«Die Linken gefährden unsere Souveränität»
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Chiesa schiesst gegen Städter:«Die Linken gefährden unsere Souveränität»

Sie sind die neuen Ausländer
SVP schiesst auf die links-grünen Städte

Die SVP hat ein neues Feindbild: die Städter. Mit einer aggressiven Rhetorik gegen die links-grüne Stadtbevölkerung will die Partei die eigene Basis mobilisieren – auch im Hinblick auf die Wahlen.
Publiziert: 02.08.2021 um 01:25 Uhr
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Aktualisiert: 02.08.2021 um 13:55 Uhr
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Mehr Platz fürs Velo, Tempo-30-Zonen – die Städte gehen der SVP auf die Nerven.
Foto: keystone-sda.ch
Ladina Triaca und Daniel Ballmer

Es klingt, als ob ein Wutbürger in die Tasten gegriffen hätte: «Die links-grünen, arroganten Städter haben mit der Ablehnung des Jagdgesetzes dafür gesorgt, dass die Schafe nicht mehr auf der Alp weiden können.» Allerdings handelt es sich nicht um einen Querulanten, der sich in die Kommentarspalte verirrt hat, sondern um ein offizielles Statement der SVP auf Twitter.

Die grösste Partei im Land schimpft über die Städter. Es ist kein unkontrollierter Wutausbruch. Die Parteileitung weiss, dass sie ein Feindbild braucht, wenn sie ihre Basis mobilisieren will. Und sie hat es gefunden.

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«Schmarotzer-Politik»

«Die Politik der linken Städte ist Schmarotzer-Politik. Sie sind Weltmeister darin, das Geld auszugeben, das andere verdient haben», tobte SVP-Präsident Marco Chiesa (46) in seiner 1.-August-Ansprache. Und weiter: «Die Luxus-Linken und Bevormunder-Grünen in den Städten wollen allen anderen im Land vorschreiben, wie sie zu denken und zu leben haben.»

Auch SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (42) wetterte am Nationalfeiertag über die «rot-grünen» Städte. Deren Programm sei immer das gleiche: «Mehr Staat, mehr sozialistische Umverteilung, mehr EU, offene Grenzen, gehätschelte Illegale und Kriminelle, immer mehr sozialer Wohnungsbau, mehr Steuern und Abgaben.»

Seine Forderung ist klar: «Wir müssen dafür sorgen, dass die links-grünen Wohlstandsverwöhnten in den grossen Städten der Landschaft nicht immer noch mehr Vorschriften machen. Die Landschaft ist frei und unabhängig und lässt sich nicht von den linken Städtern vorschreiben, wie sie zu denken und zu leben hat!»

Das neue Feindbild soll nun intensiv beackert werden. SVP-Nationalrat Thomas Matter (55) ist eigens zum Dossierverantwortlichen ernannt worden. Denn schon jetzt spekuliert die Volkspartei darauf, im Wahlkampf 2023 die ländliche Bevölkerung mobilisieren zu können.

Alte Feindbilder funktionieren nicht mehr

Das erstaunt Politgeograf Michael Hermann (49) nicht. Er sagt, die SVP habe sich in den 1990er-Jahren unter der Führung von Christoph Blocher (80) erfolgreich gegen die sogenannte Classe politique positioniert. Das funktioniere heute nicht mehr. Denn die politische Elite habe sich der SVP angeglichen und etwa das Rahmenabkommen mit der EU – ganz in ihrem Sinne – versenkt. «Als Ersatz für die Classe politique dienen der SVP nun die links-grünen Städte», sagt Hermann.

Die Partei greift damit einen Konflikt auf, der seit Jahrzehnten schwelt. Unterschiedliche Vorstellungen über die Landwirtschaft hätten die Stadt- und Landbevölkerung bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts auseinandergetrieben, sagt Alina Zumbrunn (24), die an der Universität Bern zum Stadt-Land-Graben forscht.

Deutlich spitzte sich der Konflikt allerdings erst in den 1990er-Jahren zu, als sich die Schweiz in der Welt positionieren musste. Die Städte plädierten für Öffnung, der ländliche Raum für Abschottung.

Die Abstimmung über den EWR-Beitritt 1992 sei ein Schlüsselmoment gewesen, sagt auch Politgeograf Hermann. «Seither entfernen sich die Kernstädte bei Abstimmungen immer weiter vom ländlichen Raum. Der Stadt-Land-Graben wird tiefer.»

Einstellungen konstant

Auffallend ist, dass Stadt- und Landbevölkerung hauptsächlich in ihrem Abstimmungsverhalten auseinanderdriften. Die Einstellungen sind hingegen sowohl auf dem Land als auch in der Stadt über die Jahre relativ konstant geblieben.

Zumbrunn sagt, dass Städter die Abschaffung der Armee, den Wohlfahrtsstaat oder Ausländer generell positiver sehen als die Landbevölkerung. «Aber das beobachten wir seit 30 Jahren.» Die Unterschiede hätten sich kaum vergrössert. Wenn, dann habe sich die ganze Gesellschaft bewegt. So seien etwa Stadt- und Landbevölkerung in den 1990er-Jahren allesamt umweltfreundlicher geworden.

Mobilisierung entscheidend

Dass sich der Graben bei Abstimmungen dennoch aufreisst, dürfte mit der politischen Mobilisierung zusammenhängen. Bei der Abstimmung über die beiden Agrar-Initiativen im Juni gingen auf dem Land beispielsweise derart viele Menschen an die Urne, dass sie das CO2-Gesetz gleich mit versenkten.

SVP-Vordenker Blocher sagte nach dem Abstimmungssieg seiner Partei: «Der Graben zwischen Stadt und Land war noch tiefer, als ich es angenommen hatte.» Einen Tag später warnte die SVP auf Twitter: Wer auch künftig nicht wolle, dass die «Luxus-Linken» und die «grünen Bevormunder» in den Städten der übrigen Bevölkerung vorschrieben, wie sie zu leben hätte, wähle SVP.

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Kampagne startet im September

Hier die arbeitsamen Ländler, dort die dekadenten Städter. Dass diese Rhetorik erfolgreich sein kann, machten Donald Trump (75) in den USA und die Brexit-Befürworter in Grossbritannien vor.

Stadt/Land – Geteilte Schweiz?

Die Schweiz versteht sich nicht mehr so richtig. Warum? Und wie kann man das ändern? Die grosse Blick-Sommerserie zum Stadt-Land-Graben geht diesen Fragen aus verschiedenen Perspektiven auf den Grund.

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Diesem Beispiel folgt nun die SVP – und nimmt die Städte ins Visier. Anfang September will die SVP ihre eigentliche Kampagne starten, national und in den Kantonen. «Da kann man sich auf einiges gefasst machen», kündigt Thomas Matter an. Im Auge hat die Partei insbesondere die verschiedenen Geldflüsse.

Beispiel Kanton Zürich: Rund 1,2 Milliarden Franken zahle das Land zu viel an die Zürcher Städte – jedes Jahr, hat Nationalrat Matter ausgerechnet. Nur so könnten sich die links-grünen Städte den überbordenden Luxus leisten: «Die SVP nimmt das nicht mehr länger hin», betont Präsident Chiesa. «Den Städten, die eine für unser Land schädliche Politik betreiben, muss das Geld entzogen werden.»

Städte sollen den Luxus selber bezahlen

Bereits sind konkrete Vorstösse geplant. So sollen im Rahmen des nationalen Finanzausgleichs Sondervergütungen für Zentrumslasten der Städte zusammengestrichen werden. «Das Ziel ist klar: Die Luxus-Sozialisten in den Städten sollen machen, was sie wollen, aber sie sollen es selber zahlen», sagt Matter.

Die SVP hofft, mit dem Städter-Bashing wieder Wahlen zu gewinnen. Klar ist aber auch: Damit stösst sie die urbanen Menschen, die rund ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, vor den Kopf. Es gab eine Zeit, in der die Partei hoffte, auch in den Städten zu wachsen. Diese Hoffnung hat sie offenbar aufgegeben.

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