Bundesrätin Sommaruga: Jahrelang diskutieren hilft nicht!
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Nach Kritik an CO₂-Gesetz:Bundesrätin Sommaruga: Jahrelang diskutieren hilft nicht

Simonetta Sommaruga kontert grüne Kritik am CO₂-Gesetz
«Forderung nach Benzinauto-Verbot bringt uns nicht weiter»

In den nächsten fünf Jahren stehen zwei Milliarden Franken für den Klimaschutz zur Verfügung, sagt die Umweltministerin. Und: Forderungen nach Verboten bringen nichts.
Publiziert: 03.10.2021 um 16:46 Uhr
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Aktualisiert: 03.10.2021 um 17:54 Uhr
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Vor zwei Wochen präsentierte Bundesrätin Simonetta Sommaruga ein neues CO₂-Gesetz.
Foto: keystone-sda.ch
Camilla Alabor

Frau Sommaruga, vor zwei Wochen haben Sie ein CO₂-Gesetz präsentiert, das keine neuen Abgaben vorsieht. Plötzlich ist also eine Klimapolitik möglich, die den Planeten rettet und niemandem wehtut. Wie soll das auf einmal gehen?

Simonetta Sommaruga: Es geht nicht «auf einmal». Aber es geht. Wir setzen an drei Orten an. Erstens wollen wir falsche Anreize beseitigen. Heute gibt es zum Beispiel ein steuerliches Privileg für schmutzige Dieselbusse. Das wollen wir aufheben und mit dem Geld die Anschaffung von Elektrobussen unterstützen. Zweitens wollen wir bestehende Fördermittel gezielter einsetzen: Gelder aus der CO₂-Abgabe sollen stärker Eigentümern zugutekommen, die ihre Öl- oder Gasheizung durch eine umweltfreundliche Heizung ersetzen.

Und der dritte Punkt?
Wir wollen bestimmte Mittel, die heute in die Bundeskasse oder einen Fonds fliessen, gezielt in den Klimaschutz investieren. Ein Beispiel: Wenn Händler klimaschädliche Autos importieren, zahlen sie dafür. Derzeit landet dieses Geld im Strassenfonds; künftig können wir es direkt für die Finanzierung der Ladeinfrastruktur von Elektroautos verwenden.

Klimaforscher sagen: Ohne zusätzliche Abgaben lassen sich die Klimaziele nicht erreichen. Was entgegnen Sie?
Wenn wir jahrelang weiterdiskutieren, erreichen wir die Ziele erst recht nicht. Kommt hinzu, dass wir schon jetzt, vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes, viel Geld in den Klimaschutz investieren: allein im Gebäudebereich zwei Milliarden Franken in den nächsten fünf Jahren.

Wie ist das nach dem Nein zum CO₂-Gesetz möglich?

Die Mittel stammen einerseits aus der bisherigen CO₂-Abgabe: Diese kostet ab nächstem Jahr 120 Franken pro Tonne statt, wie heute, 96 Franken. Andererseits stecken die Kantone in den nächsten Jahren deutlich mehr Geld ins Gebäudeprogramm und unterstützen damit Sanierungen sowie den Ersatz von Öl- und Gasheizungen. Der Bund verdoppelt jeweils den Anteil, den die Kantone zahlen. Sie sehen also: Wir investieren einiges – und das ohne zusätzliche Abgaben. Und wenn Sie mir erlauben, nochmals auf das neue CO₂-Gesetz zu sprechen zu kommen …

Bitte.
Ich höre jetzt Forderungen, man müsse Benzinautos sofort verbieten oder alle Ölheizungen rausreissen. Solche Forderungen bringen uns politisch nicht weiter.

Laut Wissenschaftlern müssen wir die Emissionen bis 2030 jährlich um 6 Prozent reduzieren, um die Klimaziele zu erreichen. Kann das mit diesem Gesetz funktionieren?
Mit jeder alten Ölheizung, die nicht durch eine neue Ölheizung ersetzt wird – und das kommt immer noch sehr oft vor –, erreichen wir viel mehr, als wenn wir über Verbote streiten. Das Parlament hat drei Jahre gebraucht für ein Gesetz, das vom Volk abgelehnt wurde. Noch einmal können wir uns das nicht leisten.

Das Nein zum CO₂-Gesetz fiel knapp aus: 51,6 Prozent der Stimmbürger verwarfen die Vorlage. Hätte es nicht gereicht, umstrittene Elemente wie den Klimafonds zu entfernen, statt gänzlich auf Lenkungsabgaben zu verzichten?

Der Bundesrat will nicht gänzlich auf Lenkungsabgaben verzichten. Wir wollen aber keine Erhöhung des Benzinpreises mehr; damit kann man kurz nach einer Abstimmung nicht erneut kommen. Wir müssen den demokratischen Entscheid akzeptieren. Zugleich ist wichtig, dass wir gezielt vorwärtsmachen. Unser Ziel bleibt es, die Emissionen bis 2030 zu halbieren. Wobei die Klimapolitik nicht nur über das CO₂-Gesetz geschieht.

Sondern?
Das Energiegesetz spielt eine ebenso wichtige Rolle. Denn wenn wir von Öl und Gas wegkommen wollen, brauchen wir mehr Strom aus der Schweiz. Das wurde in den letzten zehn Jahren leider etwas verschlafen. Im Juni hat der Bundesrat nun zuhanden des Parlaments eine Vorlage verabschiedet: Diese sieht vor, den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Versorgungssicherheit in der Schweiz zu stärken.

Zurück zum CO2-Gesetz: Ausgerechnet Ihre Verbündeten, die Grünen, nennen es eine «mutlose» Vorlage. Ihre Kritik: Der Finanzplatz wird ausgeklammert, obwohl die Hebelwirkung enorm wäre. Ihre Antwort?
Mit der Finanzbranche laufen schon länger Gespräche. Dasselbe gilt für die Landwirtschaft. Danach liegt es an den zuständigen Departementen, konkrete klimapolitische Vorschläge einzubringen.

Das CO2-Gesetz könnte also noch um Massnahmen in der Finanz- und Landwirtschaftspolitik ergänzt werden?
Ich glaube nicht, dass der Bundesrat mit dem CO2-Gesetz gleich auch noch die Landwirtschaft regeln will. Aber man kann auch in anderen Gesetzen Klimapolitik machen.

Geht es nach den Grünen, soll der Bundesrat überdies dafür sorgen, dass die Nationalbank nicht länger in Öl, Gas und Kohle investiert. Wie stehen Sie dazu?
Die Nationalbank hat bereits entschieden, nicht länger in Kohle zu investieren. Sie ist eine unabhängige Institution. Es ist aber sicher sinnvoll, wenn Parteien und Öffentlichkeit den Druck auf die Nationalbank aufrechterhalten. Es geht darum, dass wir kohärent sind: Nehmen wir die Klimaziele ernst, müssen wir alle Finanzflüsse in die richtige Richtung leiten.

Vor Monatsfrist wurde bekannt, dass Sie das Mandat mit dem Beratenden Organ für Fragen der Klimaänderung (OcCC) nicht verlängern werden. Klimaforscher fordern nun eine Klima-Taskforce: eine starke Stimme der Wissenschaft, die die Öffentlichkeit informiert. Wie stehen Sie dazu?
Die Wissenschaft ist eine wichtige Stimme in Klimafragen, und das soll so bleiben. Künftig soll deshalb Proclim, das Forum für Klima der Schweizer Akademien der Wissenschaften, eine tragende Rolle übernehmen. Wir klären derzeit noch letzte Details.

Die Forscher fürchten, dass es Proclim ergehen wird wie dem OcCC: Das Gremium hatte null Einfluss auf die öffentliche Klimapolitik-Debatte.
Mein Ziel ist es, dass Proclim künftig mehr Gehör findet. Dann hätten wir eine gute Lösung gefunden. Neben der Wissenschaft sind aber auch die Wirtschaft und die Politik wichtig. Alle drei sind gefordert, in der Klimapolitik Lösungen zu finden. Das geht nur gemeinsam.

Themawechsel: Am Donnerstag wurde spekuliert, dass Finanzminister Ueli Maurer zurücktreten könnte. Sie sind nach Maurer jene Bundesrätin, die am zweitlängsten im Amt ist. Auf einer Skala von 0 bis 10 – wie amtsmüde sind Sie?
(Lacht) Keine Spur von Amtsmüdigkeit. Ich habe grosse und wichtige Projekte und bin sehr motiviert. Ich bleibe dran.

Auch über die aktuelle Legislatur hinaus?
Wie gesagt: Ich bleibe dran.

Die Umweltministerin

Simonetta Sommaruga (60) leitete von 2010 bis 2018 das Justiz- und Polizeidepartement. 2019 wechselte die Sozialdemokratin ins Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek), dem sie seither vorsteht. Von 1993 bis 1999 hatte sich die gelernte Konzertpianistin als Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz einen Namen gemacht, ehe sie 2003 in den Nationalrat gewählt wurde.

Simonetta Sommaruga (60) leitete von 2010 bis 2018 das Justiz- und Polizeidepartement. 2019 wechselte die Sozialdemokratin ins Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek), dem sie seither vorsteht. Von 1993 bis 1999 hatte sich die gelernte Konzertpianistin als Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz einen Namen gemacht, ehe sie 2003 in den Nationalrat gewählt wurde.

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