf die Ukraine die Energiesicherheit – und Flüssiggas. Warum?

Simonetta Sommaruga: Wir müssen bei der Energie von der Auslandabhängigkeit wegkommen. Bei Gas, Öl und Uran ist die Schweiz zu 100 Prozent vom Ausland abhängig. Da ist man nicht sicher, ob überhaupt geliefert wird oder nicht. Derzeit sehen sich die europäischen Länder zudem gezwungen, von einem Aggressor wie Russland Energie zu beziehen. Damit finanziert man den Krieg mit, was niemand will. Flüssiggas, das wohl über Rotterdam besorgt werden kann, dürfte kurzfristig mithelfen, die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern und den Ausstieg voranzutreiben.

Aber der vollständige Ausstieg wäre ein riesiger Schritt.

Vor hundert Jahren hat sich Schweiz dazu durchgerungen, in einheimische Wasserkraft zu investieren und sich von der Kohle zu verabschieden. Das klappte in relativ kurzer Zeit, und noch heute ist die Wasserkraft das Rückgrat unserer Stromversorgung. Nun müssen wir solchen Mut erneut aufbringen.

Der Trend scheint in die andere Richtung zu gehen. Holland will die Gasförderung wieder aufnehmen. Andere Länder möchten noch länger auf AKW setzen.

Mir geht es im Moment darum, dass die Haushalte, die mit Gas und Öl heizen, kommenden Winter eine warme Stube haben. Da steht der Bundesrat in der Verantwortung. Genauso dringend ist aber, dass wir von den fossilen Treib- und Brennstoffen wegkommen. Das ist kein Widerspruch. Da bin ich mit dem niederländischen Energieminister Rob Jetten einig: Während Holland in Wind investiert, bieten sich in der Schweiz eher Wasserkraft und Solar an.

Die Energieministerin

Simonetta Sommaruga (61) leitete von 2010 bis 2018 das Justiz- und Polizeidepartement. 2019 wechselte die Sozialdemokratin ins Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek), dem sie seither vorsteht. Von 1993 bis 1999 hatte sich die gelernte Konzertpianistin als Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz einen Namen gemacht, ehe sie 2003 in den Nationalrat gewählt wurde.

Simonetta Sommaruga (61) leitete von 2010 bis 2018 das Justiz- und Polizeidepartement. 2019 wechselte die Sozialdemokratin ins Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek), dem sie seither vorsteht. Von 1993 bis 1999 hatte sich die gelernte Konzertpianistin als Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz einen Namen gemacht, ehe sie 2003 in den Nationalrat gewählt wurde.

Es ist doch für viele zu teuer, die Gasheizung herauszureissen?

Teuer sind die acht Milliarden Franken, die die Schweiz jedes Jahr für Öl und Gas ins Ausland schickt. Das Geld investieren wir besser in der Schweiz! Wir können bis 2030 11,7 Milliarden Franken in den Ausbau der erneuerbaren Energien investieren. Ausserdem stehen allein vier Milliarden zur Verfügung, um Hausbesitzer beim Ersetzen ihrer alten Öl- und Gasheizungen zu unterstützen.

Wie hoch ist denn der Anteil, den der Staat mir an den Kosten einer umweltfreundlichen Heizung bezahlt?

Das ist je nach Kanton verschieden. Nebst dem Geld des Bundes bezahlen auch die Kantone Beiträge. Es gibt solche, die schon seit Jahren grosszügige Unterstützung leisten. Andere Kantone helfen weniger. Aber dafür, dass nicht alle Kantone vorwärtsmachen, gibt es heute kein Verständnis mehr.

Wir reden in den Schweiz von Wasserkraft, Wind und Solar. Es gibt aber eine Firma, die aus Luft Flugzeugtreibstoff macht. Gilt es nicht, mehr auf solche Techniken zu setzen?

Der Bund fördert diese Firma, die übrigens aus der ETH heraus entstanden ist. Ich habe sie im Kanton Zürich besucht. Sie hat wirklich eine spannende Technik entwickelt. Das Interesse ist weltweit riesig. Auch John Kerry, der heutige US-Klima-Sondergesandte und frühere amerikanische Aussenminister, hat mich schon darauf angesprochen. Wir können so einen klimagerechten Treibstoffverbrauch angehen.

Hat das tatsächlich Zukunft?

Im neuen CO2-Gesetz habe ich verankert, dass Fluggesellschaften eine geringe Beimischpflicht für nachhaltigen Treibstoff bekommen. Wir fangen klein an. Aber schon so können wir die Produktion dieses Treibstoffs erhöhen und schaffen damit einen Markt für nachhaltigen Treibstoff. Auch in Holland und Deutschland gibt es Projekte mit dieser Firma.

Sie forscht auch an Techniken, mit denen das CO2 aus der Luft gefiltert und im Boden eingelagert wird – beispielsweise in Island, wo es bereits innert zwei Jahren versteinert. Ist das die Lösung?

Das kann eine Lösung sein für jene CO2-Emissionen, die wir praktisch nicht wegbringen. Aber es ist noch sehr teuer und nicht unbeschränkt möglich. Besser ist es, möglichst viele CO2-Emissionen zu verhindern. Ich habe mit Holland jedoch eine Absichtserklärung unterzeichnet, um auch in diesem Bereich enger zusammenzuarbeiten.

Und trotzdem kommen Sie mit dem Bau von Gaskraftwerken? Wie geht das zusammen?

Lassen Sie mich vorausschicken: Um im nächsten Winter eine Notsituation zu verhindern, hat der Bundesrat entschieden, in den Speicherseen Wasser zurückzuhalten, damit im Bedarfsfall immer genug vorhanden ist, um Strom zu erzeugen. Ergänzend wollen wir eine weitere Rückversicherung: Gaskraftwerke, die angeworfen werden könnten, wenn Stromknappheit droht. Ich schliesse angesichts der Kriegssituation aber nicht aus, dass man das nochmals anschaut.

Vorhin sagten Sie, der Bundesrat stünde in der Verantwortung, dass, solange noch Haushalte mit Gas heizen, dieses Gas auch zur Verfügung stünde. Aber eigentlich ist doch die Gasbranche für die Beschaffung zuständig.

Das ist richtig. Die Regierung schafft aber die Rahmenbedingungen dafür, dass die Beschaffung möglich ist. Und: Ich habe die Branche eingeladen und nachgefragt, wie es mit den Speicherkapazitäten aussieht. Ich wollte wissen, was die Branche unternimmt, damit die Gaslieferungen kommenden Winter klappen. Es hat sich gezeigt, dass die Gasbranche sich absprechen muss, um beispielsweise ein Flüssiggasschiff zu buchen. Das war wettbewerbsrechtlich bis dahin untersagt. Ich bin 48 Stunden später mit einer Lösung in den Bundesrat gegangen, die nun in Kraft ist.

Energie- und Rohstoffunternehmen haben bei Zentralbanken um Unterstützung nachgefragt. Mit Alpiq hatten wir vor Weihnachten ja auch in der Schweiz eine Firma, die Geld vom Bund wollte.

Aktuell sind bei uns keine solchen Anfragen am Laufen. Die Taskforce, die ich vor Weihnachten wegen Alpiq eingesetzt habe, läuft aber weiter. Und Bundesrat Parmelin und ich haben nun noch eine Struktur aufgebaut, um alle Arbeiten gut zu bündeln und die involvierten Akteure – neben der Elektrizitätskommission auch die Kantone und die Branche – regelmässig zu treffen. Es braucht einen engen Austausch, aber auch die nötige Transparenz, sollte es neuerlich Liquiditätsengpässe geben und allenfalls auch neue Regeln. Es kann jedenfalls nicht sein, dass Rohstofffirmen, die bis vor kurzem noch hohe Gewinne gemacht haben, nun einfach nach Staatshilfen rufen. Da sind zuallererst ihre Aktionäre gefordert.

Und was, wenn das nächste Elektrizitätsunternehmen anklopft?

Die Stromunternehmen gehören zu 90 Prozent den Kantonen und Gemeinden. Darum habe ich zusammen mit Bundesrat Maurer allen Kantonsregierungen einen Brief geschrieben, damit sie bei ihren Energieunternehmen genau hinschauen und Liquiditätsfragen eng begleiten. Sie stehen nun in der Verantwortung.

«Vielleicht braucht es hier auch ein paar Investitionen»
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Sommaruga zeigt Humor:Plötzlich kracht es an der Pressekonferenz

Und dennoch kann es plötzlich zu einer schwierigen Situation kommen wie jetzt wegen des Kriegs.

Ja, Deutschland strebt deswegen ein Solidaritätsabkommen mit Italien an. Ich stehe mit Berlin in Kontakt, damit unsere Interessen berücksichtigt werden. Deutschland hat seine Bereitschaft signalisiert, die Schweiz in die Abmachung einzubeziehen. In dieser verpflichten sich die Länder, alles dafür zu tun, damit es nicht zu Versorgungsengpässen kommt.

Aber wenn die Schweiz kurzfristig Probleme mit ihrer Energieversorgung hätte, dürften auch die umliegenden Länder in Schwierigkeiten sein. Dann ist sich doch jedes Land selbst am nächsten und so ein Abkommen Makulatur, nicht?

Nein, eine solche Abmachung ist genau dafür da, um das zu verhindern. Deshalb vereinbart man ja, welche Massnahmen jeder Staat selbst ergreifen muss. Wo also der Verbrauch rasch zurückgefahren werden kann, wo ein Energieträger durch einen anderen ersetzt werden kann. Wenn das aber nicht ausreicht, hilft man einander.

Plötzlich scheint die Bereitschaft, zusammenzustehen, gross zu sein unter den europäischen Staaten. Auch beim grenzübergreifenden Verkehr. Wir hören, dass die Buchung von internationalen Nachtzügen bald einfacher werden soll.

Der Wille dazu ist da. Die Niederlande möchten den Nachtzug in die Schweiz bis nach Rom weiterführen. Wir sind uns mit Holland einig, dass es mit einem einzigen Ticket möglich sein muss, mit dem Railjet von Amsterdam nach Rom zu reisen. Heute ist das im Bahnverkehr leider noch nicht selbstverständlich. Das Single-Ticket soll ein Pilotprojekt und damit Vorbild für die anderen Nachtzüge sein.

Wo genau ist der Vorteil?

Ziel muss sein, dass der Bahnkunde auf seinem Handy oder Tablet die Übersicht darüber hat, wann welcher Zug ihn zum gewünschten Ziel in Europa bringt und was dies kostet. Und er soll auf seinem Gerät auch gleich das Ticket kaufen können, egal durch wie viele Länder ihn die Reise führt.

Dass das noch nicht funktioniert, versteht ja niemand.

Ich weiss. Doch Züge waren lange eine nationale Angelegenheit. Man hatte eigene Schienenbreiten und eigenes Rollmaterial. Man hat erst in den letzten Jahren vermehrt angefangen, gemeinsam zu planen. Vieles funktioniert schon gut. Aber es muss noch besser werden.

Wir sitzen im Zug von Paris in die Schweiz. Tags zuvor waren wir noch in Holland. Dort ist am Mittwoch die Maskenpflicht im Zug gefallen. Schliesst sich die Schweiz bald an?

Der Bundesrat sieht das so vor. Es ist aber gut, wenn wir die Corona-Situation nochmals genau anschauen. Wir werden sehen, wie der Bundesrat entscheidet. Klar ist: Auch nach dem Fall der Maskenpflicht steht es den Leuten frei, sich und andere weiterhin durchs freiwillige Maskentragen zu schützen.

Ihre Reise führte Sie auch nach Rotterdam. Der Hafen dort und der Rheinhafen in Basel haben ein Abkommen für eine bessere Zusammenarbeit abgeschlossen. Was bringt das konkret?

Zehn Prozent der Waren, die in die Schweiz gelangen, kommen via Rheinhafen in unser Land. Und sogar 30 Prozent der Energie, die wir importieren, kommen über diesen Hafen. Mit der Verlagerung der Güter auf die Schiene und mit dem Bau der Neat haben wir eine umweltfreundliche Transportlösung geschaffen, die auch andere nutzen können. Gerade auch Holland will das. Die Schifffahrt ist eine ökologische Transportart. Und die Neat die umweltfreundliche Fortführung der Verbindung von Rotterdam bis Genua. Jetzt möchten beide Seiten das Potenzial auf dem Rhein und der Schiene noch besser ausnutzen. Ich verspreche mir einiges von der Zusammenarbeit mit den Niederlanden.

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